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Veronika Ferres alias Nora Wagner in dem ARD-Film "Sie hat es verdient".

© ARD Degeto/Hermann Ebling

TV-Drama: „Die Rebellin in mir gibt es immer noch“

Veronica Ferres über ihre Studentenzeit, über Jugendgewalt, plakative Schuldzuweisungen und den zutiefst bewegenden ARD-Film "Sie hat es verdient".

Frau Ferres, in dem ARD-Film „Sie hat es verdient“ stirbt ein 16-jähriges Mädchen, nachdem sie von Mitschülern entführt, geschlagen und missbraucht wurde. Glauben Sie, dass so etwas wirklich passieren kann?

Es ist nicht so, dass genau dieser Fall passiert ist, aber es hat viele ähnliche Fälle gegeben, die Thomas Stiller – den Autor und Regisseur dieses Films – vor dreieinhalb Jahren dazu gebracht haben, mit dem Drehbuch anzufangen. Ich halte diese Geschichte für sehr realistisch.

Wie sind Sie zu dem Projekt gekommen?

Das war vor gut zwei Jahren, als ich für mein Buch „Kinder sind unser Leben“ Doris Kleisch porträtiert habe. Sie ist die Mutter der 16-jährigen Stefanie Kleisch, die beim Amoklauf von Winnenden ums Leben gekommen ist. Dabei habe ich Dinge erfahren, die so auch nicht in der Presse standen. Als Thomas Stiller dann mit dem Drehbuch kam, habe ich gedacht, das ist so aufregend, so schwierig, so schonungslos, so hart, das will keiner machen. Und so war es anfangs auch. Es wollte keiner dafür Geld geben. Mit dem Drehbuch unter dem Arm bin ich los und habe mit Nico Hofmann von Teamworx , der ARD und dem BR ideale Partner gefunden.

Die Gewalt hat in diesem Film keinen Migrationshintergrund. Alles ist gut bürgerlich. Wie stark brodelt es unter der Oberfläche?

Die Gewalt nimmt zu. Vor ein paar Wochen kam eine Studie heraus, die Sigmund Freuds These widerspricht, dass die Gewalt in der Natur der Menschen verankert sei. Diese Studie sagt, dass Gewalt durch Ausgrenzung entsteht. Anders gesagt: Wenn Menschen von Anfang an friedlich in einer Gemeinschaft leben, gibt es keine Gewalt.

In jedem Fall ist das Thema hochaktuell.

Ich war in London, als es zu den Gewaltausbrüchen kam und fand mich plötzlich in einer Situation, in der ich im beschützten konservativen Europa in einer Weltmetropole saß und Angst um mein Leben hatte. Plötzlich steht eine junge vernachlässigte Generation auf, die vergessen wird, die keine Chance auf eine Ausbildung oder einen Beruf hat und dann keinen anderen Ausweg sieht als Molotow-Cocktails und Brandbomben zu schmeißen. Das ist natürlich kein legitimes Mittel, Häuser von Unschuldigen anzuzünden. Aber ist es nicht nachvollziehbar, dass sie auf sich und ihre Probleme aufmerksam machen wollen? Und da ist die Politik gefordert. Dabei nützt es nichts, diese Menschen nur aufs Schwerste zu verurteilen und zu bestrafen. Man muss an den Ursachen arbeiten.

Sie sagen, das Thema verbiete plakative Schuldzuweisungen. Was wollen Sie erreichen?

Aufrütteln. Wenn der Film zum Beispiel auf einen Migrationshintergrund anspielt, dann wäre es ganz einfach, das Thema weit von sich zu schieben, weil man ja dann die „angebliche Lösung“ hätte. Der Film will aber genau ins Herz treffen. Er will sagen, so einfach ist das nicht. Gewalt nimmt zu unter Jugendlichen und kann jederzeit an jedem Ort stattfinden. Das Thema Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen ist so wichtig, dass wir mit dem Film nicht so tun wollten, als ließe sich das Problem mit einer einfachen Schuldzuweisung lösen.

Der Film wurde im September 2009 gedreht, hatte im Juni 2010 auf dem Filmfest München Premiere. Gab es einen besonderen Grund, warum es bis zur Ausstrahlung so lange gedauert hat?

Es hat unter anderem mit der Sendepolitik der ARD zu tun, bei der jede Landesanstalt gewisse Sendeplätze hat. Aber auch das Thema des Films spielt eine Rolle. Es gab Diskussionen, den Film nicht um 20 Uhr zu zeigen, was dank des couragierten Senders dann doch möglich wurde.

