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Tabubruch: Sterbe-TV

Selbstmord zur besten Sendezeit: Die Briten diskutieren über eine Fernsehdokumentation, die den Tod eines 59-jährigen Informatikprofessors in einer Schweizer Sterbeklinik zeigt.

Ein britischer Fernsehsender hat am Mittwochabend das Sterben eines 59-Jährigen in einer Schweizer Sterbeklinik gezeigt. In dem Film setzt der Informatikprofessor Craig Ewert, der an der tödlichen Motorneuron-Krankheit leidet, einen Zeitschalter in Gang, der sein Beatmungsgerät abschaltet. Dann trinkt er durch einen Strohhalm die Mixtur von Sedativen, die ihm in der Dignitas-Klinik gereicht wird. Die Hände kann er wegen seiner Krankheit nicht benutzen. „Kann ich dir einen Kuss geben?“, fragt seine Frau Mary. „Natürlich“, sagt Craig. „Gute Reise. Wir werden uns wiedersehen.“ Als Musik für seinen Tod hat Craig Ewert den ersten Satz aus Beethovens 9. Sinfonie gewählt.

Die Szene, ein Tabubruch für das britische Fernsehen, ist Kernstück eines 90-minütigen Dokumentarfilms des Kanadiers John Zaritsky. „Es war der schwierigste Augenblick meiner ganzen Karriere“, berichtete der mehrfach preisgekrönte Dokumentarfilmer, der 1982 einen Oskar für den Film „Just another missing kid“ erhielt.

„Craig war Lehrer. Er machte diesen Film sozusagen mit seinem erzieherischen Hut auf dem Kopf. Uns interessierte, warum Gesellschaft und Gesetze über so tief gehende Entscheidungen in unserem Leben bestimmen wollen“, schrieb Craigs Witwe Mary in einem Beitrag für die Zeitung „Independent“. Eine gekürzte Version des Films wurde im Oktober in der Schweiz unter dem Titel „Der Sterbetourist“ ausgestrahlt. In Großbritannien war „Right to die?“ in der vollen 90-Minuten-Länge auf dem Bezahlkanal Sky Real Lives“ angekündigt – und hat die Diskussion über Sterbehilfe weiter angefacht. „Dies ist ein Thema, mit dem immer mehr Menschen konfrontiert sind“, verteidigte Programmdirektorin Barbara Gibbon die Ausstrahlung.

Premierminister Gordon Brown kündigte am Mittwoch an, dass sich die britische Fernsehbehörde Ofcom „mit der Angelenheit befassen“ werde. Er appellierte an die Medien, das Thema mit „Sensibilität und ohne jeden Sensationalismus“ zu behandeln. Pro-Life-Organisationen kritisierten die Ausstrahlung bereits im Voraus. Es sei „traurig und gefährlich, so etwas zu zeigen. Gefährlich, weil es Nachahmer anspornen könnte. Wir haben Gesetze, damit verwundbare Menschen geschützt werden“, so die Organisation. Auch der Zuschauerverband „Mediawatch-Uk“ kritisierte die Ausstrahlung. „Dies ist zurzeit eine wichtige politische Frage. Meine Sorge ist, dass das Programm die öffentliche Meinung beeinflussen könnte“, erklärte Verbandsdirektor John Beyer.

Die Debatte und eine Reihe aufsehenerregender Gerichtsverfahren in Großbritannien zeigen die Kluft zwischen der Gesetzeslage und dem Stand der Diskussion. Am Dienstag verwarf die Anklagebehörde Crown Prosecution Service die Anklage eines Elternpaars, das seinen querschnittsgelähmten Sohn, einen früheren Rugbyspieler, in die Schweiz zum freiwilligen Sterben begleitet. Die Beweislast sei zwar ausreichend für eine Anklage wegen Beihilfe zum Selbstmord, sagte Behördenchef Keir Starmer, ein Verfahren sei jedoch „nicht im öffentlichen Interesse“. Im Oktober war eine an MS erkrankte Frau vor Gericht gezogen, um gerichtlich feststellen zu lassen, dass ihr Ehemann ihr ohne Strafverfolgung beim Sterben helfen darf. Das Gericht lehnte ab. Es könne nur geltende Gesetze interpretieren, nicht neue machen. Jährlich sollen 900 Briten illegale Beihilfe zum Selbstmord suchen.

Craig Stewart setzt sich in dem Film mit dem Argument auseinander, Menschen dürften nicht „Gott spielen“. „Mein Beatmungsgerät spielt Gott. Ohne Technologie wäre ich schon tot. Frühgeborene Babys werden gerettet, weil Ärzte Gott spielen. Aber wenn es darum geht, die Leiden eines Menschen zu beenden, heißt es, ‚wir dürfen nicht Gott spielen’“.

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