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Tatort: Welche Leiche hätten Sie denn gern?

Im Mai startet der 700. „Tatort“. Aus diesem Anlass vier Fragen an elf Ermittler: Was man an Deutschlands liebstem Krimi noch besser machen könnte

Die legendäre „Reifezeugnis“-Folge in den 70er Jahren, der „Schimanski“- Schock in den 80ern oder jüngst die Verschiebung eines SWR-„Tatorts“ zum Thema Ehrenmord kurz nach dem vermeintlichen Brandanschlag auf ein Haus in Ludwigshafen mit neun toten Türken – der „Tatort“ ist seit der ersten Ausgabe im November 1970 („Taxi nach Leipzig“) stets für Schlagzeilen gut. Und für Quoten. Durchschnittlich sieben Millionen Zuschauer warten Sonntag für Sonntag auf ihren Lieblingskrimi. Anlässlich des 700. Tatorts am 25. Mai (der auch Start des neuen Leipziger Teams Martin Wuttke und Simone Thomalla ist) haben wir den Spieß einmal umgedreht: statt eines Verhörs im Kommissariat vier Fragen an bekannte „Tatort“-Ermittler.



1. Welches Thema würden Sie im „Tatort“ gerne öfter aufgreifen?

2. Sollen die „Tatort“-Ermittler noch mehr Privatleben bekommen?

3. Mit welchem Kollegen, welcher Kollegin würden Sie gerne mal zusammen ermitteln?

4. Wie sähe für Sie der perfekte Mord aus?

AXEL MILBERG (seit 2003, Kiel, Hauptkommissar Klaus Borowski)

1. Es gibt geheime Pläne, an denen wir arbeiten. Also keine Akteneinsicht.

2. Definitiv nein. Der Privatanteil muss immer mit dem Fall zu tun haben.

3. Mit dem Wiener Kollegen Krassnitzer. Weil, der ist am wegsten (am weitesten weg).

4. Durch ein nicht nachweisbares Gift zum Beispiel. Oder hier in Kiel einfach von Bord gefallen und ertrunken in der Ostsee. Das Problem ist, dass der perfekte Mörder mit der Perfektion seines Verbrechens nicht prahlen darf. Er muss es für sich behalten.

HARALD KRASSNITZER (seit 1999, Wien, Chefinspektor Moritz Eisner)

1. Darauf möchte ich deshalb nicht näher eingehen, weil wir eine Themenliste haben, die wir nicht verraten möchten. Weil wir noch mit einer Reihe von „Tatorten“ aus Österreich überraschen wollen.

2.Ich finde es beim Krimi spannend, wenn man eine interessante Mischung aus dem Privatleben des Kommissars und seinen Schwierigkeiten mit dem Fall zeigt. Das ist nicht immer einfach.

3. Besonders gut gefallen mir die Tatorte aus Köln und München. Ermitteln würde ich ganz gern mal mit Ulrike Folkerts, weil sie mir mit ihrer Power supergut gefällt. Und mit dem neuen Mann aus Leipzig – Martin Wuttke. Der mit wenigen Mitteln große Wirkung erzielt.

4. Wenn die Leiche spurlos verschwindet. Dann gibt es keinen Mordfall.

ULRIKE FOLKERTS (seit 1989, Ludwigshafen, Hauptkommissarin Lena Odenthal)

1. Zu allererst muss die Redaktion entscheiden: Machen wir einen Themen-„Tatort“, oder versuchen wir, einen spannenden Krimi ohne realen und aktuellen Bezug zu machen? Mir fehlt die Annäherung an die ganz alltägliche Gewalt in der eigenen Familie oder unter Jugendlichen. Sind natürlich harte Themen.

2. Ein Privatleben hat nicht wirklich Platz neben einem aufzuklärendem Mordfall. Fein eingewoben sind persönliche Facetten einer Kripobeamtin natürlich immer interessanter, auch zum Spielen. Gelingt nicht immer.

3. Fangfrage. Natürlich mit allen, wenn der Fall gut gestrickt wäre und wir sowohl gegeneinander als auch füreinander arbeiten dürften. Je nach Verträglichkeit.

4. Der Mord, ohne das die Polizei eine Leiche findet; nur Spuren, die nicht für eine Verhaftung reichen. Ich hoffe, es gibt ihn nicht, den perfekten Mord.

