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Medien: Stalin in Stilettos

Wie US-„Vogue“-Chefin Anna Wintour zur mächtigsten Frau der Modebranche aufstieg

Ihr Büro hat sie dann doch renovieren lassen. Zwar mit gebührendem zeitlichen Abstand, zwei Monate nachdem der Film in den USA angelaufen war, aber der Zusammenhang entging den Klatschkolumnisten der Stadt trotzdem nicht. „Vogue“-Chefredakteurin Anna Wintour fühle sich an ihrem alten Schreibtisch im Condé Nast-Haus in Manhattan nicht mehr so recht wohl, ließ der Firmensprecher verbreiten, schließlich wisse jetzt die ganze Welt, wie es dort aussieht. Hollywood hatte ihre Arbeitsstättte für „The Devil Wears Prada“ (Der Teufel trägt Prada) originalgetreu nachgebaut. In dem Film dreht sich alles um die berühmte Mode-Chefin, ein unvorteilhaftes Portrait, erzählt aus der Sicht einer malträtierten Assistentin.

Als der Streifen im Juli in den USA anlief, gab sich Hauptdarstellerin Meryl Streep alle Mühe, jede Ähnlichkeit mit Wintour abzustreiten, bei dem Charakter handle es sich vielmehr um eine Melange. Dabei konnte jeder, der sich in der Klatsch- und Modewelt nur ein kleines bisschen auskennt, die Parallelen sofort erkennen: Der Pagenschnitt, die kurzen Kleider, die Vorliebe für sündhaft teure Handtaschen, die notorische Sonnenbrille – Wintour 1:1. Der Film beruht auf dem Buch von Wintours ehemaliger Assistentin Lauren Weisberger, die nichts unversucht ließ, um das Zerrbild der Chefredakteurin als fürchterliche Furie, eiskalt und gnadenlos, ein „Stalin in Stilettos“, erneut zu füttern.

Wintour, 56, hat sich ihren Ruf als einflussreichste „Fashionista“ in der Branche redlich verdient. Das fing schon auf einer englischen Privatschule an, als sie – vor die Wahl gestellt, die Länge ihre Rockes den Gepflogenheiten anzupassen oder nicht mehr wiederzukommen – die höhere Bildung an den Nagel hängte und lieber in einem Designerladen in London jobbte. Als Spross einer gut situierten Amerikanerin und des einflussreichen „Evening Standard“-Chefredakteurs Charles Wintour musste sich Anna um ihre Zukunft wenig Gedanken machen. Papa sorgte dafür, dass seine Tochter beim „Harpers & Queen“-Magazin unterkam. Von dort ging es weiter zu „Harper’s Bazaar“, zu „Viva“, dem „New York Magazine“, zur britischen „Vogue“ und zu „House & Garden“.

Wo immer sie auftaucht, macht die Redakteurin durch ihr unfehlbares Stilempfinden, ihr frisches, modernes Layout und ihre gewagten Fotostrecken auf sich aufmerksam. Das kommt allerdings bei den Lesern nicht immer nur gut an. In „House & Garden“ veröffentlichte Wintour so viele Modestrecken, dass die Branche bald spottete, das Blatt müsse in „House & Garment“ (Haus & Kleidung) umbenannt werden. Die Leser liefen in Scharen davon. Condé Nast’s damaliger Creative Director Alexander Lieberman wird auf die junge Wintour aufmerksam und lädt sie zu einem Gespräch mit der „Vogue“-Chefredakteurin Grace Mirabella ein. Als sie die Bewerberin fragt, welchen Posten sie bei dem Magazin anstrebe, gibt die nur zurück: „Ihren.“

Lieberman zwingt Mirabella, die Redakteurin trotzdem anzustellen – und schon bald befehden sich die beiden nach Kräften. In ihrer Autobiografie beklagt sich Mirabella später, dass Wintour von Anfang an versucht habe, ihre Autorität zu unterhöhlen. Hinter ihrem Rücken verändert sie die Layouts, und wenn die anderen Redakteure nicht mitspielen, beschimpft und bedroht sie sie. 1988 ist Wintour am Ziel, Mirabella wird gefeuert und sie selbst zur neuen Chefin ernannt. Damit endet für das Magazin, was die Kritiker später die „beige Phase“ nennen, Wintour konzentriert es wieder auf die Modewelt, zeigt Trag- und Bezahlbares in Kombination mit Avangardistischem. Sie holt Prominente ins Blatt, Politikerinnen auf den Titel – aber nur, wenn alle nach ihrer Pfeife tanzen. Oprah Winfrey muss für sie zehn Kilogramm abnehmen, Hillary Clinton versprechen, kein Marineblau zu tragen.

Ihren eiskalten Führungsstil habe sie nach dem Vorbild ihres Vaters modelliert, mutmaßt Biograf Jerry Oppenheimer in seinem 2005 erschienenen Buch „Front Row Anna Wintour“. Charles Wintour unterbrach einst ein Interview mit einem britischen Minister selbst dann nicht, als ihm die Nachricht vom tödlichen Fahrradunfall seines zehnjährigen Sohnes überbracht wurde. Wintours Familie zerbricht über diesen tragischen Verlust, Tochter Anna bemüht sich später, ihren beiden Kindern ein wohlbehütetes Zuhause zu schaffen. Dass ihre Ehe mit dem Kinderphsychologen David Schaffer zerbricht, als sie dem texanischen Telefon-Tycoon Shelby Bryan verfällt, kann sie dennoch nicht verhindern.

Für die Klatschpresse ist die Affäre 1999 ein Fest, für Wintour eine Qual. Dem „New York Magazine“ erzählt ein „Vogue“-Redakteur damals: „Es ist komisch, wir alle wissen von der Affäre und dauernd ist etwas in den Klatschspalten. Es ist, als wäre sie dabei erwischt worden, etwas Menschliches zu tun.“ Wintour steht die Krise mit steinernem Gesicht und unantastbarem Äußeren durch – nicht anders als etwa die vielen Angriffe der Tierschützer, die der Chefredakteurin und Pelz-Fetischistin Wintour so oft etwas Unappetitliches ins Gesicht schmieren, dass die nach eigenem Bekunden irgendwann aufgehört hat, zu zählen. „Vogue“ erobert unter ihrer Führung seine alte Vormachtstellung zurück, mittlerweile erreichten das Heft und seine Ableger mit jeder Ausgabe 2,3 Millionen Leser. Den jüngsten Angriff aus Hollywood parierte Anna Wintour ebenfalls grazil: Zur Premiere von „The Devils Wears Prada“ in New York erschien sie persönlich – in Prada natürlich.

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