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© ZDF

Serie: Psychologie isst Krimi auf

Die neue ZDF-Serie „Flemming“ weiß noch nicht, was sie sein will.

Es kommt knüppeldick für Vince Flemming. An einem einzigen Tag wird er geschieden und verliert seinen Arbeitsplatz. „Und wenn Sie glauben, es könnte nicht schlimmer kommen, so irren Sie sich.“ Vince Flemming (Samuel Finzi) ist Polizeipsychologe. Er nimmt Abschied von seinem Büro und von seiner Frau Ann (Claudia Michelsen), die zugleich seine Chefin war – Leiterin der 4. Mordkommission in Berlin. Es fügt sich, dass Flemming noch gebraucht wird. Da ist ein kleiner Junge in Neukölln verschwunden. Flemmings Know-how ist vonnöten.

„Vince, ich halt ja nicht viel von Psychologie“, sagt ein dicker alter Bulle zu Flemming, als der seine Sachen packt, und bestätigt damit die typischen Vorurteile eines Bullen gegen Seelenklempnerei auf dem Revier. Aber dass der nette Kollege gehen soll, das findet der Alte doch nicht richtig. „Die Kündigung war einvernehmlich“, wiegelt Flemming ab. Er hat also auch von sich aus hingeschmissen. Das Revier gibt ihm ein Abschiedsständchen.

Vor der Scheidungsanwältin äußert sich seine künftige Exfrau ähnlich wie der alte Kollege. „Was glauben Sie, wie es ist, mit einem Psychologen verheiratet zu sein?“ Man würde unablässig beobachtet, „kein Tonfall, den er nicht interpretiert“. Das war’s also, Ehe zu Tode therapiert. Auf dem Flur des Gerichts küsst sich das geschiedene Paar ein letztes Mal, aber so, als wär’s das erste Mal.

Dann ist da noch ein (Ex-)Kollege, auch dick, aber nicht alt, der sich mit Flemming anlegt. Der Psychologe schießt zurück, sehr prompt, sehr scharf, in Minutenschnelle analysiert er des anderen prekäre Situation zwischen Ehefrau und Geliebter und das alles nur mittels eines Schuhabdrucks, eines Hemdes, das nicht zum Schlips passt und einer Brötchentüte. Fazit: Alle wehren sich gegen diesen Flemming, weil es nichts gibt, das er nicht durchschaut. Zugleich aber verfallen ihm alle – wegen seines Scharfblicks und seines Charmes. Die Polizei hat schon eingesehen, dass sie ohne ihn nicht auskommt, und die Ehefrau wird irgendwann ein Gleiches tun. Fünf Folgen – da ist genug Raum für ein spektakuläres Auf und Ab im Leben des Meisterpsychologen.

Wie steht nun der Zuschauer zu diesem Szenario? Er denkt wie der dicke alte Bulle, denn auch er pflegt dessen Vorurteil gegen Seelenklempnerei auf dem Revier. Er möchte einen Krimi sehen. Verbrechen. Fälle. Schuld und Sühne. Ist da ein Psycho-Doc, dem es nach eigenem Bekunden nicht darum geht, Verbrecher zu fangen, sondern sie zu „heilen“, wirklich der passende Held? Das ist die Frage. Im Krimi regiert die Aktion, die Jagd, der Showdown. Die retardierenden Momente sind Spurensicherung und Zeugenbefragung. Psychologie kommt am Rande vor, wenn es darum geht, das Mordmotiv zu eruieren. Aber wenn sie ins Zentrum des Geschehens rückt, wird es sofort heikel, da dann die genretypische Action zu weit hinter Reflexion und Dialog zurückzustehen droht. Deshalb sind Profiler, Trauerbegleiter und andere Psi-Spezialisten in Krimiserien auch meist nur in Nebenrollen beschäftigt. Eine Ausnahme ist die „Bloch“-Serie im Ersten; hier projiziert der Protagonist die begründeten Zweifel daran, dass Tiefenpsychologie im Krimi ihren Platz hat, so nachhaltig und gekonnt auf seine eigene Person und Leistung, dass es wieder funktioniert. Ein Glücksfall.

So ein Glück hat „Flemming“ im Pilotfilm nicht. Die Betonung seines intuitiven psychologischen Durchblicks – im Umgang mit Kollegen und bei der Lösung des Entführungsfalls – wirkt aufgesetzt, die beiläufigen Freud-Zitate („Glanz im Auge“, „Anatomie ist Schicksal“) desgleichen. Dieser Mr. Rollkragen ist das Gegenteil von Bloch: selbstsicher, forsch, smart, witzig, laut Pressetext sogar „Erotomane“, sprich Schürzenjäger. So jemand verbringt sein Leben nicht mit Introspektion. Seine Psycho-Erkenntnisse wirken denn auch eher wie Taschenspielertricks, seine Erklärungen angelesen.

Die Figur stimmt hinten und vorne nicht (Buch: Gregor Edelmann, der auch „Der letzte Zeuge“ geschrieben hat). Ein Psychotherapeut, allemal ein Polizeipsychologe trennt gewöhnlich zwischen dem professionellen Blick auf Klienten oder Verdächtige und seinem Privatleben und zerstört seine Ehe nicht durch Daueranalyse seiner Frau. Erst recht nicht, wenn er sie, wie es hier der Fall ist, noch liebt. Was die Psychologie im Krimi letztlich ausmacht, ist Menschenkenntnis. Die traut der Zuschauer Flemming nicht zu. Er empfindet diesen Wichtigtuer als naseweis. Eine Resthoffnung besteht, insofern Pilotfilme manchmal wegkippen und die Folgen dann einlösen, was der Pilot versprochen und nicht gehalten hat. Wünschen möchte man dies den wackeren Schauspielern und natürlich dem geneigten Publikum.

„Flemming“, 21 Uhr 15, Freitag, ZDF

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