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Medien: Tanjas langsames Sterben

Der ARD-Film „Süchtig“ bedeutet das Schlusskapitel eines bedrückenden Fernsehprotokolls über 14 Jahre

Als Tanja 15 ist, hat sie noch dieses schöne Lachen und ein keckes Mädchengesicht. Niemand würde vermuten, dass sie bereits seit zwei Jahren rauschgiftsüchtig ist und auf den Strich geht. Wie so viele junge Menschen ist auch Tanja davon überzeugt, jederzeit aufhören zu können mit den Drogen. Zu diesem Zeitpunkt ahnen weder sie noch die Filmemacherin Sabine Braun, dass dies der Beginn einer Dokumentation ist, die sich über 14 Jahre erstrecken wird – und an deren Ende Tanja stirbt.

Die Geschichte der jungen Frau vom Hamburger Hauptbahnhof und ihr Gesicht sind nicht ganz unbekannt. Bereits 1992, 1995 und 2001 haben Sabine Braun und Jens Hamann (Kamera) in immer wieder aktualisierten Dokumentarfilmen davon erzählt, ein Jugendbuch über ihr Schicksal ist mittlerweile vergriffen, und auch in einer „Spiegel“-Story über das Drogenmilieu tauchte Tanja einst auf. „Süchtig“, der letzte Film nun, erzählt ihr Leben zu Ende. Er zeigt den erschütternden Verfall eines Menschen aus unmittelbarer Nähe und bleibt doch nüchtern in seiner Tonart.

Schritt für Schritt geht es zwangsläufig bergab: Heroin, Prostitution, Diebstähle, scheiternde Entzüge, dann Substitution und zugleich Umstieg auf Kokain, Untersuchungshaft, Krankheiten, Gerichtsprozesse. Während zweier mehrmonatiger Gefängnisaufenthalte erholt sich Tanja körperlich. „Wenn ich nicht in den Knast gekommen wäre, wäre ich vielleicht schon tot“, sagt sie damals. Der erste Gang nach ihrer Entlassung führt zum Dealer. Im September 2003 bekommt sie bei einem Arztbesuch einen schweren Asthmaanfall. Man macht ihr einen Luftröhrenschnitt und versetzt sie anschließend in ein künstliches Koma. Nach dessen Absetzung stirbt Tanja, gerade 29 Jahre alt, in der Nacht des 5. Oktobers.

Die Veränderungen in ihrem Leben sieht der Zuschauer in den eineinhalb Stunden wie im Zeitraffer. Phasen der Zuversicht und der Verzweiflung wechseln sich ab, und mit jedem Jahr, das vergeht, schwindet die Hoffnung. Tanjas Gesichtzüge werden hart, die Augen ausdruckslos.

„Protokoll einer Hilflosigkeit“ nennen die Autoren ihren Film im Untertitel, und hilflos sind hier alle. Die alkoholkranke Mutter, die Schwester, die einen kalten Entzug mit Tanja versucht, die Ärztin, die ziemlich genau vorhersehen kann, was passieren wird, und die verschiedenen Männerbekanntschaften, die sich meist als Hindernisse für einen Ausstieg darstellen. Nicht zuletzt das Filmteam versucht Hilfe anzubieten. Dabei zeigt dieses bemerkenswerte Langzeitprojekt auch die Entwicklung einer dokumentarischen Haltung: Sind die Fragen und Kommentare anfangs noch recht engagiert, manchmal fast betulich, wird der Film in den letzten Jahren distanzierter. Die Kamera saugt sich nicht mehr ständig an der fleckigen Haut der Protagonistin fest, sondern erzeugt Nähe, in dem sie sie auch in ihrer jeweiligen Umgebung zeigt. So bleibt „Süchtig“ bis zum Schluss ein verstörendes Dokument über einen verzweifelten Teufelskreis, dessen Bilder sich ins Gedächtnis brennen.

„Süchtig – Protokoll einer Hilflosigkeit“: ARD, 23 Uhr

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