KLAUS J. BEHRENDT (seit 1997, Köln, Hauptkommissar Max Ballauf)

1. Altersarmut. Das ist ein Riesenproblem, das hier auf unsere Gesellschaft zugerauscht kommt.

2. Ich will mal bei Max Ballauf und Freddy Schenk bleiben: Die Pension, in der ich lebe, unsere alten Dienstwagen und „Mrs. Columbo“ (Freddy Schenks Ehefrau, die nie zu sehen ist) – das reicht.

3. Mit allen, die ein spannendes Drehbuch haben. Gemeinsame Ermittlungsarbeiten gab es ja schon mit dem ehemaligen Leipziger Team, Peter Sodann und Bernd Michael Lade.

4. Den gibt es nicht.

DIETMAR BÄR (seit 1997, Köln, Hauptkommissar Freddy Schenk)

1. In diesem unserem Land gibt es Hartz IV, Kinder- und Altersarmut, die Veränderung der Solidargemeinschaft zur Neid- und Missgunst-Gesellschaft, Personalbespitzelung – all das gibt es, aber es gibt auch sehr, sehr vorsichtige FernsehredakteurInnen ...

2. Das berühmt-berüchtigte Privatleben ist eine beliebte dramaturgische Futterkiste, aber am Beispiel des Lonesome-Cowboy-Kollegen Ballauf sieht man, dass es auch anders spannend bleibt.

3. Meine Vision: der große ARD-Weihnachts-„Tatort“-Zweiteiler! Alle Ermittler machen Urlaub auf Mallorca im speziellen Polizisten-Hotel, das von den Totalaussteigern Horst Schimanski und Bruno Ehrlicher betrieben wird, dann gibt es einen Mord im Frühstücksraum des Hotels …

4. Dass einer etwas größeren deutschen Tageszeitung auf die Nase zu binden, wäre der falsche Weg …

DOMINIC RAACKE (seit 1999, Berlin, Hauptkommissar Till Ritter)

1. Wie wäre folgendes, als kleine Hommage an den großen Meister Alfred Hitchcock: Till Ritter sitzt krankgeschrieben, mit einem eingegipsten Bein zu Hause. Sein Kollege Stark versorgt ihn mit frischen Lebensmitteln und Neuigkeiten vom Job. Schlecht gelaunt und gelangweilt beginnt Ritter, die Nachbarschaft im Hof vom Fenster aus zu beobachten. Und tatsächlich meint er Zeuge einer blutigen Gewalttat im Hinterhaus zu werden. Stark glaubt Ritter erst mal nicht, aber dann gibt es tatsächlich Hinweise auf einen Mord. Während Ritter mit Fernglas, Videokamera und Handy am Fenster sitzt, begibt sich Stark auf die Jagd nach dem Hinterhofmörder.

2. Die Fälle sind austauschbar. Die Typen nicht. Zumindest wir Berliner könnten etwas mehr Eigenleben bekommen. Es sind schließlich die Kommissare, die dem jeweiligen „Tatort“ ein Gesicht geben. Das geht nur, wenn die Zuschauer auch ihrem Innenleben nahekommen.

3. Wie wäre es mit einer Amtshilfe bei Kollegin Lindholm in Hannover? Da wären Flirt und Knatsch doch programmiert.

4. Man darf in keinerlei Verhältnis zu dem Opfer stehen. Bestes Beispiel: Auftragskiller.

BORIS ALJINOVIC (seit 2001, Berlin, Hauptkommissar Felix Stark)

1. Am Ende sind alle Themen gut, die soziale Fragen aufgreifen. Die Autoren müssen den Stoff nur spannend umsetzen. Das ist schwer genug. Nichts ist schlimmer als ein schlechter Film über ein gutes Thema.

2. Weniger ist mehr. Es geht ja um den Fall, oder das Thema, wenn man so will.

3. Auch hier besteht die Gefahr, den Fall über dem Spaß zu vernachlässigen.

4. Wenn man einen anderen Menschen umbringen lässt, ohne das eigene Gewissen schwer belasten zu müssen, und man ohne große Angst vor Rache das weitere Leben genießen kann – dann hat man einen perfekten Mord begangen. Ich fürchte, das gibt es öfter, als man glaubt.



JÖRG SCHÜTTAUF
(seit 2002, Frankfurt, Hauptkommissar Fritz Dellwo)

1. Fremde Kultur, von der man nur wenig weiß. Das Thema Integration. Beim Frankfurter „Tatort“ haben wir es allzu wenig mit Ausländern zu tun. Sicher ein Thema, bei dem man sich leicht die Finger verbrennen kann.