Lesen Sie auf Seite zwei, wo bei Veronika Ferres die Grenzen ihres Engagements liegen...

Sie sind die Ko-Produzentin dieses TV-Dramas. Welche Akzente wollten Sie setzen?

Mir war wichtig, dass Thomas Stiller in der Umsetzung seiner Arbeit in Drehbuch und Regie komplett frei war.

Bis zu einem gewissen Punkt könnte Linda, die Täterin, als jugendliche Rebellin durchgehen. Wie rebellisch war die junge Veronica Ferres?

Ich war durchaus rebellisch, als ich mir die Haare habe kurz schneiden lassen oder rot färbte. Die Studentin Veronica Ferres hat gegen AKWs demonstriert. Die „Rebellin“ in mir gibt es heute noch: Bei kontroversen Projekten wie „Sie hat es verdient“ setze ich mich als Produzentin und Schauspielerin erst recht ein.

Sie selbst haben auch eine Tochter. Welche Rolle spielt dies für ihr Engagement für diesen Film?

Ich glaube generell, dass mein soziales Engagement und die Auswahl meiner Rollen unabhängig von meinem Mutter-Sein steht. Man wirft mir ja oft vor, zu viele Mutterrollen zu spielen. Aber ich lasse mich nicht davon leiten, was man mir vorwirft. Ich gehe den Weg, den ich aufgrund meiner Überzeugungen gehen muss, sehr unbefangen. In diesem Film konnte ich eine Frauen- und Mutterrolle spielen, die einen ganz anderen Weg geht. Das ist nicht das Muttertier, das die Kinder beschützt. Das ist eine Mutter, die in einer Sackgasse des Lebens angekommen ist. Da ist nichts mehr, nur noch Leere und Verzweiflung.

Ihre Aktivität für Kinderhilfsorganisation Power Child haben Sie eingestellt ...

... Nein, ich habe gerade noch einen Benefiz-Krimi für diese Organisation gedreht. Ich habe mich aufgrund einer veränderten privaten Situation hier zurückgezogen. Ich werde in Kürze in Berlin über ein neues ehrenamtliches Engagement sprechen können. Es geht nach wie vor um das Thema Kinder – das am stärksten vernachlässigte, aber auch das wichtigste Thema unserer Gesellschaft.

Über das Engagement von Stephanie zu Guttenberg bei der RTL-Reihe „Tatort Internet“ gab es eine breite Diskussion. Wo sind für Sie die Grenzen des Engagements?

Jeder muss selber entscheiden, wie er sich einsetzt. Jede Form der Hilfe oder des Aufrüttelns ist eine ganz wichtige Arbeit. Und auch was Til Schweiger dort macht, bewundere ich und finde es toll. Ich finde es toll, dass sie überhaupt etwas tun. Es gibt viele, die gar nichts machen, das ist eher schade.

Das NDR-Magazin „Panorama“ und dessen Chefreporter Christoph Lütgert beschäftigen sich sehr intensiv mit Ihrem Lebensgefährten Carsten Maschmeyer. Hätte es einen Unterschied gemacht, wenn „Sie hat es verdient“ nicht vom BR sondern vom NDR in Auftrag gegeben worden wäre?

Ich war sogar noch vor ein paar Wochen beim NDR, weil dort sehr gute Sendungen und Berichte über mein Buch entstanden sind. Mittlerweile hat sich Herr Lütgert auch auf Unternehmer wie Herrn Otto oder Politiker wie Joschka Fischer und Gerhard Schröder eingeschossen. Schröder hat im gleichen Film treffend zu Herrn Lütgert gesagt: Es sei keine qualitative Frage, warum er nicht mit ihm spreche, sondern eine ästhetische.

Trotzdem: wie gehen Sie persönlich damit um?

Ich habe inzwischen mein 25-jähriges Berufsjubiläum hinter mir. Die Gesetzmäßigkeiten in meiner Branche sind keine anderen als zum Beispiel in der Wirtschaft. Wichtig ist, dass man jeden Tag aufs Neue in den Spiegel schauen kann und die Menschen, die mich kennen und mich wertschätzen immer hinter mir stehen. Was ich festgestellt habe: Ob ich jetzt etwas mache oder nicht, alle zwei Jahre habe ich einen Aufreger. Selbst wenn ich gar nichts mache, als meine Filme zu drehen, gibt es immer wieder Gerüchte. Damit lernt es sich irgendwann zu leben.

Das Interview führte Kurt Sagatz.

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