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Medien: Tausend Mal gezappt, tausend Mal ist nix passiert

Ein Kritiker schaut eine Woche lang nur öffentlich-rechtliches Fernsehen. Und erinnert sich an 1994, als Prince Charles ihn anrührte

Man kann ja von so ziemlich allem ein Fan sein: von Fußballvereinen, österreichischem Essen oder von Modelleisenbahnen – der Fan verfolgt sein Leben mit Leidenschaft. Sein Handeln hat zu tun mit dem Glauben, der Liebe und der Hoffnung. Ich war noch nie Fan von irgendwas. Das hat damit zu tun, dass ich die Dinge wie die Menschen für unvollkommen halte; manchmal rührt mich ein Film, ein Buch, ein Lied – immerhin. Das Fernsehen jedoch, das Fernsehen rührt mich nicht, schon lange nicht mehr, und die Diskussion um das so genannte „Unterschichtenfernsehen“ interessiert mich nur aus gesellschaftspolitischen Gründen, nicht aus kulturellen, denn das Angebot der Privatsender erreicht mich nicht, und deshalb dachte ich, es wäre ein Einfaches, wenn ich eine Woche lang ausschließlich öffentlich-rechtlich schaue – hat man ja früher schließlich auch gemacht.

Vor einer Woche, als mein Experiment begann, erschien in der „Süddeutschen Zeitung“ ein Interview mit Oliver Kalkofe. Kalkofe gilt manchem als Fernsehkritiker, weil er sich – im Fernsehen – über das Fernsehen lustig macht, lustigerweise auf Pro 7, wo morgen eine neue Staffel seiner Sendung „Mattscheibe“ startet. Jedenfalls gab sich Kalkofe in dem Interview „verzweifelt“ über den Zustand des Fernsehens: „Ich bin erst mal beleidigt als Zuschauer, dass man mich für so blöd hält.“ Nun ist das Gute am Fernsehen ja, dass einen keiner zum Gucken zwingt, dass das Gerät einen Knopf zum Ausschalten hat, und den hat Kalkofe auch gefunden: Privat, sagt er, habe er sich zum Fernsehboykott entschlossen.

Mein Boykott ist zeitlich begrenzt, er trifft nur die Privaten, und so machte ich in der vergangenen Woche vor allem die Bekanntschaft von zwei Menschen: Bruder Felix und Andreas Englisch. Bruder Felix ist Mönch, er zog in den Vatikan an dem Tag, als der Papst starb, und irgendwie muss das ein Reporter-Team der ARD mitbekommen haben, denn in jeder – in jeder! – Sendung der ARD über die Ereignisse rund um den Petersplatz, kam Bruder Felix ins Bild, sagte, dass er so etwas noch nie erlebt habe, sprach mit jungen Menschen, betete, dann verschwand er wieder im Vatikan. Andreas Englisch ist Vatikan-Korrespondent der „Bild“-Zeitung und saß am Montagabend bei „Beckmann“ und weinte am Freitag bei „Brisant“, weil der Papst eine Zeichnung von Englischs Sohn unterschrieben hatte. War Englisch auch bei den Privaten? Wenn nicht, dann müssen die einem Tobsuchtsanfall sehr nahe gekommen sein – Englisch war das personifizierte Leiden.

Ich litt ein bisschen am Mittwoch, denn Sat 1 zeigte das Champions-League-Spiel Chelsea gegen Bayern München, aber ich schaute „Kanzleramt“. Die Serie bringt dem ZDF keine guten Quoten, aber irgendwie mag ich das „Kanzleramt“ gerne schauen, warum, weiß ich nicht, vielleicht weil ich glaube, dass Politik das wichtigste Thema des Fernsehens der Zukunft sein wird – und zwar egal in welcher Darstellungsform. Außer mir glaubt das auch Harald Schmidt, seit er zur ARD zurückgekehrt ist. Schmidt prägte den Begriff „Unterschichtenfernsehen“. Aber am Mittwoch prägte Schmidt nichts – war der Katholik ergriffen vom Tod des Papstes? Am Ende der Sendung, als er ein neues Kabinett benannte, war er gut, schnell und hellwach, davor quälte er sich. Oder war er vielleicht geschockt von dem Ergebnis einer Umfrage der Zeitschrift „TV Today“? Die hatte gefragt: „Über welchen Comedian können Sie am meisten lachen?“ 16,4 Prozent der 1000 Befragten amüsieren sich demnach am meisten bei Harald Schmidt.

