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Medien: Traurigkeit und Fruchtsaftfräse

Die Figuren in den Erzählungen des Schweizer Schriftstellers Peter Stamm leiden an einer schwer zu benennenden Traurigkeit. Sie sind frei, aber wurzellos, die ganze Welt steht ihnen zur Verfügung – eine Heimat kennen sie nicht.

Die Figuren in den Erzählungen des Schweizer Schriftstellers Peter Stamm leiden an einer schwer zu benennenden Traurigkeit. Sie sind frei, aber wurzellos, die ganze Welt steht ihnen zur Verfügung – eine Heimat kennen sie nicht. Stamms Hörspiel „Treibgut“ erzählt von drei jungen Schweizern, die in New York für eine Bank arbeiten. Robert und seine Freunde Werner und Graham treffen dort auf die Finnin Lotta, die schon an vielen Orten der Welt gelebt hat. Sie alle sind moderne Nomaden. Man findet und verliert sich, die Liebe wächst und vergeht, das Leben ist leicht und zugleich irgendwie schwer. Etwas fehlt zum Glück, aber was es sein könnte, das weiß keine der Figuren. Mit lakonischer Poesie erzählt Stamm vom menschlichen Treibgut des globalen Kapitalismus (Kulturradio, 21. April, 22 Uhr 04, UKW 92,4 MHz).

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Ausgerechnet in Mecklenburg, so sagt Autor Horst Hussel , hatte die musikalische Moderne ihren Geburtsort. Dort lebte im 19. Jahrhundert Albrecht Kasimir Bölckow. Ein völlig zu Unrecht vergessener Komponist, der als Erster die Emanzipation des einzelnen Tons propagierte und Alltagsgeräusche in Kompositionen einband. Hussels wunderbar kauziges Hörspiel „Musik aus Gägelow“ basiert auf angeblich von ihm entdeckten Tagebüchern des Tonsetzers Bölckow. Darin finden sich pralle Details einer Kunstgeschichte zwischen Güstrow, Ludwigslust und Parchim. Die ewigen Intrigen des Schweriner Theaterintendanten von Flotow, Rivalität mit Bayreuth und der Ärger wegen des dünnen Biers, das in Mecklenburg ausgeschenkt wird. Und dann sind da noch Bölckows Kompositionen. Wagner rückwärts, möchte man sagen, plus singende Kanarienvögel, gedengelte Sensen und andere emanzipierte Geräuschquellen (Deutschlandfunk, 22. April, 20 Uhr 05, UKW 97,7 MHz).

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Tschernobyl I: Vor 20 Jahren geriet der Reaktor des Blocks 4 in Tschernobyl außer Kontrolle – der GAU war eingetreten. Nach Tagen gab es dürre Erklärungen aus der Sowjetunion, da war halb Europa schon von Panik erfasst. Im Feature „Happy Birthday Tschernobyl“ erinnert sich David Zane Mairowitz an den April 1986. Der Autor lebte in einem idyllischen Dörfchen im französischen Midi, man baute Gemüse im Garten an, aß lokale Produkte. Die französische Regierung, die auf Kernkraft setzte, betrieb im April 1986 aggressiv Schadensbegrenzung. Die Wolke sei an Frankreich vorbeigezogen, hieß es, Vorsichtsmaßnahmen deshalb nicht notwendig. Weil das nicht der Wahrheit entsprach, laufen in Frankreich noch heute Schadensersatzprozesse (Deutschlandradio Kultur, 22. April, 18 Uhr 05, UKW 89,6 MHz).

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Tschernobyl II: Im Feature „Tschernobyl oder Die Woche, in der wir nicht draußen spielen durften“ erzählt Norbert Zähringer die Geschichte aus deutscher Perspektive. Ein Tagebuch vom April und Mai 1986. In der Bundesrepublik tagten die Experten in medialer Dauerpräsenz. Das Volk wusste alles über Rem und Becquerel, Cäsium, Strontium und Jod 131. Dagegen sprachen die DDR-Medien von unsachgemäßer Aufregung. Aus dem Bruderland Sowjetunion kam nur Gutes. Aber dann gab es in der DDR plötzlich Gemüse im Überfluss. Auch im Osten begannen Wochen zwischen Sorge, Beschwichtigung und Hysterie (Deutschlandradio Kultur, 24. April, 0 Uhr 05).

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Wer durch TV-Kanäle zappt, stößt immer häufiger auf Shopping-Sender. Exaltierte Damen und Herren preisen Waren an, die meist ziemlich überflüssig wirken. Es gibt Autopflegesets, Fruchtsaftfräsen und Plaids aus Mikrofaser. Trotzdem sind die Sender wirtschaftlich sehr erfolgreich. Vor allem Frauen zwischen 40 und 70, die auf dem Land leben, schenken den elektronischen Marktschreiern gern Gehör. Autorin Claudia Heissenberg hat sich in der Branche umgeschaut. Sie spricht mit Kennern, Kritikern und Konsumenten. „Marktschreier der Mattscheibe“ heißt ihr informatives Feature (Deutschlandfunk, 25. April, 19 Uhr 15).

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