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Medien: „Sieh mal an, einer von uns!“

Dénes Törzs, der letzte Abend-Ansager, über lockere Kleidung, Helmut Kohls Silvester und die Kunst, den Zuschauer persönlich anzusprechen

Herr Törzs, wie geht es einem beinahe abgeschafften Ansager?

Sehr gut. Und abgeschafft bin ich ja auch nicht. Wer will, kann mir nachmittags weiter bei der Arbeit zusehen.

Angefangen haben Sie 1977, aber erst in den achtziger Jahren kamen Sie ganz groß raus.

Traumhafte Zeiten waren das, kann ich Ihnen sagen. Oft waren die TV-Beiträge nur 25 oder 26 Minuten lang, im Programmschema aber auf eine halbe Stunde ausgelegt. Ich hatte also vier oder fünf Minuten ganz für mich allein, in denen ich sagen und machen konnte, was ich wollte. Da kam bei einer Vierstunden-Schicht schnell eine halbe Stunde oder mehr zusammen. Ein Garten Eden.

Sie fielen ja auch sonst ein wenig aus der Rolle.

Sie meinen, dass ich im Pullover vor der Kamera saß und keine Krawatte trug? Das war doch eine kleine Studio-Revolution, oder? Die Zuschauer mochten das.

Vielleicht, weil da ein Mensch saß, der ihnen nicht ganz unähnlich war.

Irgendwie privat, ganz und gar nicht feierlich.

Haben Sie sich bewusst so leger gekleidet? Vielleicht sogar eine gezielte Provokation?

Provokation - wo denken Sie hin. Wenn ich ehrlich bin, dann muss ich zugeben, dass ich mir die Sache mit dem Pullover gut überlegt habe. Fernsehen ist ein kühles Medium. Ich wollte das durchbrechen. Da habe ich mich gefragt, warum ziehst du dich nicht so an wie die Leute, die dich gleich sehen werden und vielleicht sagen, sieh mal an, einer von uns. Das war vielleicht primitiv gedacht - aber es hat funktioniert.

Keine Proteste von der Korrektheits-Fraktion?

Haben Sie eine Ahnung! Aber wie verrückt! Nun hatte ich diesen ausländischen n, trug diesen Pullover und hatte obendrein keine Krawatte um, das war manchen zu viel. Es gab viele Anrufe, vor allem von älteren Herren, die dann etwa Folgendes sagten: „Sagen Sie mal, gibt es denn keine deutschen Ansager mehr, muss das denn sein mit diesem Ungarn?“ Ich habe meine Karriere auch meinem damaligen Chef, Klaus Schönfeld, zu verdanken, der es zuließ, dass Ausländer beim NDR vor der Kamera arbeiten konnten. Damals durchaus keine Selbstverständlichkeit.

Sie sind Ausländer?

Ich komme zwar aus dem ehemals ungarischen Teil der Slowakei, besitze aber seit über 40 Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft. Ich hatte einen slowakischen Pass. Mir kam es aber darauf an, dass meine Kinder einen deutschen Pass haben sollten. Als ich die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt habe, war ich am Wuppertaler Theater engagiert. Deutscher zu werden war gar nicht so einfach. Ich musste zum Beispiel beweisen, dass ich der deutschen Sprache mächtig bin. Und die Herren besuchten in meiner Abwesenheit meine Wohnung um mal nachzusehen, was denn der Kandidat gerade so liest. Die wussten genau, wann ich Probe hatte, und dann haben sie meiner Frau einen Besuch abgestattet. Die ganze Prozedur kostete mich ein Monatsgehalt Gebühr. Als ich dann Staatsbürger werden durfte, bekam ich außer einer Landkarte von Westdeutschland das Grundgesetz in die Hand gedrückt. Ich habe es oft gelesen. Ich finde es immer wieder phänomenal, was die Väter des Grundgesetzes geleistet haben.

Vom Pullover-Revoluzzer zur Plaudertasche. Die Nach-68er waren Ihnen wegen Ihres gemütliches Outfits auch nicht gerade grün.

Das habe ich auch gespürt, aber die Angriffe waren nie so vehement, dass ich mich hätte fürchten müssen. Mein damaliger Intendant, Friedrich Wilhelm Reuker (CDU), hat mal zu mir gesagt: „Jetzt weiß ich, wo Sie hingehören. Sie sind ein Grüner! Immer diese Pullover!“ Ich habe ihn dann auf seine eigenen Worte verwiesen, dass wir als Journalisten doch zur Parteilosigkeit verpflichtet seien. Und ich hielte mich natürlich daran. Darauf Reuker: nobel, nobel.

