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Stilkritik: Rücktritt will geübt sein

Nicht live: Der journalistisch-politische Komplex mit Anlaufschwierigkeiten beim Guttenberg-Goodbye.

Die Inszenierungsqualität in der deutschen Politik darf, nein, sie muss weiter verbessert worden. Schon als Horst Köhler am 31. Mai 2010 seinen Rücktritt als Bundespräsident erklärte, waren zwar Fernsehkameras im Schloss Bellevue installiert, doch ohne das notwendige Live-Equipment ausgerüstet. Köhler gab nicht vor laufenden Kameras auf, ein Unding in der heutigen Mediengesellschaft, die es gewohnt ist, dass Krieg und Krise im Fernsehsessel mitverfolgt werden. Wenn die Bundesliga live übertragen wird, dann bitte auch Katastrophen-TV.

Der Rücktritt von Karl-Theodor zu Guttenberg von all seinen Ämtern fand am Dienstag knapp nach 11 Uhr 15 statt – per Handy. Als einziger Sender übertrug n-tv die Erklärung des CSU-Politikers aus dem Bendler-Block über ein Mobiltelefon. Im Hintergrund liefen Archivbilder von Guttenberg aus dem Bundestag sowie mit Gattin Stephanie im Blitzlichtgewitter. Konkurrenzsender N 24 brachte zur gleichen Zeit ein Telefoninterview mit Politikberater Hans-Hermann Tiedje, der Guttenberg als „einen der ungewöhnlichsten Politikdarsteller, den wir nun verlieren“ bezeichnete.

Was auch immer die Gründe für das Fehlen der Livebilder gewesen sein mögen (siehe Seite 4), die Sender waren auf die „Breaking News“ unterschiedlich vorbereitet. Während das Erste mit dem Bekanntwerden der News ein Laufband durch den Ha-Ha-Film „Für immer 30“ zog, dann rasch eine „Tagesschau extra“ zeigte und mit Hauptstadtstudio-Chef Ulrich Deppendorf den Ton zum nicht vorhandenen Bild machte, war das Zweite tatsächlich das Zweite. Die Telenovela „Lena – Liebe meines Lebens“ und die Dauerschnulze „Reich und schön“ waren ein Groteskprogramm im Moment des Ereignisses.

Geschwindigkeit ist nicht die Sache des öffentlich-rechtlichen TV-Elefanten, er ist stark, sobald er ins Laufen gekommen ist. Eine Schneise nach der anderen wurde ins aufgeregte Durcheinander geschlagen, quer durch die Parteien und die Republik nach Meinungen und Reaktionen gefahndet. Ein bisschen lächerlich war es dabei schon, wie sehr die Öffentlich-Rechtlichen betont hatten, nach „ARD-Informationen“, nach „ZDF-Informationen“ werde Guttenberg zurücktreten. Hier ging es beileibe nicht um das Beharren auf einer vermeintlich unter Gefahr für Leib und Leben recherchierten Exklusivmeldung, hier musste die schlicht-schwierige Aufgabe bewältigt werden, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein – im Verteidigungsministerium, im Programm, für die Zuschauer.

Hat nicht geklappt, doch dann, nach einer kurzen, bilderlosen Schockstarre, war sie da, die Rücktrittsroutine im journalistisch-politischen Komplex. Beide Seiten, die Medien wie die Politik, wissen um ihre Rollen und Aufgaben. Keine zwei Stunden nach dem Guttenberg-Auftritt war er das erste Mal durchgearbeitet. Die weiteren Formate der Analyse und Vertiefung – „Spezial“ hier, „Brennpunkt“ dort, die Talks von „Menschen bei Maischberger“ bis „Hart aber fair“ – warteten schon. Köhler war eine Katastrophe fürs Live-TV, Guttenberg eine Beinahe-Katastrophe – beim Merkel-Abgang muss alles klappen. Es konnte lange genug geübt werden.

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