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Serie: Sex, Lügen und Hymnen

Eine New Yorker Werbeagentur um 1960: Viele sagen, die neue US-Serie „Mad Men“ sei fabelhaft, stilbildend, einzigartig. Ist sie das wirklich?

Es gibt eine gute Nachricht und eine schlechte. Zuerst die gute: Ab heute zeigt der Sender ZDFneo endlich die hochgelobte, brillante, unglaubliche, stilbildende, einzigartige, umwerfende, revolutionäre Serie „Mad Men“, die bereits seit 2007 in den USA Kritiker und Zuschauer gleichermaßen begeistert und in Deutschland bisher nur im Bezahlfernsehen zu sehen war. Und jetzt die schlechte Nachricht: Ich finde diese Serie nicht gut. Überhaupt nicht. Kein Stück. Das ist natürlich vor allem eine schlechte Nachricht für mich. Denn sie könnte bedeuten, dass ich überhaupt keine Ahnung habe vom Fernsehen. Für einen Fernsehkritiker keine optimale Voraussetzung.

Alles spricht gegen mich. Seit ungefähr zwei Jahren schwärmen auch in Deutschland die Menschen von dieser Serie, jedenfalls die, die sie bereits auf DVD gesehen haben. Sie sei so intelligent erzählt, so ganz anders als alles, was es sonst so im Fernsehen geben würde. „Mad Men“ sähe außerdem auch noch ganz fantastisch aus: die Anzüge der Männer, die Kostüme der Frauen – die Autos, die Restaurants, die kleinen und großen Details. Außerdem habe man selten ein so genau gezeichnetes Gesellschaftsbild über New York und die USA Anfang der 60er Jahre gesehen, als quasi alles erfunden wurde, was unsere Moderne ausmache.

All das würde ich auch gerne in „Mad Men“ sehen, aber ich sehe es einfach nicht. Ich sehe eine New Yorker Werbeagentur um 1960. Dort arbeiten die so genannten Mad Men, eine Art Wortspiel. Die Agentur liegt an der Madison Avenue, „mad“ bedeutet aber auch wahnsinnig, verrückt, irre, böse. Im Mittelpunkt der Serie steht der Chefkreative Don Draper. Er ist verheiratet und hat Affären. Alle anderen Männer in der Serie haben auch Affären. Manche Männer in der Werbeagentur haben gute Ideen, manche schlechte. Frauen spielen auch eine Rolle, nämlich die der Ehefrau oder der Sekretärin oder der Geliebten. Alle rauchen. Alle trinken. Alle sind auf ihre Art unglücklich. Das Leben wird kompliziert, die Welt scheint im Umbruch. Das alles ist furchtbar langweilig.

„Mad Men“ hat in den USA quasi jeden Fernsehpreis bekommen. Für die meisten Kritiker ist es die beste Serie, die im Fernsehen läuft. Manches aus der Serie ist längst Bestandteil des popkulturellen Kanons. Über die Schauspieler erschienen bereits Hymnen. Man weiß im Prinzip längst, wie toll „Mad Men“ ist. Und vielleicht ist es ein Problem von ZDFneo, dass alle, die sich für „Mad Men“ interessieren, „Mad Men“ schon gesehen haben.

Nach dem ich die ersten Folgen gesehen hatte, fragte ich bei den Befürworten nach. Ich verstand nicht, warum ich den Zauber der Serie nicht sah. Einige sagten, ich müsste bis zur fünften Folge Geduld haben. Dann würde es super werden. Ich hatte Geduld bis zur sechsten Folge. Es wurde nicht super, es wurde immer schlimmer. Alle Charaktere waren mir von Anfang an unsympathisch. Das bedeutet, dass es mir egal ist, was aus ihnen wird, ob es ihnen gut ergeht oder nicht. Noch schlimmer fand ich allerdings, dass ihnen im Prinzip überhaupt nichts passiert – ich habe nach Spannungsbögen geforscht, ich habe manche Folgen dreimal gesehen, aber ich habe keine Spannungsbögen gefunden. Manchmal fand ich Hinweise. Es gab Andeutungen, dass Don Draper, die Hauptfigur, gar nicht Don Draper heißt. Da dieser Draper aber nicht nur sein Geld mit Lügen verdient – schließlich ist er Werber – sondern auch seine Frau betrügt, kommt es ja nun auch nicht mehr darauf an, ob er einmal ein anderer war. Ich habe kein Interesse an Don Draper, und Jon Hamm, der diesen Draper spielt, erinnert mich an die grobschlächtige Version von Robert De Niro.

Ich kann mich auch nicht dafür begeistern, dass in einer Fernsehserie geraucht, gesoffen und rumgehurt wird. Für einige Fans scheint das eine Sensation zu sein, so wie die „politisch unkorrekten“ Gespräche und die Anmachsprüche, aber dramaturgisch macht es keinen Sinn, weil sich fast jede Person in dieser Serie unmoralisch verhält und zwar dauernd. Deshalb gibt es keine Überraschungen, nichts, was verblüfft.

Was mich nach sechs Folgen „Mad Men“ aber dann doch verblüfft: Ich weiß immer noch nicht, worum es eigentlich geht. Es gibt welche, die sagen, es geht um die Zeit, diese unglaubliche, großartige Zeit, darum, wie man damals gelebt hat, um die Träume, die die Menschen damals hatten, um die Sehnsüchte, die sie geleitet haben. Und vielleicht stimmt das. Vielleicht ist „Mad Men“ deshalb auch eine ganz großartige Serie. Vielleicht kann ich das einfach nicht sehen.

„Mad Men“, ZDFneo, 22 Uhr 30

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