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Pöbler beim Tag der Einheit

© Tsp

Talk im Ersten: Ängste bewältigen – "Hart aber fair" hilft nicht

Dresden verstehen – eine Woche nach den lautstarken Pöbeleien gegen Politiker am Tag der deutschen Einheit widmete sich „Hart aber Fair“ nun dem Thema.

Jammernde, undankbare Ostdeutsche, die auf die Einheit pfeifen? Rechtsradikales Grundproblem? Die schnellen Urteile greifen zu kurz. Vier gegen Einen und der Moderator von der „Lügenpresse“ - bei den Anhängern der AfD dürfte das Urteil schon vor der Sendung "Hart aber fair" am Montagabend im Ersten klar gewesen sein. André Poggenburg – Landesvorsitzender der AfD in Sachsen – trat gegen die SPD-Politiker Matthias Platzeck und Iris Gleicke (Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer), den Landesvorsitzenden der CDU in Nordrhein-Westfalen Armin Laschet und Michael Jürgs, Journalist und Buchautor, an.

Poggenburg war der Runde kaum gewachsen. Seine Vergleiche mit den Montagsdemonstrationen 1989, deren Stimmung im kollektiven Gedächtnis offenbar als wesentlich friedlicher in Erinnerung geblieben ist als zuletzt in Dresden, überzeugten nicht. Seine Ausrede, dass es auch linke Gewalt im Osten gibt, wird durch Statistiken über die Opfer und Getöteten rechter Gewalt relativiert. Die Zahlen des vergangenen Jahres, die im Einspieler der „Hart-aber-fair“-Redaktion gezeigt wurden, liegen für Sachsen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern jeweils bei rund 50 rechts motivierten Gewalttaten pro 100000 Einwohner – im Westen sind es elf solcher Gewalttaten.

Matthias Platzeck packte die AfD bei ihren propagierten abendländischen Werten und wies auf Barmherzigkeit und friedliches Miteinander als christliche Grundwerte hin, die anzustreben seien. Die AfD habe jetzt eine politische Verantwortung, die es verbiete, Ressentiments zu schüren, weil die am Ende nicht mehr einzufangen seien und in Gewalt umschlagen könnte. Armin Laschets gewagte These, das Leben in der DDR habe die Menschen in ihrer Fähigkeit respektvoll mit Fremden umzugehen geschädigt, fand keinen Anklang. Der Rechtsruck ist in zu vielen westeuropäischen demokratischen Systemen bereits Realität.

Wenn es in dieser Sendung einen Indikator für das Zusammenwachsen gab, dann lag er in den Äußerungen der Ost-Beauftragten der Bundesregierung Iris Gleicke. Doch das ist schließlich auch ihr Job. Sie wies auf Infrastrukturprobleme in Ost und West hin und sah darin gleichermaßen großes Potenzial für rechtes Gedankengut. Der Staat dürfe sich nicht aus ganzen Regionen verabschieden und Rechtspopulisten dort das Feld überlassen.

Politiker sollten dazu auch das Megafon in die Hand nehmen

Journalist Michael Jürgs differenzierte anfangs sachlich zwischen Demonstrierenden und rechts motivierten Pöblern, glitt aber zusehends ins Pathetische ab. Freiheit sei „eine Geliebte, die jeden Tag erobert werden muss. Das muss in den Kopf und in das Herz der Menschen im Osten.“ Politiker sollten dazu auch das Megafon in die Hand nehmen und den Pöblern „die Meinungsfreiheit geigen“. Woher Jürgs den Optimismus nimmt, dass diese Vorgehensweise ein Umdenken nach sich ziehen würde, blieb allerdings offen.

Viel Balsam auf die geschundene Seele der Ostdeutschen, die nach Wende und Europaausrichtung nun auch noch mit kultureller Vielfalt klarkommen müssen, gab es von Matthias Platzeck. Die Besserwessis Michael Jürgs und Armin Laschet machten sich breit, und die Ratio in Person von Frau Iris Gleicke versprach, wenn nur genügend Infrastruktur geschaffen wird, werde es hüben wie drüben schon nicht schlimmer, vielleicht sogar endlich besser .

Derweil plagen die Menschen, die in den Brennpunkten leben müssen, die echten Probleme. Engagierte Mitbürger, die sich der Herausforderung stellen und ehrenamtlich den Geflüchteten helfen, sind der Bedrohung von Rechts ausgesetzt. Wer heute noch angsterfüllt ist, bekommt das verlockende Angebot von AfD und rechten Hetzern, es morgen doch mal mit Wut zu versuchen. Da gibt es in West wie in Ost genug Potenzial. Dabei zuschauen und schweigen wird die Regierenden nicht weiter bringen. Sendungen wie „Hart aber fair“ genauso wenig.

Daniel Lücking

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