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Der Physiker und die DDR-Spionin im Auswärtigen Amt. Jakob Alsmann (Tim Bergmann) weiß nichts vom Doppelleben seiner Freundin Bea Kanter (Julia Koschitz).

© WDR

Stasi-Film "Unsichtbare Jahre": Keine Macht für niemand

Julia Koschitz spioniert im ARD-Film "Unsichtbare Jahre" als depressive westdeutsche Unternehmerstochter für die Stasi. Tatsächlich sind noch immer 1000 Ex-Spione nicht enttarnt.

Frankfurt, 1974. Die Ponys sind lang, die Schlaghosen weit, Deutschland wird Weltmeister. Das Foyer der Universität ist mit Flugblättern tapeziert, sie gilt als Hochburg der linken Szene. In WG-Zimmern wird über die Kolonisierung der Frau durch den Mann diskutiert oder gleich freie Liebe praktiziert. In diese Welt zieht es die junge Bea Kanter (Julia Koschitz) nach dem Tod der Mutter, weg aus der spießigen Kleinbürgerlichkeit ihres Vaters (Friedrich von Thun), eines Schraubenfabrikanten, der für die CDU im Stadtrat sitzt. VWL-Studentin Bea interessiert sich mehr für marxistische Hochschulgruppen. Und wird, irgendwann nach einem Besuch in Potsdam, Agentin für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR. Der Film „Unsichtbare Jahre“ erzählt über 16 Jahre, vom Landesverrat bis hin zum Mauerfall, die schrittweise Abkehr der Hauptdarstellerin von allem, was ihrem Vater hoch und heilig ist.

Die 70er - ein Fest für die Kostümbildner

Die BRD und die DDR in den 1970er Jahren, das ist ja zunächst mal ein Fest, auch für die Kostümbildner in Film und Fernsehen. Alleine schon die Perücken, mit denen Julia Koschitz alias Bea durch diesen Film läuft, nicht nur zwecks Tarnung bei ihren diversen konspirativen Reisen durch Europa, bei Treffen mit Stasi-Leuten in schönen Städten wie Rom. Ein dynamischer Film. Das hat sich Regisseur Johannes Fabrick (Buch: Hannah Hollinger) zurechtgelegt: die Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit als graugesichtige Männer, die bevorzugt Kasseler essen und cremefarbene Anzüge tragen auf der einen Seite, dagegen die bunte Welt des prosperierenden Wirtschaftssystems und der Apo-Zeiten in der BRD, keine Macht für niemand. Geraucht wurde auf beiden Seiten der Mauer viel.  Bea will nur noch der einen Seite helfen. „Ein System, das so viel Wohlstand produziert, der aber nur so wenigen zugutekommt, ist dem Untergang geweiht“, sagt Bea.

Schwierig wird es für den Zuschauer, wenn sich über dieses durchaus realistische Polit-Drama – rund 12 000 „Kundschafter“ wurden von der Stasi in der BRD angeworben, der spektakulärste Fall war wohl der von Kanzleramtsspion Günter Guillaume, über 1000 sind noch nicht enttarnt – eine verspätete Coming-of-Age-Geschichte legt. Die Emanzipierung, das Erwachsenwerden einer stets missverstandenen Tochter, die im Grund eher auf die Therapeutencouch gehört als in die Transitzone.

Dort, bei der Therapeutin, landet Bea dann auch. Spätestens da fragt man sich, ob diese Story rundum Hand und Fuß hat; dass eine psychisch derart labile Person Karriere beim Auswärtigen Amt machen kann und dann auch noch, unbehelligt vom BND, munter drauflos für die DDR spioniert, Kollegen und Kommilitonen aushorcht, Dokumente fotografiert. Ein eher fragwürdiger Film, der durch das vordergründig unauffällig, dünnhäutig-sensible Spiel von Julia Koschitz deutlich aufgewertet wird. Sie brauche die Ideologie, um die Leere zu füllen, sagt Bea an einer Stelle. Am Ende steht über allem nicht die Frage, was das bessere System ist, sondern: „Wie schaffe ich es, nicht mehr alleine zu sein?“

„Unsichtbare Jahre“, Mittwoch, ARD, 20 Uhr 15

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