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Medien: Tod eines Kritikers

Nach dem Mord an Samir Kassir geht im Libanon die Angst um, wer der Nächste ist

Die Täter kamen nachts. Mit einem Nachschlüssel öffnen sie den hellbeigen Alfa Romeo und deponieren unter dem Fahrersitz eine 750-Gramm-Bombe mit Fernzünder. Am nächsten Morgen warten sie in Sichtweite, bis der Fahrer des Wagens zur Arbeit fahren will. Als er den Wagen startet, drücken sie auf den Knopf der Fernbedienung. Die Fahrerseite wird von der Explosion zerfetzt. Samir Kassir, der bekannteste Zeitungsjournalist des Libanons, ist sofort tot.

Das Attentat Ende vergangener Woche war ein Schock für das Land, in das nach den Massendemonstrationen der Zedern- Revolution, nach einigen Bomben in den christlichen Vierteln Beiruts gerade wieder Ruhe eingekehrt war. Nun erreichte die Gewalt eine neue Dimension: Ein Journalist war gezielt getötet worden. Viele nehmen das als Zeichen und als Warnung, dass jeder der Nächste sein kann – so sinnlos das auch sein mag.

Seit Jahren wurde Kassir schon bedroht und beschattet. Durch seine Kolumnen, die er für die Titelseite der größten libanesischen Tageszeitung „An Nahar“ schrieb, profilierte er sich als scharfer Kritiker der syrischen Hegemonie im Libanon und der Verfilzung der libanesischen und syrischen Geheimdienste. 1992 wurde erstmals sein Telefon überwacht. Nachdem er 2001 in einem Artikel den Chef des Sicherheitsdienstes – „Sureté Générale“ – persönlich kritisiert hatte, wurde er rund um die Uhr überwacht. Auf dem Beiruter Flughafen wurde damals sogar sein Pass konfisziert; ursprünglich stammte Kassir aus einer der wenigen christlichen Gemeinden Palästinas. „Man wollte mir aus fadenscheinigen Gründen die Staatsbürgerschaft aberkennen“, sagte er bei einem Interview wenige Wochen vor seiner Ermordung in seiner Wohnung in Achrafieh. Nur durch die Intervention von Rafik Hariri, dem im Februar ermordeten Premierminister, konnte das noch abgewendet werden. Kassir beschrieb damals auch seine Beziehung zu Hariri: „Es war wie in einem James-Bond-Film. Die Sicherheitsbeamten des Premierministers mussten erst die Wagen meiner Beschatter von der Straße abdrängen, damit wir uns später an einem anderen Ort ungestört unterhalten konnten.“

Aber nicht nur für die prosyrische Machtelite, auch für die anderen Gruppen im Libanon war Kassir unbequem. Er räumte mit den „Widerstandsklischees und Mythen“ der Hisbollah auf, kritisierte die Rechtslastigkeit der „Libanese Force“ und rüffelte auch Michel Aoun, den von den Syrern ins französische Exil geschickten Ex-General wegen seines Wahlkampfpaktes mit pro-syrischen Parteien.

Kassir setzte große Hoffnungen auf die Zedern-Revolution. „Die Demonstrationen auf dem Märtyrer-Platz haben bewiesen, dass die Menschen, insbesondere die jungen, müde von der Herrschaft der Geheimdienste sind“, sagte der stets Kette rauchende 45-jährige vor ein paar Wochen. Einige Male war Kassir, der auch an der französischen Universität St. Joseph als Professor für Politik lehrte, als Redner auf dem Märtyrer-Platz aufgetreten. Nach vielen Jahren auf der „Schwarzen Liste“ aller libanesischen Fernsehsender wurde er sogar wieder zu TV-Interviews eingeladen.

Mit dem Mord hat die Protestbewegung ihre intellektuelle Symbolfigur verloren. Tausende kamen zu seiner Trauerfeier. Sie trauerten mit Kassirs Ehefrau Gisèle Khoury, die eine der wichtigsten Polittalkshows der arabischen Welt moderiert. Die zweite Runde der libanesischen Parlamentswahlen war von Kassirs Tod überschattet. Im Land geht die Angst um. „Die Attentate werden weitergehen“, sagte Walid Jumblatt, eine Galionsfigur der drusisch-moslemischen Opposition, „solange die Reste des alten Sicherheitsapparates weiter den Libanon regieren. Emile Lahoud, der Kopf der Schlange, muss aus dem Präsidentenpalast verschwinden“. Auch gegen Jumblatt und gegen Rafik Hariris Sohn Saad gingen schon Morddrohungen ein.

Doch wird sich die Entwicklung im Libanon hin zur Demokratie nicht mehr umkehren lassen – auch nicht durch noch mehr Attentate. Eine Reformierung und Umstrukturierung der staatlichen Institutionen, insbesondere der prosyrischen „Sureté Générale“ und des militärischen Geheimdienstes, sind unausweichlich.

„Man hat Samir nicht wegen seiner journalistischen Brillanz getötet“, glaubt Nassib Lahoud, oppositioneller Parlamentsabgeordneter und Freund des Getöteten. „Samir wurde ermordet, weil er ein Teil des libanesischen Frühlings war, ein Teil der Opposition. Das Attentat zeigt uns, der Kampf mit dem Geheimdienstapparat ist nicht zu Ende, der Weg in die Demokratie ist kein leichtes Unterfangen.“

Am Montag war eine Großdemonstration in Beirut geplant, auf der Emile Lahoud zum Rücktritt aufgefordert werden sollte. Sie wurde kurzfristig abgesagt. Die Organisatoren, heißt es, wollten keine Eskalation der Spannungen im Land riskieren.

Alfred Hackensberger[Beirut]

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