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Studie: Alles auf Anfang

Springer, Holtzbrinck und DuMont - wie aus dem Berliner Zeitungsmarkt wieder eine deutsche Medienhochburg werden kann.

Noch gut erinnern wir uns daran, wie Erich Böhme vollmundig ankündigte, die „Berliner Zeitung“ habe das Potenzial, die „deutsche Washington Post“ zu werden. Der hoffnungsfrohe Richtungszeig des ehemaligen Herausgebers Böhme mutet aus heutiger Sicht an wie eine Fantasterei. Nach dem unrühmlichen Gastspiel des britischen Mecom-Konzerns und des Finanzinvestors David Montgomery steht das einstmals so ambitioniert in die Berliner Republik gestartete Flaggschiff des Berliner Verlags wieder ganz am Anfang – und die Medienbranche ist um die Erfahrung reicher, wie leicht Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit von Zeitungen unterwandert werden können.

Der Neueigentümer der „Berliner Zeitung“, der Altverleger Alfred Neven DuMont, sieht sich nun mit der keineswegs einfachen Aufgabe konfrontiert, das Traditionshaus vom Alexanderplatz wiederzubeleben. Fast zeitgleich haben sich zwei weitere Verleger offensiv zur Berliner Zeitungstradition bekannt: Dieter von Holtzbrinck kehrte mit 67 Jahren aus dem Ruhestand zurück und meldete mit dem Erwerb der Tagesspiegel-Gruppe erneuten Führungsanspruch an. Auch Jakob Augstein, Sohn des „Spiegel“-Gründers Rudolf Augstein, wagte den mutigen Schritt in die Hauptstadt und krempelte das angestaubte Ost-West-Blatt „Freitag“ in nur wenigen Monaten zu einem respektablen Meinungsmedium mit ordentlicher Leserresonanz – auch im Internet – um. Und die Axel Springer AG, der Platzhirsch in der Zeitungshauptstadt, hat sich längst der „Online first“-Devise verschrieben.

Wie unser im Auftrag der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen erstelltes Gutachten verdeutlicht, verfügt der Pressemarkt Berlins über ein weitgehend ungenutztes, aber vielversprechendes Potenzial, sich um Qualität und Innovation im Pressesektor verdient zu machen. Um aus dem Schatten der deutschen Medienhochburgen Hamburg, Frankfurt am Main und München herauszutreten, muss sich Berlin selbstbewusst als Versuchslabor für einen neuen Qualitätsjournalismus entwerfen. Auf diese Weise könnte Berlin eine Strahlkraft über den regionalen Zeitungsmarkt hinaus entwickeln, die nötig ist, um Redaktionen und Verlagswirtschaft auf Dauer den Handlungsspielraum einzuräumen, der die Voraussetzung für eine lebendige und weiterhin verlässliche Journalismuskultur bildet. Hierfür ist jedoch ein stärkeres Zusammenwirken von Medienwirtschaft und Medienpolitik unumgehbar, um die bestehenden Hürden und Schwachstellen zu umgehen. Folgende Maßnahmen werden empfohlen:

Heuschreckenplagen in Gestalt feindlicher Übernahmen durch multinationale Konzerne sind längst kein Krisenphänomen des anglo-amerikanischen Raums alleine. Das Engagement des Mecom-Konzerns hat auch deutsche Zeitungshäuser vor das Problem einer ernst zu nehmenden Bedrohung von Arbeitsplätzen und journalistischer Qualität gestellt. Medien, das ist eine Lehre aus dem Intermezzo Montgomerys, sind in der Perspektive von Finanzinvestoren und Privat-Equity-Unternehmen nur noch ein Produkt unter vielen, das künftig noch stärker den oftmals volatilen Marktbedingungen unterliegt. Gefragt sind daher medienpolitische Schutzschilde gegen reine Wirtschaftsinteressen und das ausgreifende Profitstreben, aber auch neue Instrumentarien zur Selbstregulierung des gesamten Medienbetriebs, um die Handlungsfähigkeit von Redaktionen zu erhöhen und den Druck auf einzelne Redaktionen zu minimieren.

