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Streit um Nutzerkommentar: Durchsuchung der Augsburger Allgemeinen stößt auf Kritik

Ein Augsburger Politiker erwirkt einen Durchsuchungsbeschluss gegen die Augsburger Allgemeine. Der Grund: ein Nutzerkommentar im Netz. Dieser Fall zeigt die Probleme mit den Kommentaren. Doch die Zeitung will sich nun wehren.

Von Anna Sauerbrey

Unverhältnismäßig! Geht gar nicht! Die Kommentatoren auf Twitter waren sich einig: Der Augsburger Ordnungsreferent Volker Ullrich hat über die Stränge geschlagen. Was hatte der Mann nur gemacht, um so viel nationale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen?

Die Geschichte beginnt im Herbst 2012. Ein Vorstoß Ullrichs, Tankstellen nach 20 Uhr den Verkauf von Alkohol an Fußgänger zu verbieten, wird im Kommentarforum der „Augsburger Allgemeinen“ lebhaft diskutiert. Der CSU-Politiker fühlt sich von einem Nutzer, der unter dem Pseudonym „Berndi“ schreibt, beleidigt. Der Kommentar lautete: „Dieser Ullrich verbietet sogar erwachsenen Männern sein Feierabend-Bier ab 20 Uhr, indem er geltendes Recht beugt und Betreiber massiv bedroht.“ Der Anwalt des Ordnungsreferenten wendet sich an die Zeitung und fordert den Klarnamen des Nutzers. Die Zeitung weigert sich, den herauszugeben, prüft aber den Eintrag und entschließt sich, ihn zu löschen. Der Anwalt bemüht dennoch das Amtsgericht Augsburg und erwirken einen Durchsuchungsbeschluss. Am Montag stand die Polizei damit vor der Redaktion – die die Daten herausgab.

Der Fall ist in vielerlei Hinsicht spannend: Wo hört eine Meinung auf, wo beginnt eine Beleidigung? Ist ein Nutzerbeitrag auf der Seite eines Medienunternehmens besonders geschützt? Außerdem verweist der Fall auf ein größeres Problem: Wie kann in den Foren im Internet eine produktive Debatte ermöglicht werden, ohne dass die Daten der Nutzer erhoben werden und damit letztlich ihre Anonymität gefährdet wird?

Die erste Frage ist recht schnell beantwortet. Die meisten Juristen, die den Fall kommentieren, sehen in der konkreten Äußerung keine Beleidigung. Der Beitrag wurde offenbar von einem Nutzer ohne juristische Vorbildung verfasst. Denn eine „Rechtsbeugung“, sagt der Berliner Anwalt Alexander Ignor, der auf Medienstrafrecht spezialisiert ist, kommt nur bei rechtlichen Entscheidungen vor, zum Beispiel von Richtern. Der Begriff sei wohl eher ein Ausdruck dafür, dass der Leser das Verhalten des Ordnungsreferenten nicht richtig finde. „Starke Äußerungen sind zulässig, soweit sie nicht diffamierend sind. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt. Sie sind durch das Meinungsäußerungsrecht gedeckt“, sagt Ignor. Die Rechte des Betroffenen müssten abgewogen werden gegen das öffentliche Interesse daran, den Streit in der Sache auszutragen. Auch Ulf Buermeyer, Richter am Berliner Landgericht, hält die Begründung des Amtsgerichts für „hanebüchen“.

Die meisten Juristen im Netz schließen sich an. Einige, so etwa der Anwalt und Blogger Thomas Stadler, argumentierten, der Kommentarbereich einer Zeitung sei sogar durch die Pressefreiheit besonders geschützt. Er sei vergleichbar mit den Leserbriefen, die eine Zeitung abdruckt, schließlich bezögen sich die Kommentare ebenfalls auf redaktionelle Inhalte. Für die Presse aber gilt ein Beschlagnahmungsverbot.

Tatsächlich sind trotz der Masse der Kommentare und der heftigen Debattenkultur im Internet Fälle wie der bei der „Augsburger Allgemeinen“ eine Ausnahme. „Da wir unsere Community moderieren, jeder Beitrag geprüft wird und wir großen Wert auf einen respektvollen, nicht ehrverletzenden Ton legen, kommt so etwas extrem selten vor“, sagt Julia Bönisch, stellvertretende Chefredakteurin von „Süddeutsche.de“. Die anderen angefragten Nachrichtenportale wollen sich offiziell nicht äußern. Unter der Hand sprechen sie von ein bis zwei Fällen im Jahr, bei denen gegen Kommentare juristische Schritte eingeleitet werden. Von Durchsuchungen berichtet niemand.

