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Medien: Stressig ist das Nashornleben

Neue Staffel von „360 Grad – Die Geo-Reportage“ beginnt auf Arte

Das Tier hat winzige Augen in einem langen, schmalen Schädel, der in ein riesiges Maul ausläuft. Breitmaulnashorn hießt es, und es sieht aus, als stamme es aus irdischen Urzeiten, als wolle es sich verstecken unter seiner dicken Haut vor den Anforderungen der Gegenwart. Denn die Gegenwart bereitet ihm wahrhaft Stress. Narkosepfeil in die Flanke, Markierung ins Ohr, und dann wird es aus den Weiten des Parks abtransportiert, in ein Gehege gesteckt, Menschenmassen umringen es dort, dann fällt der Hammer: 32 000 Euro für Nashorn Nummer 28. Versteigerungsrekord. Die Geschichte, die Jörg Daniel Hissen in der Reihe „360 Grad – Die Geo-Reportage“ (Arte, Montag bis Donnerstag, 20 Uhr 15) aus Südafrika erzählt, hat ein Happy End: Das Tier wird eine neue Heimat finden, die sich nicht wesentlich von seiner alten unterscheidet. Die Nashorn-Käufer sind meistens Inhaber ähnlicher Reservate, die die Hauptattraktionen bilden für Touristen in Afrika. So zeigt die Reportage fast so etwas wie ein Ideal, in dem sonst Unvereinbares wie Natur, Kommerz und Tourismus zu einer harmonischen Einheit finden: Es kommen überhaupt nur die überschüssigen Tiere, die das Gleichgewicht im Wildpark bedrohen, unter den Hammer.

Und nicht nur das Breitmaulnashorn ist vor dem Aussterben gerettet. Auch die Sendung „360 Grad – Die Geo-Reportage“. Sie startet mit zwei neuen je vierteiligen Reihen in ihr viertes Jahr (Der zweite Teil läuft vom 7. bis zum 10. Oktober). Diese ungewöhnliche (und komplizierte) Kooperation zwischen einem renommierten Printmagazin, diversen Produktionsfirmen und Fernsehanstalten setzt auf höchste Qualität bei ihren Expeditionen in verborgene Winkel der Erde. Die Perfektion der Bilder ist das Eine, dazu kommen Sorgfalt bei Recherche und dramaturgischem Aufbau. Immer – egal um welches Thema es geht – steht ein menschlicher Protagonist im Zentrum.

Da ist, heute zum Auftakt, etwa der Segler Sir Peter Blake, der in die Antarktis fährt zu den Pinguinen, Seeleoparden und seltsamsten Blumen und Fischen unter dem Packeis. Oder morgen, am Dienstag, der deutsche Biologe Detlef Kelm, der im Regenwald von Costa-Rica ahnungslose Fledermäuse einsetzt, um Rodungen wieder aufzuforsten. Oder aber – das ist das aufregendste, verstörendste Stück der Reihe – der Autoknacker und Postillen-Redakteur Carlos Cambia, der im wohl ungewöhnlichsten Gefängnis der Welt sitzt: in Palmasola in Bolivien, einem von hohen Mauern umgebenen Dorf, in dem Ganoven aller Art ihre Gemeinschaft ohne Aufsicht regeln, nach eigenen, nicht gerade neuzeitlichen Gesetzen. Carmen Butta ist es gelungen, in diesen so komplexen wie gruseligen Männer-Dschungel aus Drogen, Schutzgelderpressungen, Korruption, Morden und Bandenkriegen einzudringen (7. Oktober).

Bedrohte Tiere und Landschaften zeigen, beobachtet aus der Perspektive einer engagierten Suche nach Auswegen aus den Dilemmas der Gegenwart – das ist das Markenzeichen dieser außerordentlichen Reportagen, die auf Arte Brücken zu schlagen versuchen nicht nur zwischen den Kulturen, sondern auch zwischen französischem und deutschem Publikum, das sie tatsächlich mit ansehnlichem Interesse belohnt. Mechthild Zschau

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