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Anne Will und Kameramann

© dpa

Talkshows: Salon, Zirkus und Bühne

Will, Plasberg, Illner: Eine Sichtung der aktuellen Konkurrenz beim Polit-Talk. Anne Will kommt etwas lahm daher, der Preis für die beste redaktionelle Arbeit geht an Frank Plasberg und Maybrit Illner zieht im Mittelfeld ungestört ihre Bahnen.

Hätte sie doch geschwiegen. Anne Will aber hat gesprochen. Dabei hatte sie nichts zu verkünden, sondern verteidigte sich nur. Als gäbe es keine Schwächen. In einem älteren Papier des ARD-Programmbeirats waren einige Probleme aufgelistet worden. Hätte sie gesagt: Gebt mir etwas Zeit, noch haben wir uns nicht richtig gefunden, mein Sonntagstalk und ich – man hätte es verstanden. So wirkt sie störrisch. Denn nicht jeder, der die Sendung „Anne Will“ enttäuscht kommentiert, will ihr schaden, was sie freilich unterstellt. Es ist zwar nur Fernsehen, aber in ihrem exponierten Politik-Talk am Sonntagabend geht es nicht allein um Quoten, sondern um die Qualität der televisionären Selbstverständigung der Gesellschaft. Geringer ist der Anspruch nicht. Und da kann Will nicht zufrieden sein.

Zwar ist die Moderatorin auch als Gastgeberin sicher präsent und hat den Ablauf ihrer Sendung im Griff, doch neue Aspekte eines Themas, knisternde Konstellationen, überraschende Gäste gar oder die versprochene Dialektik von politischem Denken und persönlichem Fragen bietet sie selten. Zu viel Parteienproporz und Abfragen von erwartbaren Statements erzeugt zuviel Statik. Überraschend oft stammen die Gäste aus der zweiten Reihe. Wenn über Linksruck und Verwerfungen in der SPD debattiert wird, reicht deren nordrhein-westfälische Landeschefin Hannelore Kraft als Stargast einfach nicht aus. Noch vertraut Anne Will nicht der möglichen Dynamik ihrer eigenen Sendung. Sie hat nicht zu spielerischer Souveränität gefunden. Sie wirkt hoch konzentriert, zugleich angespannt wie eine Gastgeberin, die sich von der Salzstange bis zur Musik für alles zuständig fühlt.

Mit dem „Menschensofa“ wollte sie einen Ruhepunkt fürs Gespräch schaffen und einen Bezugspunkt außerhalb der Politikerkaste. Aber für Ruhe ist sie selber zu wenig interessiert am Schicksal ihrer Gäste aus der Mitte des Volkes. Da wird uns die Familie Merz aus Heidelberg vorgeführt, die stellvertretend zeigen soll, wie schnell auch der Mittelstand in soziale Not absteigen kann. Mittelständisches ist nicht zu erkennen. Aus Pietät mag niemand nachfragen, wenn die Frau etwas von Mobbing und Krankheit als Grund für ihre Arbeitslosigkeit murmelt. Statt der Konfrontation professioneller Politiker mit der Wirklichkeit findet bei „Anne Will“ so eine eigentümliche Abschottung der in Watte gepackten TV-Laien vom Diskurs statt.

Wieso nur findet die Redaktion von „Hart aber fair“ stets so viel bessere aus dem Leben gegriffene Beispielfälle? Einfache Menschen wie die tapfere Frau Marschall, die sich im Disput über Zivilcourage zu behaupten wusste. Der Unterschied liegt weniger in der Kraft der Moderation als in der Führung der Redaktion. Recherche und Casting sind einfach besser. Auch Frank Plasberg gelingen nicht nur Knüller-Sendungen. Recht lahm und zeitlos ließ er jüngst über Zivilcourage diskutieren. Knapp vor der Heiligsprechung der hessischen SPD-Abgeordneten Dagmar Metzger bekam er aber doch noch die Kurve zu einer vielfältigen Spiegelung des Themas. Publikumsreaktionen und Einspielfilme helfen ihm dabei. Dadurch wirkt der Disput manchmal arg zerhackt, aber stets auch facettenreicher als bei der Konkurrenz.

Bei „Hart aber fair“ wird redaktionell am besten gearbeitet. Wenn sich keine SPDler aus der ersten Reihe zu den inneren Verwerfungen der Partei äußern wollen, muss wenigstens die Konstellation spannend sein: Bei Plasberg fetzten sich Brigitte Seebacher-Brandt und der energische schleswig-holsteinische SPD-Chef Ralf Stegner. Frank Plasberg spielt nicht Salon, sondern gibt den Dompteur. Er lässt keinen so schnell entkommen. Gerne lässt er etwas Krawall und Populismus zu. Er steht und geht, während die Tiger sprungbereit auf ihren Sesseln hocken. Mal nimmt er einen zur Seite, mal gibt es einen zusätzlichen Gast, mal verblüffende historische Bezüge oder Fakten. „Hart aber fair“ ist der variabelste Politik-Talk. Der Moderator Frank Plasberg platzt zur Zeit fast vor Selbstvertrauen. Dass ARD-Obere ihm „Starqualität“ abgesprochen haben, hat er nicht verwunden. Er rächt sich mit populären und gekonnten Sendungen.

