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"Sie als Jüdin...": Der ewige Antisemitismus

"Die Kinder von Blankenese": Ein Dokudrama über junge Juden 1945 in Deutschland.

Yossef Erez wurde im Alter von zwei Jahren von seiner Mutter, ehe sie vor den Deutschen floh, in einem russischen Waisenhaus versteckt. Jahre später wird Yossef aus einem KZ befreit. Was dazwischen mit ihm geschah, bleibt im Dunkeln. Aber noch einige Zeit lang versteckt er, obwohl längst an einem sicheren Ort, Brotstücke unter seinem Kopfkissen. „Ich konnte mir nicht vorstellen, dass auch morgen genug Essen da sein würde.“

Das Dokudrama „Die Kinder von Blankenese“ des in diesem Genre erprobten Raymond Ley („Eichmanns Ende“, „Die Nacht der großen Flut“) behandelt ein selten erzähltes Nachkriegskapitel. Eine Geschichte aus einer Übergangszeit, als Nazi-Deutschland gerade erst besiegt und Israel noch nicht gegründet war. Mittendrin eine Gruppe jüdischer Kinder, die ihre Familie verloren und den Horror der Nazi-Lager durchlitten hatte.

Die aus dem KZ Bergen-Belsen im April 1945 befreiten Kinder und Jugendlichen waren von den Briten in eine Villa in Hamburg-Blankenese gebracht worden, zur Verfügung gestellt durch eine von den Nazis vertriebene jüdische Familie. Dort wurden sie von Hilfsorganisationen betreut, ehe die Briten die Ausreise in das unter ihrer Verwaltung stehende Palästina erlaubten. Aber das dauerte. Und so lernten die jungen Juden zwischen Schulstunden, Kino und Reeperbahnausflügen, dass es „noch ein Leben nach dem Lager gibt“, wie sich Esther Grinberg erinnert. Die Deutschen wurden von ihnen gefürchtet und gehasst. Israel war für die meisten tatsächlich das Gelobte Land, aber nicht alle sehnten Palästina herbei.

Ley hat nicht nur mit Überlebenden gesprochen, sondern auch mit damaligen Helfern. Mit Ben Yehuda, Lehrer und Soldat der jüdischen Brigade. Mit Betty Adler, der Leiterin dieses ungewöhnlichen Kinderheims, die als junge, unerfahrene Frau aus New York nach Hamburg gekommen war. Und mit Reuma Weizman, der Witwe von Israels Staatspräsident Ezer Weizman, damals eine Lehrerin Anfang 20, die von dem Antisemitismus der Deutschen schockiert war, wie ihre Briefe aus dieser Zeit belegen. „Die Leute waren nicht besonders freundlich“, sagt sie heute diplomatisch. Beim Zoobesuch fallen abfällige Bemerkungen, im Krankenhaus wird ein jüdisches Mädchen nur widerwillig aufgenommen. Und selbst Weizmans Fahrlehrer lobt ihre Künste nicht ohne den Zusatz: „Für eine Jüdin …“

Aber auch untereinander ging es nicht nur harmonisch zu. Als eine neue Gruppe hinzustößt, die meisten blond, werden sie von einigen als „Halbjuden“ beschimpft. Es sind eben auch ganz normale Jugendliche, die flirten, die erste Liebe erleben oder Revierkämpfe austragen. In den ausführlichen Spielszenen wird der Wunsch endlich zu leben deutlich, ohne dass es allzu plakativ wird. Sogar eine wahre Liebesgeschichte gibt es: Simcka Landau konnte sich in Blankenese nicht zwischen zwei Mädchen entscheiden. Heute sind er und Tamar verheiratet.

Schwierig und zwiespältig bleibt die Fiktionalisierung des Holocausts: Der Schrecken, den die Überlebenden als Kinder erleben mussten, spiegelt sich eher in ihren Gesichtern und ihren Erzählungen als in den Versuchen, die Gewalt oder die Innenansicht der Lager zu inszenieren. Besonders erschütternd allerdings ist die Geschichte des kleinen David, der als einziger in einem Waggon voller Juden auf dem Weg nach Auschwitz überlebte, weil er ein kleines Loch in den Boden kratzte. Ein kleines Loch, durch das frische Luft dringt und an dem ein ganzes Leben hängt.

„Die Kinder von Blankenese“, Arte, Mittwoch um 20 Uhr 15

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