Sie standen im Zentrum einer der spaßigsten Aktionen der deutschen Fernsehgeschichte: der vertauschten Silvesteransprache von Helmut Kohl.

Ich hatte an diesem Silvesterabend Dienst ...

... und haben die Bänder vertauscht ...

... nein, nein. Aber ich war dabei, als das Drama über den NDR hereinbrach - ein Höhepunkt meiner Karriere. Kurz nachdem es passiert war, stürzte Intendant Reuker in den Sender, an den Füßen Filzlatschen, riss die Tür zum Senderaum auf und brüllte: Sabotage, Bubenstreich! Die See ging hoch, es war gewaltig.

Aber es war kein Bubenstreich.

Leider Gottes, nein. Es war nichts als ein armseliges Versehen. Später hagelte es Abmahnungen, und wir mussten einen Film über die Sache drehen. Mich wollte Reuker auch abmahnen weil er der Meinung war, ich hätte das Unglück vermeiden müssen, weil ich so nah dran war. Aber ich war wie heute freier Mitarbeiter, deshalb konnte er mir nichts. Aufgefallen war mir allerdings schon, dass der Herr Bundeskanzler bei seiner Ansprache im ZDF eine andere Krawatte trug.

Herr Törzs, keiner sagt so an wie Sie. Kann man Törzs lernen?

Ansagen ist ein Handwerk, keine Kunst. Man muss wissen, was man will. Und wenn man es lang genug macht, dann kann man ein Törzs werden. Ich bin ja kein reiner Ansager, eher ein Programm-Moderator. Ich sehe mich auch als Verkäufer. Ein guter Verkäufer muss das Produkt kennen, das er verkaufen will. Er muss überzeugen - nicht nur Worte vom Papier ablesen.

Kennen Sie, was Sie da verkaufen?

Nicht immer zur Gänze. Aber ich informiere mich, bevor ich meine Moderationen schreibe, über das Programm. Vieles kenne ich zumindest in Ausschnitten. Es ist ja nicht so, dass alle Ansager- und innen ihre Texte selber schreiben. Ich habe allerdings meine Texte in all den 25 Jahren immer selbst geschrieben.

Dénes Törzs, der erste investigative Programm-Moderator. Und vermutlich der Letzte.

Ich finde es sehr bedauerlich, dass auf die persönliche Ansprache des Zuschauers verzichtet wird. Viele Menschen mögen genau das, wie ich aus vielen Zuschriften weiß. Es ist doch schön, wenn sie ein Mensch anspricht und sagt: „Schön, dass Sie eingeschaltet haben.“ Mir geht es als Zuschauer nicht anders.

Warum wird Arte nicht so viel gesehen, wie es das Programm verdiente?

Die schmeißen ihr Programm so oft um, und keiner sagt es mir. Da fehlt etwas.

Was zeichnet einen guten Programm-Moderator aus?

Er muss ein journalistisches Bein haben. Und ein komödiantisches, damit er gut verkaufen kann. Er muss subjektiv sein. Eine Moral haben. Sich interessieren. Dann müsste ausgeschlossen sein, dass eine Ansagerin einen Film mit den Worten ankündigt: „Sehen Sie jetzt einen Film über Kormorane. Ein Kormoran hat eine Spannweite von 350 Metern.“ Aber es ist passiert.

Aber Sie haben Journalismus nie gelernt.

Nein. Wie einer meiner Chefredakteure so gerne klagte: immer diese Amateure! Also Törzs: raffen, raffen, raffen. Aber es ist ein Unterschied, ob Sie einen Sprechtext schreiben oder einen Text, der gedruckt werden soll.

Darf der Ansager unterhalten?

Er muss es sogar. Henri Regnier, einer meiner ersten Unterhaltungschefs beim NDR, hat mir das elfte Gebot beigebracht: Du sollst nicht langweilen.

Verraten Sie uns eines: Warum werden denn nun die Abend-Ansager beim NDR abgeschafft? Unterhaltung kann es doch nie genug geben.

Da müssen Sie schon meinen Programmdirektor fragen. Aber wir bleiben ja dem Nachmittagsprogramm erhalten. Weil man beim NDR der Ansicht ist, das Programm könnte ein bisschen Belebung gebrauchen.

Herr Törzs, woher nehmen Sie eigentlich diese Begeisterung?.

Aber man braucht Leidenschaft, sonst kommt beim Zuschauer nichts an. Es ist auch der Respekt vor den Kollegen, die sich bemühen, ein gutes Programm zu machen. Dahinter darf der Moderator nicht zurück fallen. Ich bin die letzte Instanz, bevor das Produkt an die Kundschaft geht. Das verpflichtet zu äußerster Sorgfalt.

Das Interview führten Thomas Eckert und Joachim Huber.

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