Moderation der Kommentare ist eine Geldfrage

Allerdings wundern sich manche Community-Verantwortliche, dass die Redaktion der „Augsburger Allgemeinen“ überhaupt über die Nutzerdaten verfügte. Bei vielen Portalen, etwa bei „Zeit Online“ und auf Tagesspiegel.de genügt eine E-Mail-Adresse, um sich zu registrieren. In justiziablen Fällen darüber den Nutzer zu ermitteln, ist äußerst schwierig. Wer seine Identität verschleiern will, benutzt einen temporären E-Mail-Account. Die „Augsburger Allgemeine“ aber besteht in den Nutzungsbedingungen für ihre Community auf Klarnamen und einer Postadresse – in der anonymen Welt des Internets ein kleiner Tabubruch.

„Wir überprüfen die Adressen stichprobenartig, wenn ein Nutzer auffällt, zum Beispiel durch beleidigende Kommentare“, sagt Sascha Borowski, Online-Chef der Zeitung. Eingeführt wurde das System vor etwa zwei Jahren. „Wir haben damals festgestellt, dass viele das Forum für beleidigende oder oder rechtlich fragwürdige Inhalte missbraucht haben“, sagt Borowski. Seit Einführung der erweiterten Registrierung sei die Zahl der grenzüberschreitenden Kommentare tatsächlich zurückgegangen. Die Angst, entdeckt zu werden, hilft offenbar wirklich.

Grundsätzlich lassen sich zwei verschiedene Herangehensweisen unterscheiden, wie Medien versuchen, die Debatten im Rahmen zu halten: In moderierten Foren wird jeder Kommentar erst von einem Community-Redakteur gelesen, bewertet und dann freigeschaltet. In sogenannten „post-moderierten Foren“ wird alles freigeschaltet und erst nachträglich gelesen, in der Regel gibt es eine „Meldefunktion“, mit der andere Nutzer die Moderatoren auf grenzwertige oder nicht tragbare Inhalte aufmerksam machen können.

Für welche Methode sich ein Medium entscheidet, ist zum einen eine Geldfrage. Die „Augsburger Allgemeine“ hat 25 000 registrierte Nutzer. Eine volle Vorprüfung könnten die drei Moderatorinnen, die die Zeitung beschäftigt, nicht leisten. Es ist aber auch eine juristische Frage. Denn prüft die Zeitung alle Beiträge und nimmt sie sozusagen zur Veröffentlichung an, haftet sie auch mit bei strafrechtlichen Vergehen, etwa bei Beleidigungen oder Diskriminierungen. So will es das Telemediengesetz. Prüft das Medienunternehmen die Beiträge nicht, ist es nur verpflichtet, rechtswidrige Kommentare zu löschen, sobald es Kenntnis davon bekommt, etwa durch andere Nutzer. So sehen es zumindest die meisten Gerichte, die sich damit befasst haben.

Paradoxerweise setzt das deutsche Recht, das ja Beleidigungen eigentlich verhindern will, so den Anreiz, dass viele Medien ihre Foren ungeprüft lassen, aus Kostengründen und aus Angst vor juristischen Schwierigkeiten. Die „Augsburger Allgemeine“ hatte mit der Erfassung der Nutzerdaten einen Mittelweg gewählt, der sich nun ebenfalls als problematisch herausgestellt hat. Die Zeitung werde nun Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss einlegen, sagt Online-Chef Sascha Borowski. Das juristische Ringen geht möglicherweise weiter. Eine gute Sache aber hatte der Fall, findet er. „Den Leuten ist vor Augen geführt worden, dass das Netz kein rechtsfreier Raum ist.“

Wie läuft das Kommentieren auf tagesspiegel.de?

Um an den Debatten auf tagesspiegel.de teilnehmen zu können, muss man sich registrieren. Dazu braucht man eine valide E-Mail-Adresse. Die Angabe des Klarnamens ist nicht erforderlich. Emotionale Debatten stehen, wie in allen politischen Diskussionsforen, auf der Tagesordnung. Artikel zu den Themen Antisemitismus, Extremismus oder Islam polarisieren die Nutzer, aber auch lokalpolitische Themen wie der Bau des Flughafens BER. Um eine respektvolle Debatte zu gewährleisten, sichtet ein Moderatorenteam die Kommentare, bevor sie veröffentlicht werden. Schafft es ein Kommentar trotz eines Verstoßes gegen unsere Richtlinien in die Debatte, wird dieser nach erneuter Prüfung nachträglich wieder entfernt. Meist werden wir durch einen Leserhinweis darauf aufmerksam. Einen vergleichbaren Vorfall wie bei der „Augsburger Allgemeinen“ hat es bei Tagesspiegel.de noch nicht gegeben. (Atila Altun)

Temporäre E-Mailadresse

Verschiedene Dienste im Netz bieten temporäre E-Mail-Accounts an, auch „Wegwerfaccounts“ genannt. Die Mailkonten verfallen schon nach kurzer Zeit wieder, etwa nach 30 Minuten oder 24 Stunden. Nutzer, die besonders großen Wert auf ihre Anonymität legen, empfangen über solche Accounts die Bestätigungs-E-Mails mit den Nutzerdaten für andere Dienste. Ihre Identität ist dann nach Ablauf des Accounts nicht ohne Weiteres rückverfolgbar. (Anna Sauerbrey)

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