Mit etwas Abstand und nicht aus Gründen des Sympathie lässt sich realistisch bilanzieren: Die damalige Entscheidung der ARD für „Anne Will“ und gegen „Hart aber fair“ am Sonntagabend war falsch. Dafür ist nicht die Quote entscheidend. Anne Will weist darauf hin, dass die Resonanz bei den Zuschauern gut sei. 3,9 Millionen schauen ihr durchschnittlich zu. Allerdings läuft vorher der „Tatort“ mit bis zu acht Millionen Zuschauern, dann zeigt die Kurve geradewegs nach unten. Anne Will schafft es nicht, die vorhandenen Zuschauer zu fesseln.

Im Marktanteil unterscheiden sich beide ARD-Talks kaum; aber Plasberg muss am Mittwoch mal gegen Fußball ansenden, mal verschiebt sich wegen Fußball der Beginn. Mal ist das Vorprogramm schwach, nach einem starken Film – wie „Contergan“ – erreichte er sogar schon 4,7 Millionen Zuschauer.

Im Salon ist zur Zeit aber auch wenig los. Der Zuspruch zum Politik-Talk hat natürlich auch mit der Themenkonjunktur zu tun. Gegenwärtig wirkt Politik zwar einigermaßen solide verwaltet, aber fern. Debatten zerfallen oft in Sozialpolitik, die den Bürger auf sein Portemonnaie reduziert, und eine recht luftige Wertediskussion. Selten gelingt es, das Parteiengeschacher darauf zu beziehen. Und in Bedrängnis geht SPD-Chef Kurt Beck lieber als in den Polit-Talk zu Beckmann, obwohl dieser sich inzwischen auch redlich bemüht, hartnäckig zu sein.

Während in der ARD Salon und Zirkus konkurrieren, zieht Maybrit Illner davon recht unbedrängt im ZDF ihre Bahn. Sie zeigt die Diskussionen vor wie auf einer Bühne. Dabei entdeckt sie gelegentlich auch gute neue Nebendarsteller. Überraschend kenntnisreich jedenfalls setzte Sven Giegold von attac jüngst dem reichlich selbstzufriedenen Finanzminister Peer Steinbrück zu. Einige Elemente hat sie von Frank Plasberg abgeschaut und gemäßigt in ihr Konzept eingebaut. Für besondere Formen, etwa Einzelinterviews mit Angela Merkel, Gerhard Schröder oder auch Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann ist sie jederzeit offen.

Die Zuschauer lernen Sendeplätze. Davon profitiert ihr etablierter Talk, selbst wenn er – wie in dieser Woche – völlig zeitlos und uninspiriert von der „Jugend von heute“ handelt, ist ihr Marktanteil sehr stabil. Immerhin fragte der Nationaltorhüter Jens Lehmann da sympathisch arglos den Hirnforscher Manfred Spitzer, ob es schlimm sei, wenn die zweijährige Tochter alkoholfreies Bier trinke. Suggerierte die Sendung als „Berlin Mitte“ früher, sie agiere im Zentrum der Politik, sucht auch „Maybrit Illner“ ihre Themen längst in der Mitte der Gesellschaft. Sie und das ZDF fahren gut mit einer Mischung aus Bedeutungsgipfeln und „middle of the road“- Themen.

In politisch mauen Zeiten gilt für jede Talkshow: Sterbehilfe und Gewalt gehen immer; Bildung und Schule oft, Gentechnik und damit verbundene ethische Probleme wiegen zu schwer und die bereits absehbare Finanzkrise ist erst recht zu kompliziert, um jetzt schon Thema zu sein. Nur wenn es richtig kracht, kommt das Ausland vor. Die Zuschauer können zwar nicht mitreden oder entscheiden, aber dranbleiben oder abschalten. So suggeriert der Tele-Talk Teilhabe. Von Personen, Emotionen und besonderen Ereignissen lassen sich die Zuschauer fesseln; aber immerhin leben alle Formate – auch wenn sie unterschiedlich ausgereift sind – auch von argumentativer Substanz.

Maybrit Illner
talkt am Donnerstag ab 22 Uhr 15 im ZDF – für durchschnittlich 2,35 Millionen Zuschauer (Marktanteil: 12,80 Prozent).

Anne Will
talkt sonntagabends ab 21 Uhr 45 in der ARD – für durchscnittlich 3,93 Millionen Zuschauer (Marktanteil: 13,50 Prozent).

Frank Plasberg
talkt am Mittwoch „Hart aber fair“ ab 21 Uhr 45 in der ARD – für durchschnittlich 3,30 Millionen Zuschauer (Marktanteil: 12,90 Prozent).

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