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Start up: Seiten-Wahl

„niiu“ stellt nach Leserwünschen eine Tageszeitung zusammen - eine Art Best-of-Print. Die ersten Ausgaben sollen am 16. November im Briefkasten sein.

Verschlafen wirkt Wanja Oberhof nicht gerade an diesem Dienstagmorgen. Zusammen mit Hendrik Tiedemann hat er sich das Konzept der individualisierten, gedruckten Tageszeitung ausgedacht, und als die beiden Berliner Studenten und Geschäftsführer nun nach Jahren der Vorbereitung ihr Projekt „niiu“ der Öffentlichkeit vorstellten, wehte so etwas wie frisch-forsche Start-up-Atmosphäre durch eine Betriebshalle in Berlin-Marienfelde. Dort, in der Wilhelm-von-Siemens-Straße, steht eine neue Druckmaschine, die die erste Tageszeitung in Deutschland möglich macht, welche sich Leser nach eigenen Wünschen aus dem Material von 20 Tageszeitungen und über 500 Internet-Seiten zusammenstellen und ab 16. November in Berlin in den Briefkasten zustellen lassen können.

Ein personalisiertes Best-of der Tagespresse, ausgewählte Seiten und Rubriken aus nationalen und internationalen Zeitungen, jeder Leser quasi sein eigener Blattmacher – die Idee ist nicht ganz neu, bisher haperte es immer an der Umsetzung und einer Einbindung von Internet-Content. Den lokalen Aufmacher aus dem Tagesspiegel, den Sportteil lieber bunter aus einer Boulevardzeitung wie der „BZ“, das „Thema des Tages“ vielleicht aus der „Frankfurter Rundschau“, das Vermischte aus der „Bild“-Zeitung, ein bisschen Wirtschaft aus dem „Handelsblatt“, ein Essay aus der „New York Times“ und für Zugezogene aus Bayern noch der Lokalteil aus der Münchner „Abendzeitung“. Das alles im Internet unter www.niiu.de bestellt, in Marienfelde auf 24 Seiten und einer modernen Digitaldruckmaschine zu Papier gebracht, am nächsten Morgen in Berliner Haushalten zum Frühstück geliefert, ohne dass irgendein uninteressanter Teil sofort wieder ins Altpapier wandert.

Es war, so Wanja Oberhof bei der Präsentation, ein langer Weg von der Studentenidee zur fertigen Zeitung, trotz Branchen-Skepsis in Zeiten sinkender Auflagen bei Print-Produkten und „gelegentlichem Verschlafen“ (Tiedemann über Oberhof in der Pressemappe). Laut Tiedemann sei Papier derzeit noch das komfortabelste Medium. Die Mehrzahl der Leute, auch der jungen, lese lieber auf Papier als am Bildschirm, und 60 Prozent der Menschen zwischen 20 und 30 Jahren nehmen mehrmals pro Woche eine Zeitung in die Hand. Diese Zielgruppe interessiert auch die – bislang – 17 kooperierenden Verlage, die „niiu“ ihre Inhalte gegen eine Lizenzgebühr zur Verfügung stellen, darunter der Verlag Dieter von Holtzbrinck Medien (DvH Medien), zu dem der Tagesspiegel gehört.

Besonders interessant dabei für Verlage und Anzeigenkunden: durch das sogenannte „Targeting“-Modell kann Werbung, anders als bei herkömmlichen Zeitungen, in Hunderttausender-Auflage gedruckt und mittels entpersonalisierter Kundendaten zielgruppengerichtet an den Leser gebracht werden. Ähnlich wie bei den jungen, sozialen Netzwerken Facebook oder StudiVZ im Internet. „Der Leser im Grunewald bekommt dann mit seiner ,niiu‘-Ausgabe Werbung für Chanel No. 5“, sagt Oberhof, „der im Prenzlauer Berg Anzeigen für Mode von Tom Ford.“

Mit rund 5000 Lesern, sprich Abonnenten, rechnet man nach den ersten fünf Monaten, zunächst nur in Berlin. Nur hier sei erst mal die Zustellung bis acht Uhr morgens gewährleistet, montags bis samstags. Die Abomodelle sind vierstufig: von einem Tag, über 25 Tage und drei Monate bis hin zu 150 Tagen. Der Semesterstart soll einen zusätzlichen Anschub verschaffen. Dennoch: Kritiker halten das Preismodell für ziemlich mutig. 1,80 Euro soll „niiu“ kosten, für Studenten 1,20 Euro. Warum werden Leser für ein Produkt zahlen, das sich im Netz kostenlos zusammenstellen lässt? „Niiu“ biete etwas, das Internet und E-Paper nie leisten könnten, glaubt Hendrik Tiedemann, den haptischen Luxus einer Zeitung. „Den Komfort, sich zurückzulehnen und ein paar Minuten lang Informationen zu genießen, die einen interessieren.“ Das sei viel entspannter, als hektisch am Bildschirm zu lesen und von einem Link zum nächsten zu wechseln.

Hektisch dürfte es in den nächsten Wochen weiter in den Räumen des Start-up-Unternehmens InterTi zugehen, dessen zwölfköpfiges Team um Tiedemann, 27, und Oberhof, 23, das „niiu“-Projekt stemmt und nun auf erste Abonnenten, weitere Verlagsanfragen, Investoren und Anzeigenkunden wartet. Das mit dem Namen hat schon mal ganz gut geklappt. „niiu“ sei ein Fantasiewort, sagt Wanja Oberhof, das habe keinerlei Bedeutung. So wie Google.Wenn es jetzt noch so erfolgreich wie Google wird.

www.niiu.de

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