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Brennendes Herz

© promo

Spielfilm: Träume in Flammen

Im ARD-Drama "Brennendes Herz" will ein Neonazi seiner Vergangenheit entkommen.

Wenn jemand wegen eines Brandanschlags auf eine Synagoge zwei Jahre im Gefängnis sitzt und auf der Schulter ein tätowiertes Hakenkreuz trägt, dann muss er wohl ein Neonazi sein. Kurt heißt er. Und dann kommt er raus und rettet schon am ersten Tag in Freiheit eine Türkin. Allerdings erst, nachdem er ein türkisches Restaurant angezündet hat. Und verliebt sich in die Türkin. Und wird in ihren Armen … aber das genügt wohl schon. Sprechen nicht alle Indizien für ein akutes Delirium des Drehbuchautors? Und der hat auch noch die Regie: Manfred Stelzer.

Fast möchte man ihm schon fahrlässigen Umgang mit der Wirklichkeit vorwerfen, doch es ist merkwürdig: Der ARD-Film „Brennendes Herz“ an diesem Mittwoch ist – wenn man von seiner Handlung absieht – ein durchaus bemerkenswerter, starker Film. Das liegt an Hauptdarsteller Alexander Scheer als Kurt und an den Ebenen. Ist denn die Ebene des Tatsächlichen wirklich das Wichtigste an einem Film? Was, wenn „Brennendes Herz“ eigentlich ganz woanders spielt?

Wer wirklich jung ist, ist zwar in der Wirklichkeit anzutreffen, körperlich lebt er im Grunde aber in anderen Welten. Meist in einem Traum von sich, einem möglichst großen Traum. Wahrscheinlich ist das selbst bei jungen Neonazis so, obwohl ihre visionäre Kraft über „Saufen“ und „Weiber“ verbal nicht hinausreicht. Das Alter der großen Sprüche eben. Und je unauffindbarer, verborgener, ja ängstlicher das Ich, desto größer die Sprüche. So wie bei Bomber (Christoph Franken), Kurts bestem Freund. Und wenn es für die „Weiber“ nicht reicht, sondern nur fürs Bier, bleibt manchmal bloß noch die Synagoge auf dem Nachhauseweg.

Das Realitätsprinzip in uns empört sich: Das macht keiner einfach so! Aber wer sagt denn, dass die übelsten Taten die größten Vorsätze brauchen? Und machen diese jungen Rechten nicht alles einfach so? Aufgrund eines dumpfen Unbehagens lauter Leihüberzeugungen vor sich herzutragen, denen nichts entspricht, kein Wissen, schon gar keine Erfahrung? Aber einen guten Instinkt haben sie für die letzten Tabus in einer weitgehend tabulosen Gesellschaft.

Nein, Manfred Stelzer nimmt die Überzeugungen dieser Jungen nicht so ernst. An keiner Stelle erfahren wir, wie Kurt oder Bomber zu Neonazis wurden. Stelzer und sein Hauptdarsteller Alexander Scheer waren sich einig, dass sie alles, bloß keinen sozialkritischen Jungnazi-Film machen wollten. Wahrscheinlich nehmen sie Kurt, Bomber und die anderen so nur umso ernster.

In „Brennendes Herz“ sind alle Konturen und Grenzen noch flüssig, unbestimmt. Die Ich-Kerne sind noch nicht festgeworden. Auch die Tatsachenwelt dieses Films befindet sich in solchem Fluss. Als wäre da so wenig Realitätswiderstand, wie sie die Dinge in Träumen haben. Denn darum geht es wohl: um die Erprobung des Weltwiderstands.

Nur einer hat plötzlich schon schärfere Konturen, das ist Kurt. Er hat diese zwei Jahre Knast hinter sich, er will zurück zu seinem besten Freund und den anderen – und findet Kinder. Er ist zu erwachsen geworden für ihre Sprüche, ihre Brandspiele. Er hätte es ahnen können, aber wer rechnet schon mit dem Nächstliegenden? Kurt will endlich wieder zu jemandem gehören – zu wem sonst als zu seinem besten Freund, der mit an der Synagoge war und den er doch nicht verraten hat?

Daran glauben sie, daran wollen sie glauben: an einen starken Begriff von Treue, von Freundschaft. An das letzte Nichtrelative in einer Welt, in der alles relativ ist. An das, was nie infrage stehen kann, wenn alles andere infrage steht. Und Kurt findet das Gegenteil: er bleibt einsam, vor allem, wenn er mit den anderen zusammen ist.

Alexander Scheer ist als Schauspieler Autodidakt. Er hatte seine erste Rolle vor Jahren in Leander Haußmanns „Sonnenallee“. Diesem Kurt gibt er eine große Verlorenheit, die beinahe etwas Surreales hat. Und darum etwas sehr Glaubhaftes, noch in den jähen Ausbrüchen von Gewalt – aus Ohnmacht, aus Selbsthass, Welthass, nicht Fremdenhass. Und gut, dass Scheer mit seinen langen Haaren nicht aussieht wie ein Klischee-Neonazi. Obwohl das nicht Absicht, sondern eine Notlösung war, weil er zeitgleich einen Junkie spielte.

So verschwenderisch „Brennendes Herz“ mit Brandanschlägen und Briefbombenattentaten umgeht, so sparsam zeichnet Scheer seinen Kurt. Kleinste Gesten, ein Augenaufschlag genügen. Dieser Kontrast ist wichtig, er ist selbst fast surreal und trägt auch die Liebe zu der jungen Türkin Ayse (Ivan Subay). Denn Stelzer schreckt nicht zurück vor einer Quasi-Romeo-und-Julia-Geschichte, wobei Türken und Neonazis für die feindlichen Familien stehen.

„Brennendes Herz“, ARD, 20 Uhr 15

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