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Tour de France: "Landschaft kann nicht gedopt werden"

Nikolaus Brender hofft auf eine einigermaßen saubere Tour de France 2008. Der ZDF-Chefredakteur spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über den Spagat zwischen Faszination Tour und Doping-Problematik - und über Reißleinen in der Berichterstattung.

Herr Brender, im letzten Jahr dauerte die Tour de France für ZDF und ARD zehn Renntage. Nach Bekanntwerden des Doping-Falls Patrik Sinkewitz stellten Sie die Live-Berichte ein. Wie viele Etappen geben Sie sich dieses Mal?

Das liegt in der Hand der Teams, der Organisatoren, der einzelnen Fahrer und all derer, die an einem sauberen Sport interessiert sind.

Der Ausrichter der Tour, die ASO, und der Weltradsportverband UCI sind sich bekanntlich nicht grün. Das hat sich auch beim Fall Sinkewitz gezeigt. Müssen Sie nicht befürchten, erneut zum Spielball dieser Auseinandersetzung zu werden?

Genau diese Verantwortungsverlagerung zwischen unterschiedlichen Organisationen wie ASO, UCI und den nationalen Radsportverbänden war für uns im letzten Jahr Anlass der Kritik und Grund zum Ausstieg. Patrik Sinkewitz war der Auslöser – nicht weil er erwischt worden ist, sondern weil er Wochen vorher getestet wurde und die positivenTestergebnisse bis zum Start der Tour nicht veröffentlicht wurden. Dieses Jahr hat der Tour-Veranstalter die Sache selbst in die Hand genommen und sehr klare Bedingungen an die Teams und die Teilnehmer gestellt. Die Auseinandersetzung mit dem Weltradsportverband ist nicht zu Ende, aber für die Tour ist die ASO verantwortlich und an die halten wir uns.

Sie gehen also am Samstag mit einem beruhigten Gefühl in die Tour 2008.

Von beruhigt möchte ich nicht sprechen. Aber die Haltung der Tour-Organisatoren lässt es gerechtfertigter erscheinen, dass wir in diesem Jahr ein einigermaßen sauberes Rennen übertragen können.

Wie sieht Ihr Plan B mit dem dazu gehörigen Ausweichprogramm an Stelle der Live-Berichte aus?

Solche Pläne haben die Eigenschaft, dass man sie nicht an die Öffentlichkeit gibt. Aber natürlich gibt es Überlegungen mit variablen Reaktionsmustern. Denn Rechnen muss man mit allem. Wir können schließlich nicht hinter jeden Fahrer einen Kontrolleur aufs Fahrrad klemmen. Unsere Reporter werden aber auf der Hut sein. Und die Ergebnisse ihrer journalistischen Recherchen werden Eingang in unsere täglichen Lagegespräche finden.

Was erwarten Sie von der Neuverpflichtung von Jörg Jaksche, der nach dem Ende seiner Dopingsperre dem ZDF für die Tour 2008 als Experte zur Verfügung steht?

Herr Jaksche ist, anders als an einigen Stellen zu lesen war, nicht als Dopingexperte verpflichtet worden. Er steht dem ZDF zu zwei Interviews über seine Erfahrungen als Tourteilnehmer zur Verfügung und wird über seine Zeit nach der Dopingsperre berichten.

Stichwort Doping: Wann sähen Sie sich dieses Mal gezwungen, die Reißleine zu ziehen?

Die Grundsätze des letzten Jahres gelten auch heute. Die Tour-Beteiligten müssen willens und in der Lage sein, systematisches Doping zu unterbinden. Wenn nicht, müssen wir Konsequenzen ziehen. Aber nicht jeder Fall eines gedopten Fahrers würde automatisch zum Ende der Tourberichterstattung führen. Denn wenn ein Fahrer erwischt wird, kann dies auch ein Indiz für funktionierende Kontrollen sein. Wird jedoch erkennbar, dass sich das System nicht geändert hat, sieht die Sache anders aus.

Die Tour verzichtet diesmal auf einen Prolog und startet direkt mit der ersten Etappe. Im Presseheft gibt es allerdings ein Vorwort unter dem Stichwort „Aufklärung und Prävention“. Braucht es für die Berichterstattung einen Beipackzettel?

Wie bei Medikamenten ist auch dieser Sport gefahrgeneigt. Und dafür bedarf es der Erläuterung.

Andererseits sind Medikamente heilsam. Das Ende der Tour-Berichterstattung 2007 habe sich positiv ausgewirkt, es gab ein Umdenken im Radsport, sagen Sie. Wie sicher können Sie sich da sein?

Die Haltung des Veranstalters hat sich deutlich verändert. Er hat klar gemacht, dass ihm an einer radikalen Änderung gelegen ist. Kontrollmechanismen sind transparenter geworden, es wurden Fahrer und Teams abgewiesen und der Tour-Veranstalter hat die Verantwortung für die Zulassung übernommen.

Wie soll der Spagat gelingen, einerseits die Schattenseiten des dopingbelasteten Radsports zu beleuchten, andererseits den Zuschauern über drei Wochen ein attraktives TV-Programm zu bieten?

So lange im Sport gedopt wird, werden wir über Doping berichten. Nicht in angehängten oder abgekoppelten Sendungen, sondern integriert in die Berichterstattung über das Sportereignis. So werden wir auch während der Olympischen Spiele verfahren. Aber natürlich muss Sport den Zuschauern auch noch Spaß machen. Den sollen sie auch haben. Gott sei Dank gibt es genügend Sportler, die nicht zu den dopenden Spaßverderbern gehören.Die Konsequenz sonst hieße, keinen Live-Sport mehr zu zeigen.

Wie wird die Faszination Tour gezeigt?

Durch journalistische Anerkennung fairer, sportlicher Hochleistung und durch Eindrücke von den wunderschönen Regionen und Landschaften. Darauf wollen wir nicht verzichten. Eine Landschaft kann schließlich nicht gedopt werden.

Auch in der Länge verzichten Sie auf nichts, es werden weiterhin fast vier Stunden übertragen, auch ohne deutsche Favoriten. Wäre weniger nicht mehr gewesen?

Wir warten nicht darauf, dass ein neuer Star geboren wird, um in voller Länge zu übertragen. Das wäre unfair gegenüber den Sportlern. Wir bemühen uns, die Länge der Sportübertragungen nicht von der Konjunktur der sportlichen Leistungen abhängig machen.

Die Rechte von ARD und ZDF zur Übertragung der Tour enden mit diesem Jahr. Wie sieht es mit den Folgejahren aus?

Es gibt von unserer Seite keine Entscheidung gegen die Tour ab 2009. Ganz im Gegenteil. Die Europäische Rundfunkunion und der Tour-Veranstalter ASO sind für die Jahre 2009 bis 2011 gerade handelseinig geworden. Wichtig für uns ist, dass der Vertrag nun eine sehr strikte Doping-Ausstiegsklausel enthält.

Das Gespräch führte Kurt Sagatz.

Nikolaus Brender, 59, ist seit acht Jahren Chefredakteur des Zweiten Deutschen Fernsehens.

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