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werther

© Arte

TV-Film: Det Gesülze um Liebe

In der Fernsehadaption von Goethes „Werther“ kämpft ein junger Proll am Potsdamer Platz in Berlin mit dem Weltekel.

Was für ein Klassiker, der so ganz und gar unklassisch sein konnte! „Die Leiden des jungen Werther“ sind das einzigartige Dokument eines ganz und gar klassikfeindlichen Unbehagens am In-der-Welt-Sein. Und dieses Unbehagen kann nicht geringer geworden sein seit Goethe, muss sich Regisseur Uwe Janson gesagt haben. Was für ein zeitgenössisches Stück!

Janson hat ein fast vergessenes Genre wiederbelebt und wohl auch revolutioniert: den Theaterfernsehfilm. Im Theaterfernsehfilm stehen keine Kameras am Bühnenrand rum, vielmehr dürfen sie das heutige Berlin bei Nacht durchstreifen, Paare und Passanten filmen, solange nur ein bisschen Originaltext zu hören ist. So ungefähr hat Janson das schon im Falle der Weltverächter „Baal“ (Brecht) und „Peer Gynt“ (Ibsen) gehalten.

Diesmal schaut ein junger Berliner Proll mit Schweißerbrille vor unklar loderndem Hintergrund ins Publikum und fragt, ob es „det Gesülze um Liebe und Wahrhaftigkeit“ wirklich noch einmal sehen möchte. Sollte der Regisseur da etwas missverstanden haben?, will man sich noch fragen, als ein blondes Mädchen dem jungen Mann mit der dramatisch eingeschränkten Artikulationsfähigkeit von hinten auf die Schulter tippt, ihm einen Strauß Rosen ins Gesicht hält und sagt: „Da, die hast du vergessen!“ Und schon küsst sie einen anderen. Das gibt’s in keiner Vorabendserie!

Und als Proll Werther zusammengeprügelt am Boden liegt – das war der Neue –, schaut die Blondine auf ihn nieder und singt: „There must be angels playing with my heart!“ Goethe aus dem Off: „Nennen Sie mir den Menschen, der übler Laune ist und so brav dabei, sie zu verbergen!“ Wie gut Goethe die Seele des Kritikers kannte!

Mit erheblichem Missmut beschaut man anfangs diesen Werther in Berlin und denkt kurz an den ungleich geglückteren früheren Nachfolge-Werther Edgar Wibeau aus Plenzdorfs „Die neuen Leiden des jungen W.“. Aber dann, ganz allmählich, gewöhnt man sich auch an diesen. Vielleicht schon, als Werther am Potsdamer Platz ein riesiges Werbeplakat niederbrennt (Unbehagen in der Zivilisation!) und einen in kritischer Absicht Hinzutretenden in die Arme nimmt, um ihm zu erklären: „Dies ist ein öffentlicher Raum, deiner und meiner!“ Wie die Szene weitergeht, ist von leisem Witz. Und Stefan Konarske kann den von akutem Weltekel und Zärtlichkeit für sich selbst befallenen jungen Mann durchaus spielen. Und sprechen: „… wenn ich sehe, wie alle Wirksamkeit dahinaus läuft, sich die Befriedigung von Bedürfnissen zu verschaffen, die wieder keinen Zweck haben, als unsere arme Existenz zu verlängern … Das alles, Wilhelm, macht mich stumm.“ Werthers Tragik besteht zuletzt darin, dass er noch zu jung ist, um wie Schopenhauer tagaus, tagein mit seinem Pudel spazieren zu gehen. Darum ist er auch nicht stumm, sondern meist ungebührlich laut.

Natürlich ist das alles mit einer akut seekranken, farbstichigen Kamera gedreht. Manchmal ist das sehr schön, trauerfarbenverwischt, vergänglichkeitsrot. Manchmal nervt es.

Leider waren an diesem Film offenbar zwei Textautoren beteiligt. Der eine ist noch nach weit über 200 Jahren richtig gut, der andere hat Zeilen zu verantworten wie: „Ich habe das Brandenburger Tor nicht gefunden, aber ich habe dich gefunden!“ Jede andere Lotte hätte einen Bewerber mit dem Spruch gleich weitergeschickt, diese nicht. Hannah Herzsprung ist nicht nur wegen ihrer schwarzen Haare und dem wissend-abwartenden Blick gleichsam eine Gegenlotte. Sie sagt Werther zwar, dass sie nicht allein ist, lädt ihn aber doch zur Party aufs Land ein.

Die Vertraulichkeit von Goethes Lotte war noch unschuldig. Eine heutige Lotte kann vieles sein, nur nicht unschuldig. Und ist es nicht interessant zuzuschauen, wenn man geliebt wird? Sollte man das nicht studieren? Schließlich liebt auch Werther nicht nur Lotte, sondern in ihr und durch sie hindurch auch die Liebe und zuletzt sich selbst.

Wie’s ausgeht, wissen wir, und doch lohnt es, das hier noch einmal – anders – zu sehen. Keiner konnte das Ende besser formulieren als Goethes Werther: „Und da käme ein Philister, ein Mann, der in einem öffentlichen Amte steht, und sagte: Feiner junger Herr! Lieben ist menschlich, nur müsst Ihr menschlich lieben!“

Vielleicht ist das nicht jedem gegeben. Und immer wieder schlagen Menschen sich die Stirn ein am Realitätsprinzip. Gehen die Frauen wirklich zuletzt zu den Philistern, den Männern nach Maß? Hier ist Lottes Mann, Verkörperung des Realitätsprinzips, auch noch der Redakteur, der die Fotos des Teilzeitfotografen Werther ablehnt. Sie sind ihm nicht mittig genug.

„Werther“, Arte, 22 Uhr 35

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