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Medien: Theaterkritiker für Kabul

Von Berlin nach Wardak: Britta Petersen bildet in Afghanistan Journalisten aus

„Handy ausschalten. Respektvoll sein. Die schwierigen Fragen zuletzt stellen“ steht auf dem gelben Plakat im Seminarraum. Ein Dutzend afghanischer Journalisten diskutiert, was ein gutes Interview ausmacht: Allesamt Männer in hellen Pluderhosen, die sich beim Nachdenken behutsam über den Vollbart streichen. Zwei Wochen lang erlernen sie in Wardak, einer tiefreligiösen Provinz südlich von der Hauptstadt Kabul, die Grundlagen ihres Berufes.

Britta Petersen zieht ihr Kopftuch zurecht. In ihrer Wahlheimat Kabul trägt die Berliner Journalistin das Tuch nicht, doch im konservativen Wardak wäre das respektlos. Umringt von den afghanischen Kollegen, lässt sie sich von deren Fortschritten berichten. „Das Interesse am Journalistenberuf ist in Afghanistan riesig“, sagt sie. „Viele sehen darin die Chance, erstmals am Geschehen im Land teilzuhaben.“

Das hat die 39-Jährige beeindruckt. Ende 2003 gab sie ihre Stelle bei der „Financial Times Deutschland“ auf, zog an den Hindukusch und gründete die „Initiative Freie Presse“ (IFP). In Wardak, Kabul und vier weiteren Provinzen organisiert der Verein mit Hilfe vom Auswärtigen Amt Seminare für Journalisten. Sie werden von deutschen Kollegen geleitet, die für jeweils zwei Wochen ehrenamtlich unterrichten. Für das Projekt erhält Petersen heute mit drei weiteren Journalisten den „Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien“ der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig.

„Vor drei Jahren hätte ich nur gelacht, wenn jemand mir prophezeit hätte, dass ich einmal in Kabul wohne“, sagt sie. Den Ausschlag gaben zwei Dinge: Zunächst der Wunsch, einmal in der Entwicklungszusammenarbeit zu arbeiten. Dann traf sie 2002 bei einem ersten Besuch in Afghanistan auf Sultan Karimi. Er baut dort die ersten Kulturzentren auf, „Mediotheken“ genannt. Gemeinsam mit Karimi wurde die Idee für IFP geboren. Bis heute finden die Journalistenkurse in Karimis Mediotheken statt.

Die jungen Journalisten sind so begeistert, dass Petersen sich vor Anfragen kaum noch retten kann. „Ich hatte einfach keine Ahnung“, sagt der 25-jährige Hamidullah Hamid, der Journalismus an der Universität Kabul studiert. „An der Uni wird seit 30 Jahren derselbe Stoff gelehrt. Wir wälzen ein Buch nach dem anderen, aber das bringt in der Praxis gar nichts.“ In den IFP-Seminaren habe er erstmals erfahren, wie man Nachrichten, Porträts und sogar Theaterkritiken schreibt. „Es fehlt das absolute Grundwissen“, sagt Petersen. „Wenn die Teilnehmer ankommen, pflegen sie meist einen blumig-phantasievollen Erzählstil, in dem Informationen zweitrangig sind. Wir erklären dann, was Journalismus und was Literatur ist.“

Über 300 Zeitungen sind mittlerweile in Afghanistan registriert. Auf den ersten Blick ein Erfolg für das Land, das 2004 erstmals in seiner Geschichte die Pressefreiheit in der Verfassung verankert hat. Doch regelmäßig erscheinen können davon nur etwa 20 Blätter, der Großteil überhaupt nicht. Es fehlt nicht nur an Kaufkraft, sondern buchstäblich an Lesern. Rund zwei Drittel der Bevölkerung sind Analphabeten. In ganz Kabul findet sich nur ein Zeitungskiosk. Die bunten Magazine, die wie tibetische Gebetsfahnen an Schnüren vor dem Verkaufsstand flattern, sind zum Teil Monate alt. Für den Rundfunk sieht es nicht besser aus: Werbung war bis vor kurzem nahezu unbekannt. Sendefähig ist meist nur, wer Geld vom Ausland bekommt.

Außerhalb des relativ weltoffenen Kabul müssen Journalisten überdies oft um ihr Leben fürchten. „Viele Provinzherrscher akzeptieren Kritik nicht“, so Petersen. Übergriffe sind trotzdem selten. „Die Journalisten üben vorher Selbstzensur“, sagt sie. In den besonders unsicheren tiefen Süden des Landes geht auch IFP nicht. Journalisten von dort reisen für Kurse ins ruhigere Wardak.

Die afghanischen Journalisten nehmen Gefahren und Mühen eher gelassen hin: Änderungen brauchten eben Zeit. Das trifft auch auf das Thema Frauen zu. IFP bietet Kurse für Journalistinnen an. Doch in vielen ländlichen Regionen ist es Frauen nicht gestattet, allein das Haus zu verlassen oder mit Männern zu sprechen. Zu Petersens Erstaunen haben nun ausgerechnet im konservativen Wardak Kursteilnehmer gebeten, auch Frauen aufzunehmen. Denn für ihr „Radio Wardak“, den ersten Sender der Region, haben die Männer jüngst internationale Unterstützung gesucht. Überall hieß es: Stellt erst einmal Frauen ein, dann reden wir über Geld. Petersen sagt: „Auch so kann Journalismus die Gesellschaft ändern.“

Mehr als 20 Kurse jährlich hält der Verein ab. Das sei erst der Anfang. Künftig möchte Petersen auch Radios mit Sendungen beliefern und eine landesweite Zeitung gründen. Aber Petersen fürchtet, dass das weltweite Interesse am Land drei Jahre nach dem Sturz der Taliban langsam nachlässt. Doch ohne weitere Förderung liegt Afghanistans junge Medienlandschaft noch vor der ersten Blüte brach, warnt Petersen: „Wir kommen gerade an den Punkt, wo es interessant wird.“

Ann Kathrin Sost

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