2. Ich finde, dass zum Zeichnen einer Figur tatsächlich Privates gehört, seien es nur stimmige Details wie Foto im Portemonnaie oder eigenwilliger Musikgeschmack.

3. Mit den Münchnern Wachtveitl und Nemec.

4. Den werde ich doch hier nicht verraten. Am Ende macht’s noch einer nach.

ANDREA SAWATZKI (seit 2002, Frankfurt, Oberkommissarin Charlotte Sänger)

1. Da fällt mir keins ein.

2. Dafür ist neben dem Fall meistens zu wenig Zeit. Schön fände ich es für Charlotte Sänger schon, damit man ihre Eigenarten nachvollziehen kann.

3. Mit Jan Josef Liefers, weil er keinen Kommissar spielt, außerdem ist er ein toller Kollege.

4. Kann man in der Erzählung „Die schwarze Katze“ von Edgar Allan Poe lesen.



JAN JOSEF LIEFERS
(seit 2002, Münster, Rechtsmediziner Karl-Friedrich Boerne)

1. Interessant fände ich einen angekündigten Mord, der aufgeklärt werden muss, bevor er tatsächlich begangen werden kann. Die zukünftige Leiche könnte sich ausnahmsweise an der Aufklärung beteiligen, die Ermittler arbeiteten gegen die Uhr, und das Ziel der Aufklärung wäre die Verhinderung des Mordes. Auf diese Weise könnte man den ersten spannenden „Tatort“ ohne Leiche erzählen.

2. Mich persönlich interessiert das Privatleben unserer Kommissare nur, wenn es erklärt, warum sie sich lieber die Nächte mit unaufgeklärten Fällen um die Ohren schlagen, als schön zu Hause bei der Familie zu hocken.

3. Wenn überhaupt, müsste es eine der Frauen sein. Da würde dem Professor etwas entgegenwehen, womit er nicht gut umgehen kann. Unumschränkte Nervensäge und Kavalier, dass fiele ihm auf Dauer schwer.

4. Ist ein Toter erst einmal in der Rechtsmedizin gelandet, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass der Mord nicht entdeckt wird, gegen null. Kümmern wir uns also lieber um das perfekte Leben!



UDO WACHTVEITL (seit 1991, München, Hauptkommissar Franz Leitmayr)

1. Die schwierigsten Mordermittlungen sind die, bei denen es keine Täter/Opfer- Beziehung gibt, zum Beispiel Mafia-Auftragsmorde, für die Profikiller engagiert werden. Überhaupt sollte das Thema organisierte Kriminalität mehr behandelt werden. Noch können wir in Deutschland auf einen gesellschaftlichen Konsens bauen, der solche Strukturen nicht als verständliche Gegenwehr gegen einen als übermächtig empfundenen Staat rechtfertigt oder ihnen womöglich einen gewissen Robin-Hood-Charme zubilligt.

2. Nein. Der „Tatort“ ist ein Krimi, keine Personality-Show. Allerdings sollen die Ermittler schon als Persönlichkeiten kenntlich sein. Wie man eine Zeugenbefragung durchführt, wie der Umgangston zwischen den Kollegen ist, das soll individuell und unverwechselbar sein. Klaus Schwarzkopf war da ein leuchtendes Beispiel. Wenn das Privatleben der Ermittler zu viel Gewicht bekommt, dann ist das meist ein Hinweis darauf, dass den Autoren keine spannende Geschichte eingefallen ist.

3. Ich mag Boris Aljinovic wegen seines Humors und seiner schlanken und unaufwendigen Art zu spielen. Und Julianne Moore, die man aus Robert Altmans „Short Cuts“ kennt. Die macht zwar keinen „Tatort“, aber vielleicht könnte ja mal jemand fragen?

4. Geschichtlich? Wenn das Stauffenberg-Attentat geklappt hätte. Kriminalistisch? Sonntagabend, 20 Uhr 15, Batic und Leitmayr sitzen im Büro. Niemand ruft an, denn keiner hat etwas gesehen. Wir machen Feierabend im Biergarten. Die Quote ist fantastisch. Irgendwo fehlt ein Mensch, den aber niemand vermisst. Danach Anne Will. Medienpolitisch? Der Musikantenstadl probt auf einer einsamen Insel. Ein einsichtiger Wettergott schickt einen Tsunami.

Aufgezeichnet von Markus Ehrenberg

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