Das geltende Wettbewerbsrecht im Pressemarkt hemmt die Beweglichkeit deutscher Verlagshäuser mehr, als dass es sie fördert. Um im multimedialen und globalen Wettbewerb um Werbegelder und Nutzer bestehen zu können, muss deren Leistungsfähigkeit auf regionalen Märkten gesteigert werden. Dafür sollte die Pressefusionskontrolle schrittweise gelockert und das komplexe Kartellrecht vereinfacht werden, ohne eine generelle Liberalisierung des Medienkonzentrationsrechts zuzulassen. Im Gegenzug sind die Verlage angehalten, genaueren Einblick in ihre Geschäftspraktiken zu gewähren. Die Verhinderung von Meinungsmonopolen im nationalen und internationalen Rahmen (beispielsweise durch Megafusionen) muss weiterhin oberste Priorität bleiben. Eine Lösung könnte in einer neuen bundesweiten Superbehörde für Medienregulierung und -aufsicht liegen, die alle wesentlichen publizistischen Märkte (Presse, Rundfunk, Online, Entertainment) übergreifend in den Blick nimmt.

Berlin hat sich trotz der aktuellen Rezession seinen Nimbus als Experimentierfeld für innovative Presseerzeugnisse bewahrt. Gerade auf dem unabhängigen Zeitschriftenmarkt zeigt sich eindrucksvoll, dass der Lesermarkt journalistischen Druckerzeugnissen längst nicht abgeschworen hat – im Gegenteil: Erfindergeist, den die großen Zeitungsunternehmen allerdings nur selten an den Tag legen, wird goutiert. Hier kann eine Medienpolitik ansetzen, die günstige Rahmenbedingungen für journalistische Neugründungen und Anreize für publizistische Modellversuche schafft. Hier lohnt vor allem der Blick ins Ausland: Kooperationsmodelle und Stipendienprogramme mit renommierten Zeitungshäusern werden in London, Paris und Washington DC bereits vereinzelt praktiziert. Dabei steht weniger die wirtschaftliche Gewinnmaximierung im Vordergrund, sondern stärker der Austausch qualitativ hochwertiger Inhalte und ein grenzüberschreitender Dialog, der von der öffentlichen Hand teilgefördert wird.

Die Zukunft des Journalismus liegt im Internet, doch fehlen bisweilen noch Mittel und Wege, um eine tragfähige Finanzierungsbasis zu gewährleisten. Mit Hochdruck wird auch in den Berliner Verlagshäusern an neuen Geschäftsmodellen gearbeitet. Hier könnte die deutsche Hauptstadt eine Schlüsselposition besetzen, gilt sie doch als Anziehungspunkt für die internationale Kreativindustrie und verfügt dadurch bereits über ein ansehnliches Portfolio an unverbrauchten, experimentierfreudigen Kleinunternehmen im Medien- und Kommunikationssektor. Mit der Unterstützung medienpolitischer Förderpreise und Exzellenprogramme gilt es, entsprechende Ressourcen bereitzustellen und gemeinsam mit der Medienwirtschaft weiterzuentwickeln. Auf diese Weise könnte nicht nur der journalistische Zeitenwechsel souverän ausgestaltet werden, sondern Berlin zum Schmelztiegel einer visionären Medienkultur aufstreben. Unternehmen könnten etwa auf einen Fundus privater Ideenpools zurückgreifen, beispielsweise aus dem Umfeld der Blog-Community, um beim Ausbau des multimedialen Online-Marktes mit ausländischen Großunternehmen Schritt halten zu können.

Anzustreben ist auch der Aufbau starker journalistischer Marken im Umfeld des Kulturbetriebs und der großen Politik, wie er mit dem in Washington DC ansässigen Online-Magazin für US-Innenpolitik „The Politico“ (www.politico.com) und dem Politik-Blog „Talking Points Memo“ (www.talkingpointsmemo.com) bereits erfolgreich gelungen ist. Als Regierungssitz von internationaler Bedeutung hat Berlin inmitten Europas einen wertvollen Standortvorteil, der sich auch im Internet publizistisch niederschlagen könnte. Dass Berlin damit endlich auch zum Kristallisationspunkt gesellschaftspolitischer Debatten würde, liegt selbstredend auch im Interesse der Medienpolitik. So rasant, wie sich die Internetnutzung in allen Teilen der Gesellschaft derzeit ausbreitet, muss sich Berlin als Medienstandort ersten Ranges neu erfinden, um Problemen wie Politikmüdigkeit oder Medien-Desinteresse vorzubeugen. Konkrete medienpolitische Fördermaßnahmen und Ideenwettbewerbe sind dabei unumgänglich.

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