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Der ermordete syrische Dokumentarfilmer und Journalist Nadschi Dscheraf.

© facebook.com/naji.aljerf

Syrischer Journalist im Exil: Oppositioneller Journalist Nadschi Dscherf in Türkei ermordet

Der Dokumentarfilmer Nadschi Dscherf war Mitglied einer Organisation für unabhängigen Bürgerjournalismus - und damit wohl das Ziel von IS-Kämpfern.

Nadschi Dscherf hätte es fast geschafft: Mit dem ersehnten Visum in der Tasche wollte der zweifache Vater in dieser Woche mit seiner Familie aus der Türkei nach Paris ausreisen. Doch am Sonntag schossen Unbekannte im südtürkischen Gaziantep aus einem Auto heraus auf den 38-Jährigen, zwei Kugeln trafen seinen Kopf – am helllichten Tag, auf einer belebten Straße. Das berichteten türkische Medien. Kurz nach dem Anschlag starb der syrische Dokumentarfilmer und Journalist, der als Oppositioneller mächtige Gegner hat: das Assad-Regime und die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS). Deren Gräueltaten und den Alltag der Bevölkerung etwa in Aleppo zeigte Dscherf auf seinem Youtube-Kanal, kommentierte das Geschehen täglich aus dem türkischen Exil via Facebook und gab das politische Monatsmagazin „Hentah“ heraus. Aktuell soll er an einem neuen Dokumentarfilm gearbeitet haben.

Doch Nadschi Dscherf war auch Mitglied von RBSS („Raqqa is Being Slaughtered Silently“ – „Raqqa wird leise abgeschlachtet“). Die Gruppe gilt neben „Eye on Homeland“ als eine der wenigen unabhängigen Nachrichtenquellen in Syrien und wurde 2014 von etwa 17 Aktivisten gegründet. Damals verboten die IS-Machthaber in Raqqa die private Internetnutzung. Seither sind die Einwohner gezwungen, Internetcafés zu nutzen, wo die Miliz sie besser überwachen kann. Ein Teil von RBSS arbeitet noch immer in Raqqa, der größere Teil hat die Stadt verlassen – so wie Nadschi Dscherf. Er soll die Ausbildung von Bürgerjournalisten unterstützt haben.

Material für die BBC und Al-Jazeera

Auf der RBSS-Homepage berichten die Autoren unter Pseudonym über die Veränderungen in Raqqa seit der Machtübernahme durch die Miliz, stellen die Finanzierung und Ziele des IS dar und porträtieren getötete liberale Oppositionelle. Sie machten aber auch die misslungene Rettungsaktion um den US-Journalisten James Foley öffentlich und begleiteten die Luftschläge ausländischer Mächte gegen den IS auf kritische Weise. Internationale Medien beziehen sich immer wieder auf RBSS. Laut einer Vertrauten lieferte auch Nadschi Dscherf Material an die BBC und an Al-Jazeera.

Für den IS, der das Netz gezielt für seine Propagandamaschinerie nutzt, stellen Gruppen wie RBSS und ihre Social-Media-Kanäle eine enorme Bedrohung dar. Das bekommen die Aktivisten zunehmend zu spüren: Regelmäßig erhalten sie Drohungen, mehrere Mitglieder wurden bereits ermordet, im Oktober wurde ein Aktivist geköpft gefunden – ebenfalls auf türkischem Gebiet. Auf Twitter verkündete RBSS am Sonntag, dass die Türkei eines der gefährlichsten Länder für Gegner des IS-Terrors geworden ist. Die Nichtregierungsorganisation „Committee to Protect Journalists“, die RBSS erst in diesem Jahr mit einem Preis für Pressefreiheit ausgezeichnet hatte, forderte von der Regierung in Ankara, den Mord an Dscherf aufzuklären und syrische Journalisten in der Türkei besser zu schützen.

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