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Rechthaben ist unphilosophisch. Das Verdienst von Rüdiger Safranski (links) und Peter Sloterdijk besteht darin, dass sie das Publikum das nie vergessen ließen.Foto: dpa

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Talk der höheren Art: Die Gunst des Aufhörens

„Das Philosophische Quartett“ diskutiert noch einmal über letzte Dinge. Dann kommt Richard David Precht.

Philosophen sind nach Peter Sloterdijk Menschen, die an Ideen leiden. Platon hätte diesen Satz nicht verstanden. Leiden, warum leiden? Ideen, insofern sie nicht Geschäftsideen sind, haben keinen besonders guten Ruf mehr. Andererseits besitzt jedes Unternehmen, das auf sich hält, seine „Philosophie“, verantwortlich zeichnet das Marketing. Und die Philosophen älteren Typs, diese Spezialisten fürs Allgemeine, sind sie nicht ohnehin von gestern?

Am heutigen Sonntag zu später Stunde bitten Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski im ZDF zum letzten Mal zum „Philosophischen Quartett“. Erkenne die Lage!, heißt der philosophische Erweckungsruf schlechthin, schließlich handelte es sich um die Selbsteinsetzung einer neuen Berufsgruppe als Konkurrenten des Schicksals. Auch diese Rolle ist ausgespielt. Erst am Vorabend der vorigen Sendung wurden die beiden Philosophen vom Fatum unterrichtet. Jeder Fernsehredakteur ist heute im Zweifel eine Schicksalsmacht, er spricht nur ein wenig anders als einst das delphische Orakel. Das ZDF formulierte: „Das Format“ sei „allmählich auserzählt“. So fatal. So final. So formlos. Jedoch habe man zehn Jahre lang „eine unverwechselbare Marke“ gesetzt. Womit der Unterschied zwischen einem Philosophen und einem Pinscher noch gar nicht berührt ist.

Das Ende also, nach fast genau zehn Jahren. Ob Sloterdijk und Safranski diese Sendung, die nun die letzte sein wird, schon vorher der „Kunst des Aufhörens“ widmen wollten? Nur wer Spezialist fürs Weitermachen ist, kann auch einer fürs Aufhören sein; vielleicht darum haben sie Martin Walser und Michael Krüger eingeladen.

Beim Aufhören handelt sich um eine urphilosophische Disziplin. Philosophieren lernen heißt sterben lernen. Sokrates gab das größte Beispiel. Formulieren wir es ZDF-kompatibel: Die Regierung von Athen nahm um 399 a. D. das Format Sokrates aus dem Programm; es gab damals nur eins und das lief auf dem Marktplatz, der Agora als dem öffentlichen Ort schlechthin. Eben dort stiftete Sokrates Unruhe durch Fragen. Das Urteil lautete: Schierlingsbecher.

Und das Urteil über das „Philosophische Quartett“ nach zehn Jahren? Menschen beim Denken zuzuschauen ist nicht per se unterhaltsam. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wurde die Philosophie nicht für das Fernsehen erfunden. Sloterdijks und Safranskis Verdienst besteht nicht zuletzt darin, dass sie uns das nie vergessen ließen. Keine falsche Glätte! Keine falsche Schönheit. Keine Scheingefechte. Aber immer gefasst auf die überraschende Volte des Gedankens. Auch Rechthaben, lernten wir, ist unphilosophisch. Es mochte manchmal seine Längen haben – die Nachdenklichkeit hat per se ihre Längen –, aber das Quartett war ein schöner Begleiter der tendenziell Schlaflosen auf dem Weg in den Montag. Auch die Schlaflosigkeit hat einen originären Bezug auf die Philosophie.

Dabei fiel das Urteil der Kritiker nach der ersten Sendung vor zehn Jahren denkbar ungünstig aus. Es lautete sinngemäß: Schierlingsbecher. Safranski und Sloterdijk hatten mit Friedrich Schorlemmer und Reinhold Messner den Begriff der Angst vermessen, gewissermaßen den Ursprungsaffekt der Philosophie, das Innewerden einer kolossalen Offenheit, die kein Gott so schnell wieder verschließt.

Sie zeigten, wie man mit diesem elementaren Selbsterfahrungsbegriff sowohl zur Gründungsurkunde der Zivilisation kommt wie zu deren höchsten Risiken, vor denen keine Überversicherungsgesellschaft schützt. Der 11. September war noch kein Jahr alt, eine neue Ära begann. Die Empfänglichkeit für Sätze, die von weiter herkommen und weiter hinzielen, nahm zu. Seitdem haben Sloterdijk und Safranski mit ihren Gästen über so grundsätzliche Fragen nachgedacht wie „Ist die Welt noch zu retten?“, „Universum ohne Gott?“ oder „Sicherheit oder Freiheit?“, aber auch über die „erschöpfte Gesellschaft“, die Entformung des öffentlichen Raums oder wie es sich lebt „in den Ruinen der Bürgerlichkeit“ und was eigentlich fehlt, wenn der Glaube fehlt. Sloterdijk nennt das „die Erschöpfung der Trostgründe“.

Die televisionären Philosophen und ihre Gäste saßen immer im Glashaus, zuerst in Dresden, dann bei VW in Wolfsburg, zuletzt unter einem Berliner Hoteldach. Vielleicht, weil das Denken ähnlich lichtdurchlässig sein sollte und weil es in dieser Disziplin sogar legitim ist, den ersten Stein zu werfen. Niemand, der auf sein Denkvermögen hält, gibt sich heute ohne weiteres als Anhänger einer Idee zu erkennen. Das liegt nicht zuletzt an den Verwirklichern der Ideen von Platon bis Marx. Und an Darwin. 2009 lächelte Sloterdijk, als er Richard David Precht und sein Erfolgsbuch : „Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“ vorstellte. „Ich bin Ihr Nachfolger!“, hätte er sagen können. „Überleben die Stärksten?“ hieß die Sendung. Nun ja, mal sehen. Ab Herbst soll Precht auf dem Sendeplatz weiterdenken.

Sloterdijk glaubt, dass Prechts Klientel der von André Rieu gleicht, also „Damen über 50 in spätidealistischer Stimmung“. Der erste Satz, den Precht damals bei Sloterdijk und Safranski sprach, lautete: „Das Tolle an der Evolution ist, dass sie sich durch die Hervorbringung des Menschen für sich selbst faszinierbar gemacht hat.“ Welch verbales Unglück. Das hätte Sloterdijk besser gesagt, aber das war gar nicht mehr nötig, weil Schelling – auch das wusste Sloterdijk – es schon unvergänglich schön gesagt hatte: „Im Menschen schlägt die Natur das Auge auf, mit dem sie sich selbst anschaut.“ Dieser Vorgang ist unvergänglich. Er heißt Philosophie. Schon Prechts erster Satz bewies, dass er das weiß. Und seine Nachfolgesätze wurden immer besser, auch wenn er doch mehr ein Popularisator als ein Philosoph sein sollte.

Prechts Amt als Vor-Denker der Nation beginnt im Herbst.

„Das Philosophische Quartett“, ZDF,

0 Uhr 10; ab 1 Uhr 15 philosophische Höhepunkte aus zehn Jahren

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