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TV-Drama: Familiäre Fußfesseln

Spur des Terrors: Im ARD-Thriller „Takiye“ kämpft ein Vater gegen die türkische Mafia und für seine Ehre.

Man soll nicht glauben, unsere Parallelgesellschaften hätten nicht auch ihre mafiösen Strukturen und kriminellen Netzwerke, mit Anschluss an den internationalen Terror. Sogar eine eigene Finanzkrise ist in diesen Gruppen offenbar möglich: eine angeblich boomende „islamische Industrieanlage“, geprellte Anleger, Scheinfirmen und geschmuggelte Goldbarren – solch eine Szenerie gibt genug Stoff für einen ordentlichen Thriller her. So zumindest bezeichnet der WDR seine Produktion „Takiye – Spur des Terrors“, die zugleich eine Familiengeschichte ist. Und was die kriminellen Machenschaften betrifft, sollen sogar wahre Begebenheiten zugrunde liegen. In „Takiye“ übereignen Mitglieder einer islamischen Gemeinde in Köln, lauter honette, bürgerlich-angepasste gläubige Muslime, ihre Ersparnisse einem dubiosen türkischen Konzern namens Jimpa, der nicht nur traumhafte Renditen verspricht (30 Prozent), sondern ebenso Unterstützung von Glaubensbrüdern in aller Welt. „Gott beschützt all jene“, sagt Hüseyin (Rutkay Aziz), der Gemeindevorstand, „die da kämpfen auf seinen Wegen.“ Kaum ist das Geld eingesammelt, geht Jimpa in Konkurs – auf der Strecke bleiben verarmte kleine Leute, so auch Metin (Erhan Emre) mit Frau, Kind, Bruder, Mutter und Schwiegervater. Metin ist nicht bereit, sich abzufinden. Es geht ja nicht nur ums Geld. „Meine Ehre ist ruiniert.“ Ein Mann muss kämpfen. Die türkische Mafia bemüht sich daraufhin, ihn auszuschalten, während der Verfassungsschutz Beobachtungsposten bezieht. Der Thriller – Buch: Kadir Sözen, Regie: Ben Verbong – kann beginnen. Und es zeigt sich, dass es nicht einfach ist, einen Thriller mit einer türkischen Familiengeschichte in der Parallelgesellschaft zu verknüpfen. Protagonist Metin möchte im Grunde nach Art des wagemutigen Einzelkämpfers seinen Rachefeldzug durchführen, wird aber allenthalben von seiner Familie daran gehindert. Da ist der kleine Sohn, dessen herzzerreißendes „Papa!“ den Mann ebenso an sein Zuhause fesselt wie die Tränen der Mutter und die Vorhaltungen des Bruders (Stipe Erceg). Es hängen zu viele familiäre Fußfesseln an Metin, als dass er sich geradewegs in die Heldenklasse vorkämpfen könnte. Zwischendurch schafft er es mal bis nach Istanbul, an der Seite einer schönen Sabine (Suzan Anbeh), die sich als Reporterin ausgibt und ihm Infos verspricht. Während der Recherche prüfen beide wechselseitig ihre Toleranzgrade. Auf die gesteinigten Frauen, die sie aufbietet, kontert er mit den pädophilen Priestern. Lange Blicke. Doch die zarten erotischen Vibrationen, die jetzt aufkommen, dürfen sich nicht entwickeln, weil … ja nun, die Familienehre. Als Bruder Numan dem zurückgekehrten Metin ein Techtelmechtel unterstellt, schlägt der Beleidigte sofort zu. Die Mafia legt unterdessen weiter Bomben, kauft Killer, veruntreut Gelder und hält Metin samt Anhang und Sabine in Atem. Am Ende ist sogar Gemeindevorstand Hüseyin verdächtig. Verfassungsschutzmann Höffgen (Michel Mendl): „Die Sache wird immer undurchsichtiger.“ Sowohl Clanstruktur als auch Ehrbegriffe einer traditionellen türkischen Großfamilie – kopftuchtragende Frauen kochen Tee und bringen den Männern, wenn sie ausgehen wollen, die Schuhe – stehen dem Einzelkämpfertum des herkömmlichen Thrillers hart entgegen. Da müsste auch die Parallelgesellschaft erst den sogenannten Individualismus ausbilden, ehe sie – im Film wie im Leben – einen Metin allein gegen die Mafia kämpfen lassen könnte. Es ist – filmhistorisch gesehen – ein Verdienst von „Takiye“, dies deutlich gemacht zu haben. Im Grunde führt Metin einen zermürbenden Zweifrontenkrieg: gegen die Bösen und gegen die eigenen Leute. Das einzige, was er mit dem klassischen Helden gemeinsam hat, sind die Wunden in seinem Gesicht, die ihn den ganzen Film hindurch zeichnen, denn er schlägt sich oft. Es sind die Male einer wütenden Entschlossenheit. „Takiye – Spur des Terrors“, ARD, Mittwoch 20 Uhr 15

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