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Medien: „Soll schon wieder Schluss sein?“

Medien sind mehr als Wirtschaftsgut oder Kunst, sagt Peter Glotz

Zutreffende Analysen über Medien hat es auch schon gegeben, bevor irgendeine Zeitung daran dachte, eigene Medienseiten einzurichten. Klassische Beispiele sind die großen Essays Hans Magnus Enzensbergers über „Spiegel“ oder „FAZ“. Und schon bevor Waldemar Schweitzer oder Günther Kress die Information über die Informationsmedien systematisierten, gab es kenntnisreiche Autoren, die das System Journalismus als solches entschlüsselten. Harry Pross gehörte zu ihnen ebenso wie Kurt Wagenführ oder Hermann Meyn.

Die gegenwärtige Krise der Printmedien reißt gewaltige Löcher. Sind Medienseiten überflüssig, weil man die entsprechenden Analysen genauso im Feuilleton oder im Wirtschaftsteil drucken kann? Wer diese Frage sinnvoll beantworten will, kann sich von der Wissenschaftstheorie Rat holen. Dort gibt es die berühmte Unterscheidung zwischen Material und Formalobjekt. Zum Beispiel bietet der Mensch eine Fülle von Material für die Wissenschaften; und doch gibt es keine „Menschenwissenschaft“, sondern nur spezifische Betrachtungsweisen, die dann Disziplinen wie die Medizin, die Psychologie, die Soziologie, die Anthropologie und manch andere hervorbringt. Nicht anders bei den Medien; ich kann sie unter ästhetischem, ökonomischem oder politischem Blickwinkel analysieren. Das Ergebnis – und damit der Gewinn für den Leser – ist jeweils höchst unterschiedlich. Auf das „Formalobjekt“, die Betrachtungsweise, kommt es an.

Die Medien repräsentieren heute nicht nur einen der wichtigsten Industriezweige der Wirtschaft. Sie repräsentieren vor allem den wichtigsten Mechanismus, mit dem Menschen sich überhaupt über die sie umgebende Welt informieren können. Beispiel Irakkrieg: Die politische Redaktion eines Blattes mag die „Entwaffnung Saddams“ für sinnvoll halten, die Wirtschaftsredaktion mag abwägen, welche Folgerungen aus einem gesteigerten Ölpreis entstehen könnten.

Die Medienseite aber interessiert sich für die Wirkungsweise des Mediums selbst: Gibt es wieder Pool-Journalismus wie im Golfkrieg 1991, werden Journalisten also nur in genau festgelegter Zusammensetzung an genau festgelegte Stellen der Front geführt? Welche Vereinbarungen existieren zwischen dem Pentagon und CNN? Wie wird die Militärzensur diesmal gehandhabt? Ohne Zweifel ist es formal gleichgültig, an welcher Stelle derartige Analysen stehen. Wichtig aber ist, dass die Kultursysteme Zeitung, Zeitschrift, Fernsehen, Hörfunk, Internet etc. nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten befragt werden. Diese Aufgaben haben bisher, ein paar Jahre lang, die Medienseiten erfüllt. Soll damit schon wieder Schluss sein?

In der Feuilletonredaktion besucht der alteingesessene Filmkritiker seit vielen Jahren die Berlinale. Er weiß genau, was der neue Scorsese-Film ästhetisch bedeutet. Er kennt alle Schattierungen der Beziehung zwischen Claude Lelouch und Anouk Aimée. Interessiert er sich aber auch für Dieter Kosslicks neues Konzept für das Festival? Debattiert er die Auswirkung der Personalie, derzufolge Fred Kogel demnächst die Leitung von Constantin Film übernimmt?

Beide Betrachtungsweisen, „Methoden“ sind relevant, beide heben unterschiedliche Seiten des Gegenstandes hervor. Der Debatte um die Medien aber würde etwas fehlen, wenn sie nicht mehr als Kommunikationskanäle, Gedächtnismaschinen, Sprachebenen oder Datenuniversen analysiert würden, sondern nur noch als Wirtschaftsgut, Kunst oder Politik.

Peter Glotz ist Professor für Medien und Gesellschaft an der Universität St. Gallen.

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