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Medien: Serbische Grüße

Kann Fernsehen versöhnen? Eine Show will Kroaten, Bosnier und Serben wieder zusammenbringen

Von Caroline Fetscher

Vor dem Krieg lebte Vlada in Belgrad, und Ivica in der Nähe von Zagreb. Ihre Väter waren Kollegen, ihre Mütter gute Freundinnen. In den Sommerferien fuhren beide Familien zum Baden an die Adria. Als die serbische Armee nach Kroatien kam, rief Ivicas Mutter Vladas Mutter in Belgrad an, berichtete von den brennenden Dörfern und serbischen Scharfschützen in den Straßen. Die Belgrader Freunde reagierten nicht. Doch später schrieb Vladas Vater an seinen Kollegen: „Ich weiß, was geschehen ist, ich schäme mich für das, was man Euch angetan hat.“ Nie kam eine Antwort. Vielleicht hassen sie die Serben inzwischen so sehr? dachte Vladas Familie traurig. Dann entschied sich Vlada, einen „Videobrief“ an den Freund von damals zu senden. Seine Assistenten waren zwei niederländische Filmemacher, Geburtshelfer einer neu entstehenden Kommunikation.

„Überall im ehemaligen Jugoslawien hörten wir dasselbe: Die Freunde von damals haben nicht mal angerufen, um zu wissen, wie es uns geht“, sagt der Amsterdamer Dokumentarfilmer Eric van den Broek. Gemeinsam mit seiner Kollegin und Ehefrau Katarina Rejger reiste er von 1999 bis 2004 mit der Kamera durch die Nachkriegslandschaft. Sie bemerkten: Nachrichten über die verfeindeten „Anderen“ bezog man nur noch aus dem Fernsehen. „Flüchtlinge, die in ihr Haus zurückkommen, besorgen sich zuallererst einen Fernsehapparat.“ Van den Broek und Rejger begannen, „Videobriefe“ von Freunden und Nachbarn zu sammeln, die Menschen, denen sie früher nah waren, Botschaften zukommen lassen wollten. Den visuellen Brief im Gepäck begaben sie sich zum Adressaten und zeigten ihm das Video.

Etwa den Film von Sascha. Der spricht zu seinem früheren Freund: „Ich vermisse dich. Ich wäre so froh, dich wiederzusehen. Ich habe immer noch nicht verstanden, was mit uns passiert ist. Der ganze Müll, der Dreck, der Wahnsinn. (…) Nichts kann mich mehr so glücklich machen, wie ich damals war. Es war dumm von mir, den Kontakt abzubrechen. Ja, ich kann Milosevic Schuld geben für seine Politik. Aber nur mir allein kann ich die Schuld dafür geben, dass ich dich nie mehr angerufen habe.“ Die Amsterdamer sind überzeugt: „Diese Videobriefe muss das Fernsehen zeigen, in der ganzen Region“, und sie starten ihr Projekt „Videoletters“, mit Finanzhilfe vom niederländischen Außenministerium, von der OSZE, der deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit, dem US-Entwicklungsdienst USAID, der britischen Botschaft in Belgrad und der Soros-Stiftung.

Seit April strahlen alle staatlichen ersten Programme des ex-jugoslawischen Fernsehens in Belgrad, Podgorica, Sarajevo, Skopje, Zagreb, Ljubljana und Prishtina die „Videoletters“ aus, jeden Donnerstag – in Kroatien am Dienstag – 20 bis 25 Minuten lang. RTS 1, der Belgrader Sender, zählt zur Hauptsendezeit etwa zwei Millionen Zuschauer, die kroatische Fernsehstation HRT 1 ungefähr eine Million. Aufgrund des großen Feedbacks in der Region planen die Sender jetzt auch moderierte Gespräche zu den einzelnen Episoden, zur Aufarbeitung des Erlebten.

So schlicht und heilsam nämlich wirken auch die „Videoletters“ nur kurzfristig, nicht auf Dauer, wie jedes Versöhnungsgespräch nach langer Entfremdung. „Am Anfang sind alle Seiten gerührt und reumütig“, sagt der Bosnier Senad H., „später kommt dann auch die Bitterkeit all der Jahre zum Vorschein, in denen der eine Mensch den anderen im Stich gelassen hatte“. Das Fernsehen als Therapeut hat nur eine bedingte seelische Reichweite, und manche Kritiker des Projekts bezeichnen es als rührselige Reality-Show. Unbestritten scheint dennoch, dass die Videobriefe Wirkung haben. Bei vielen Zuschauern lösen sie die Fantasie aus: Wie wäre es, wenn ich diesen oder jenen Freund so ansprechen könnte, wie die Leute auf dem Bildschirm.

Auf einer Website in den Sprachen der Region und auf Englisch (www.videoletters.net) können Zuschauer selbst nach Freunden suchen oder ihre Reaktionen äußern. Da schreibt der 44-jährige Emir Softic aus Sarajevo an die Serbin Ivana, die in Belgrad während des Krieges Ersatzmutter für einen behinderten bosnischen Jungen war, er lebe seit dem Krieg unter einem Schleier. Der Krieg „hat Terror, Angst und unmessbares Leid gebracht“. Aber „die Fernsehsendung heute Abend hat einen Sturm unter dem Schleier erzeugt“. Unter Tränen will Emir Softic Ivana danken. Jederzeit sei seine Tür in Sarajevo für sie offen. „Gott schütze dich und schenke uns mehr Leute wie dich.“

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