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Misstrauen.  Jan (Andreas Lust) weiß nicht, wie er seiner Frau Karen (Sophie von Kessel) seine Tat beichten soll.

© Arte

Spielfilm: Brüchiges Eis

Tim Trachte zeigt in seinem Spielfilm-Debüt auf Arte, wie die Welt einer bürgerlichen Familie aus den Fugen gerät. Anders als bei vergleichbaren Filmen nimmt das Drama ein überraschendes Ende.

Er ist Arzt, sie Musikerin. Sie haben ein Kind, ein zweites ist unterwegs. Jan und Karen wohnen in einem Haus am Stadtrand, eine Musterfamilie aus der oberen Mittelschicht, gebildet, materiell abgesichert. Auf dem Rückweg von einer Party geraten sie am S-Bahnhof mit zwei jungen Männern aneinander. Einer der beiden entreißt Karen die Handtasche. Der Verlust ist überschaubar, eigentlich fehlt nur eine Brosche, die Jan seiner Frau zum Geburtstag geschenkt hat. Doch der Überfall ist in „Davon willst du nichts wissen“ der erste Riss in der geordneten Welt des Paares. Tim Trachte erzählt in seinem Spielfilm-Debüt, wie sich dieser Riss wie auf der Eisfläche eines zugefrorenen Sees ausbreitet, verzweigt und zur existenziellen Gefahr wird.

Nach dem Überfall fährt das Paar geschockt nach Hause. Weil er Nachtdienst hat, muss Jan noch einmal los. Im Vorbeifahren entdeckt er einen der beiden Täter, der einen Rucksack bei sich trägt, möglicherweise mit Karens Handtasche. Jan folgt ihm heimlich und stellt ihn erneut am Bahnhof. Der Junge läuft weg. Es kommt zu einer Rangelei zwischen den Gleisen – und zur Katastrophe. Der Junge stürzt und wird von einem Zug überfahren. Nun ist aus dem kleinen Riss brüchiges Eis geworden. Doch Jan, der sich unbeobachtet wähnte, erzählt niemandem von der Tragödie. Auch die Stichverletzung, die ihm der Junge bei der Rangelei zufügte, versorgt er selbst und verheimlicht sie sogar vor seiner Frau. Das scheint eine Weile gut zu gehen.

Der österreichische Schauspieler Andreas Lust („Revanche“, „Der Räuber“), leider ein viel zu seltener Gast im deutschen Fernsehen, spielt diesen Jan, an dem es nichts auszusetzen gibt. Er ist nett zu Karen (Sophie von Kessel), spielt mit seinem achtjährigen Sohn Felix Verstecken und treibt viel Sport. Überhaupt wird in der Familie Wert auf ein gesundes Leben gelegt, bei Verstößen kann Karen auch mal streng werden.

Wenn das russische Au-pair-Mädchen Milla nach Zigarettenqualm stinkend nach Hause kommt, setzt es einen kräftigen Tadel. Nachwuchs-Star Alina Levshin, zuletzt für ihre Hauptrolle in „Kriegerin“ mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet, ist hier in der Nebenrolle der Milla zu sehen, einer verschlossenen jungen Frau, für die sich Jan und Karen auch nicht sehr besonders zu interessieren scheinen.

Langsam treibt Autor und Regisseur Tim Trachte das böse Spiel mit der blitzsauberen Familienwelt voran. Jan empfängt auf seinem Handy Videos, die darauf schließen lassen, dass es wohl doch einen Zeugen für seine Beteiligung am Tod des jungen Mannes gibt. Vermutlich war es der zweite Räuber, der die Tragödie beobachtet hat. Jan wird zunehmend nervös, er schläft schlecht, wirkt daheim abwesend und fahrig, ist auch beim Squash mit seinem Freund nicht bei der Sache. Dass Karen Probleme in der Schwangerschaft hat, bekommt er gar nicht mit. Als Jan schließlich ein Video erhält, auf dem sein Sohn in der Schule zu sehen ist, wird die Gefahr beängstigend klar.

Wie die heile Familienwelt zusammenbricht und wie anständige Bürger auf Bedrohungen recht unzivilisiert zu reagieren imstande sind, ist ein immer wieder gerne erzähltes Film-Sujet. Trachte entschied sich für eine ruhige, konzentrierte Inszenierung. Subtil und leise erzeugt er die unterkühlte Atmosphäre einer wachsenden Verunsicherung. Und er nutzt die Freiheit seines vom Kleinen Fernsehspiel (ZDF) unterstützten Debütfilms, nicht in weit verbreitete Krimi-Muster auszuweichen, sondern das Familiendrama konsequent zu Ende zu erzählen. Genauer gesagt: zu einem überraschenden Ende, das die Familie zugleich rettet und zerstört.

„Davon willst du nichts wissen“, Arte, 20 Uhr 15

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