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Teenager-TV: Rent a Baby

Kinderschützer warnen vor "Erwachsen auf Probe". RTL kopiert ein umstrittenes BBC-Original.

Die werbewirksame Kontroverse begann wie auf Bestellung. Parlamentarier, Kinderschützer und Ärzte laufen Sturm gegen die siebenteiligen RTL-Doku-Soap „Erwachsen auf Probe“, die Anfang Juni starten soll – eine Aufregung wie vor zwei Jahren in Großbritannien, als die BBC das Programmformat aus der Taufe hob. Kleinkinder als Darsteller im Fernsehen: Das Thema ist immer kontrovers, besonders dann, wenn es sich um Babys handelt. „Baby Borrowers“ heißt das BBC-Original. Fünf Teenager-Paare mit Kinderwunsch gründen in der 2007 zum ersten Mal ausgestrahlten BBC-Serie einen Haushalt, müssen Geld verdienen und ein paar Tage mit geliehenen Babys leben. So lernen sie, was es heißt, einen Säugling rund um die Uhr zu versorgen. Damit nicht genug. Konsequent auf die Zerstörung von Teenager-Illusionen angelegt, endete die Serie damit, dass die jungen Pärchen sich um Achtzigjährige kümmern mussten.

RTL setze die Kinder existenziellen Ängsten aus und nehme künftige Bindungsstörungen in Kauf, monierte der Deutsche Kinderschutzbund. Den Kindern werde trotz aller Vorsichtsmaßnahmen „seelischer Schmerz“ zugefügt, wetterte der Vizepräsident der Niedersächsischen Ärztekammer, Gisbert Voight. In Großbritannien hatte die Kinderschutzbehörde von Norwich, wo die Serie gedreht wurde, mit denselben Argumenten die Kooperation mit der Produktionsfirma Love Productions verweigert. Der Wahlkreisabgeordnete forderte ein Verbot der Sendung, in der „menschliches Elend und Leid als Unterhaltung präsentiert wird“.

Die Kontroverse legte sich so schnell, wie sie aufgeflammt war. Die Serie lief ohne Anfechtungen im Nischenkanal BBC 3 und war so erfolgreich, dass eine zweite Serie, „Baby Borrowers on Holiday“, nachgeschoben wurde, in der Teenager die Freuden und Leiden eines Familienurlaubs aus der Erwachsenenperspektive erfahren. Auch eine US-amerikanische Version des Formats wurde ein Hit.

RTL-Unterhaltungschef Tom Sänger pocht auf die gesellschaftliche Relevanz des TV-Experiments. Die Zahl der Teenager-Schwangerschaften nehme kontinuierlich zu. Das war auch für die BBC der Aufhänger. „BBC Learning“ verteilte zur Ausstrahlung von „Baby Borrowers“ Lehrmaterialien, die von einem Drittel aller Schulen angefordert wurde. Die Serie versetze Lehrer in die Lage, mit den Schülern „die Wirklichkeit von Elternschaft, Sex und Beziehungen“ zu diskutieren. Großbritannien hat nach den USA die höchste Teenager-Schwangerschaftsrate der Welt – über sieben Prozent aller Geburten werden Teenager-Müttern zugezählt. Ein Baby ist für viele Mädchen der Fluchtweg aus Sozialhilfeghettos, wo die Mehrheit der Kinder in Ein-Elternteil-Haushalten aufwächst. Eine Schwangerschaft verspricht Sozialgeld und eine eigene Wohnung. Psychologen zufolge suchen Mädchen mit dem Babywunsch auch Liebe, die sie von ihren eigenen Müttern nicht bekommen. Nur zwei Mal mussten in der ersten Staffel die Eltern der Leihbabys oder professionelle Kindermädchen eingreifen, die das Geschehen per Kamera verfolgten. Schnell verlegte sich die Aufmerksamkeit darauf, wie die jungen Paare zurechtkommen würden. Die Skala ging von einem kompetenten Paar, das durch das Experiment eher noch enger zusammenwuchs, bis zu einer Beziehung, die an dem Experiment scheiterte.

Doch die Kontroversen um TV-Experimente mit Kindern reißen nicht ab. In der jüngst ausgestrahlten Channel-4-Show „Boys and Girls Alone“, ebenfalls von Love Productions, lebten 20 Mädchen und Jungen zwischen acht und zwölf Jahren zwei Wochen ohne Erwachsene zusammen. Schon am ersten Tag war das Mobbing unter den Kleinen so brutal, dass Eltern eingreifen mussten. Es hagelte Proteste. Die britische Fernsehaufsicht Ofcom hat ein generelles Auftrittsverbot für unter Fünfjährige abgelehnt, weil dies in die Rechte von Eltern und TV-Produzenten eingreife. Matthias Thibaut

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