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STIMMEN AUS DEM NETZ: Synchron goes Internet

Immer mehr Agenturen und Sprecher vermarkten sich per Online-Plattform. Das Netz hat das Geschäft mit der Stimme beschleunigt und vereinfacht.

Die deutsche Schauspielerin und Synchronsprecherin Heike Schroetter liest ihren Text ins Mikrofon, Bild und Ton sind perfekt im Einklang. Seit 30 Jahren ist sie im Geschäft. Sie sprach und spricht für Stars wie Sharon Stone, Kirsty Alley, Kim Cattrall oder Tilda Swinton. Bei „Pretty Woman“ war sie die vorlaute Prostituierte neben Julia Roberts. Das alles klingt glamourös, aber die Synchronbranche ist gnadenlos. Wer unpässlich ist, wird umbesetzt. Wer zu alt wird, dem droht das Abstellgleis, weil Alter zu hören ist. „Um wirklich Erfolg zu haben, müssen die technischen Finessen sitzen, um locker mit der Stimme umgehen zu können“, sagt Schroetter. Der Sprecher muss sehr diszipliniert sein.

„Er sollte seine Stimme kontrollieren können und sie bei der Arbeit am Mikrofon akzentuiert einzusetzen wissen.“ Heike Schroetter ist bei der Berliner Agentur „Stimmgerecht“ unter Vertrag, die von der Synchronaufnahmeleiterin Birgit Hartig vor zehn Jahren gegründet wurde. Nicht jeder Schauspieler eignet sich automatisch für das Synchron. „Vor der Kamera zählen Dialog und Gestik. Bei der Vertonung sitzt man allein im Dunkeln und muss Monologe emotional vortragen“, sagt Hartig. Was real mit 20 Sprechern begann, ist heute ohne Internet nicht denkbar. 2001 baute sie die real existierende Agentur auch virtuell auf, ohne sich über die Erfolgschancen mit dem neuen Medium sicher zu sein. Dabei, sagt Hartig, war die Netzpräsenz ein „absoluter Versuchsballon“. Zwei Jahre hat es gedauert das Geschäft bis zur Rendite zu bringen. Inzwischen vertritt Birgit Hartig 2000 bis 2500 Sprecher, von jungen Talenten bis zu den alten Hasen. „Trotz schwerer Zeiten kann ich die Gehälter in meiner Agentur bezahlen". Am gefragtesten sind derzeit die Muttersprachler für Englisch, Russisch, Spanisch oder Chinesisch. Sie werden bevorzugt für Industriefilme großer Konzerne gebucht, die oft in mehreren Sprachen vertont werden. Kurz dahinter rangieren die Werbe- oder Hörbuchsprecher, Neuzugänge sind die Kinder- und Jugendstimmen.

Wer also in Dortmund lebt, kann ebenso einen sprachlichen Beitrag in Stuttgart leisten. Abgesehen von der schnell nachkommenden Konkurrenz sieht Birgit Hartig wenige Nachteile am Synchrongeschäft im Netz. „Die Sprecher verfügen über ungeheure Präsentationsmöglichkeiten, wir haben weniger Verwaltungsaufwand als früher.“ Sobald ein Profil erstellt ist, können Stimmproben und Imagefilme hochgeladen werden. Die Möglichkeiten zur eigenen Darstellung sind vielfältig. Der Kunde klickt sich durch und sucht selbst aus. Alles automatisiert, sogar Dialekt und Stimmlage. Das reichhaltige Angebot kann die Kunden allerdings überfordern, dann greift die Agentur ein und stellt Onlinecastings zusammen, die sich nach den Anforderungskriterien richten. Wird ein Sprecher vermittelt, gehen zehn bis 20 Prozent der Auftragssumme an die Agentur. Das Netz hat das Geschäft mit der Stimme beschleunigt und vereinfacht. Daher besitzen fast alle Agenturen hochmoderne Tonstudios und viele besser gestellte Sprecher ein eigenes Heimstudio. Diese eignen sich besonders für Werbeproduktionen, da die Texte zu hause einsprechbar sind. Für ein paar Tausend Euro kann ein guter PC, ein teures Mikro und die notwendige Software angeschafft werden. Im besten Fall sogar eine schalldichte Sprecherkabine.