Bruno Jonas und Mathias Richling tauchten bei der Umfrage nicht auf, die beiden sah ich am Donnerstagabend beim „Scheibenwischer“ der ARD, während auf Pro 7 die beste Idee des Jahres lief, nämlich „Mein neuer Freund“ mit Christian Ulmen – eine Sendung aber so was von auf der Höhe der Zeit, während man beim „Scheibenwischer“ irgendwie immer nicht weiß, aus welchem Jahr die Folge gerade kommt, zudem erschweren Kameraschwenks durch das Publikum die Einordnung. Und doch war der „Scheibenwischer“ offensichtlich topaktuell: Richling gab Schily, und ein anderer machte sich lustig über Sabine Christiansen, was immerhin beweist, dass Pluralismus und Meinungsfreiheit in der ARD ein hohes Gut darstellen.

Sendevielfalt – zumindest in der vergangenen Woche – war nicht geboten, am Freitag wurde die Beisetzung des Papstes weggesendet. Viele sagen, es sei jetzt auch mal gut, ich aber finde: Nein, will ich alles sehen. Viele sagen, dass sei jetzt Event-Fernsehen, ich aber finde: Nein, dass ist die Realität, die abgebildet wird. Die Realität der ARD am Samstag war die Hochzeit zwischen Prince Charles und Camilla Parker Bowles, und tatsächlich schaffte es Prince Charles einmal, mich anzurühren und etwas in mir auszulösen, während ich Fernsehen schaute. Es war 1994, auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seiner damaligen Ehefrau, Lady Diana. Die Beziehung der beiden war im Vergehen, das wussten die anwesenden Journalisten, und einer von ihnen fragte dann Diana, ob sie und Prince Charles sich immer noch lieben würden. Diana sagte: „Yes“, Prince Charles aber sagte: „Whatever love means ...“

Mindestens einen ähnlichen Satz hatte ich mir diesmal erhofft, aber das ZDF wusste es wohl besser und zog seine Übertragung zurück. Vielleicht aber auch aus Angst vor Rolf Seelmann-Eggebert, den Adelsexperten der ARD, der jeden kennt, der in den letzten 50 Jahren auch nur in die Nähe eines europäischen Schlosses kam. Aber durch den Verzicht des ZDF will der Sender etwas anderes, nämlich die alleinige Übertragung der Trauerfeier um Fürst Rainier. Das wiederum schloss ARD-Programmdirektor Günter Struve in der Tageszeitung „Die Welt“ aus. Dies sei schließlich ein Staatsbegräbnis: „Das müssen wir unseren Zuschauern zeigen“, sagte Struve und nannte den Verzicht des ZDF auf die Übertragung der Hochzeit „kein großes Opfer“. Die Hochzeit sei „kein wirkliches Glamour-Ereignis“.

Und da hat Struve Recht. Glamour ist anders. Und eigentlich war die Hochzeit auch kein Ereignis, man kannte die Gäste nicht und man wollte sie auch nicht kennen lernen, und die Frauen schienen ihre Hüte in demselben Geschäft gekauft zu haben. Allen schien die ganze Veranstaltung etwas peinlich, auch Seelmann-Eggebert, der eigentlich doch ein Fan ist, der aber während der ganzen Übertragung seltsam erschöpft wirkte.

Wie einer, der schon zu viel gesehen hat.

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