Ingrid Metz-Neun, die bekannteste Synchronschauspielerin Deutschlands, arbeitet heute ohne Agentur. 1966, nach Abschluss ihrer Schauspielausbildung, bekam sie ihr erstes Engagement für eine Lumina-Kinowerbung, die in einer Garage in Offenbach eingesprochen wurde. Später gründete sie ein Synchronstudio, ein Hörbuchlabel sowie eine Synchronschule. „Meinen Erfolg messe ich daran, dass ich mein Wissen weitergeben kann.“ Seit 40 Jahren in der Branche ist sie in ebenso vielen Städten die Stimme in Bussen und Bahnen, liest online für „Die Zeit“ und gilt als akustischer Wiedererkennungswert von Ferrero-, Jakobs-Kaffee- oder Campari-Werbespots. Sie hat ihren "Traumjob" noch vor dem Internetzeitalter kennen gelernt und über den neuen Markt ist sie geteilter Meinung. „Internet ist für mich ein Reizwort, doch solange man im Berufsleben aktiv ist, darf man sich vor keiner Neuerung verschließen, sonst ist man in kürzester Zeit out.“

In den vergangenen zwei bis drei Jahren sind nach Schätzungen der Vereinigung Deutscher Sprecher (VDS) 30 neue Agenturen dazugekommen. Sprecher binden sich nicht exklusiv, sie sind frei verfügbar für den Markt. Bei Schauspielern ist das anders, sie sind fest an eine Agentur gebunden. Online können Preise schnell verglichen und das preisgünstigste Angebot ausgesucht werden. Über diesen Zustand klagt vor allem Rainer Maria Ehrhardt, Vorstand des VDS: „Unter unbekannten Neulingen entsteht so ein erbitterter Preiskampf.“ Die VDS setzt sich für die Rechte der Sprecher ein, der Verband bietet Rechtschutzversicherungen und Hilfe bei administrativen Fragen. „Stimmgerecht“ vertritt vor allem berühmte und professionelle Synchronschauspieler wie Dietmar Wunder (Daniel Craig) oder Nadja Reichardt (Jennifer Aniston). „Insbesondere für die Werbung vermarkten sich die großen Stimmen besser, sie sind toll und teuer“, sagt Birgit Hartig. Wenn das Geld der Kunden reicht, zählen nur die Namen. „Ein Sprecher, der exklusiv für die Spots einer Automarke gebucht wird, kann bis zu 20 000 Euro verdienen. Solche Aufträge helfen uns sehr.“

Auf dem Portal „Bodalgo“ mit 1700 Sprechern finden auch weniger erfahrene mit professionellem Anspruch ein Forum. Jeder Bewerber muss mit Hörproben und Referenzen seine Schauspielausbildung oder eine verwandte Tätigkeit nachweisen. Der Münchner Armin Hierstetter betreibt das Portal, den „Marktplatz für Sprecher", seit gut zwei Jahren und ließ sich von dem System eines amerikanischen Vorbilds inspirieren. Sein Konzept: Nicht er verwaltet die Castings, sondern der Kunde selbst stellt seine Anforderungen kostenlos zusammen. Wenn diese erfüllt sind, erhält der Sprecher eine Einladung. Im Gegensatz zu allen anderen Agenturen in Europa, verlangt „Bodalgo“ keine Vermittlungsprovision. Das Ein-Mann-Unternehmen lebt von den Premium-Mitgliedschaften der Sprecher, die monatlich 15 Euro kosten und es den Stimmen erlauben, sich auf Castings zu bewerben. Hierstetter achtet sehr darauf, keine zu niedrigen Budgets der Auftraggeber zuzulassen. Ebenso, dass sich die Sprecher selbst nicht mit Dumping-Angeboten die Preise kaputt machen.  Laut VDS liegt eine angemessene Gage für einen Fernsehspot bei 500 Euro, für Radiospots bei zirka 350 Euro und die beliebten Industriefilme bis zu fünf Minuten Länge werden mit durchschnittlich 250 Euro vergütet. „Die Qualität leidet am meisten unter dem Konkurrenzkampf im Internet“, behauptet der VDS. Wegen der unzähligen Preislisten für Sprecher in Deutschland und um es Neulingen zu erleichtern, hat Hierstetter den „bodalgoMat“ entwickelt. Ein Tool, dass es erlaubt, Sprecherpreise schnell und unkompliziert zu berechnen. Wer bei der Aufnahme in eine professionelle Kartei scheitert, wittert seine Chancen im Onlineprofil. Bei "Bodalgo" ist die Erstellung ohne weiteres möglich, allerdings kontrolliert Hierstetter die Qualität aller Profile vor der Freischaltung.

Das Internet und seine Agenturen werden zur Plattform für den Einstieg. Sehr viel seltener zum ruhmreichen Podium für Hollywoodstimmen.

Jemima Gnacke

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