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TV-Film: Todesmarsch übers Eis

Der ARD-Film "Bernsteinland" zeigt, wie Nazis im Januar 1945 jüdische Gefangene über Königsberg zur zugefrorenen Ostsee trieben. Eine junge Polin konnte flüchten - und erzählt heute von ihren Erlebnissen.

„Ich werde überleben“, redete sich Maria Blitz immer wieder Mut zu, seit sie mit anderen jüdischen Frauen im Herbst 1944 vom Vernichtungslager Auschwitz ins KZ Stutthof bei Danzig verlegt und zur Zwangsarbeit abkommandiert wurde. Doch im Januar darauf, als die Rote Armee Ostpreußen eingeschlossen hatte, begann für sie und 7500 andere weibliche jüdische Gefangene der Todesmarsch über Königsberg zur zugefrorenen Ostsee. Bei einem nächtlichen Halt konnte sich die junge Polin davonstehlen. Eine Bäuerin gab ihr einen Teller Milchsuppe, ein Arzt schnitt die verräterische Nummer aus dem Unterarm. Die damals 26-Jährige überlebte als eine von wenigen. Wer nicht schon auf den Fußmärschen entkräftet zusammenbrach und erschossen wurde, den stieß die entmenschte Wachmannschaft, tot oder lebendig, in der Nacht zum 31. Januar ins eisige Wasser der Ostsee. Zweihundert Menschen entkamen in der Dunkelheit, aber am nächsten Tag begann die Hatz von Polizei, Hitlerjungen und Anwohnern auf die entkräfteten Opfer.

Über dieses Nazi-Verbrechen war wenig bekannt, bis eine israelische Untersuchungskommission Zeugenaussagen zu sammeln begann. In Tel Aviv fand auch die Regisseurin Julia Bourgett das Material für ihren 2008 gedrehten Film „Bernsteinland“ über den Todesmarsch, den das Erste am Dienstag zeigt. Als Bourgett den Film drehte, war Maria Blitz, die in Florida ein neues Leben aufgebaut hatte, bereits 90. Wenn sie ihre Erlebnisse schildert, merkt man ihr das hohe Alter kaum an, so fest und klar ist ihre Stimme. Doch leider verschenkte Julia Bourgett die Chance für ein Porträt dieser Frau, der man gern zuhört.

Der Film erzählt dafür den Todesmarsch bis zu seinem Ende, kann aber nur schriftliche Zeugenaussagen nutzen, die trocken vorgelesen werden. Zwei Frauen überstanden eine Nacht auf einer Eisscholle, wurden danach mal versteckt, mal denunziert, bis endlich die Russen kamen. Über den Massengräbern wuchs Gras, ein erstes Mahnmal verkam zum Grillplatz, denn die neuen Bewohner von Jantarny, wie Palmnicken seit 1946 heißt, waren Zugewanderte aus Russland oder der Ukraine und wussten von nichts. Heute ist das anders geworden, hört man aus den Antworten von Fischern und Bernsteinsammlern heraus.

Die junge Regisseurin kannte das ehemalige Ostpreußen zuvor allein aus den Berichten ihrer Großmutter: Ostpreußen als Idyll. Der Film zeigt eine bittere, von Vertriebenen oft ignorierte Kehrseite: das kaum in Worte zu fassende Leiden der Opfer, die Indolenz vieler nazitreuer Bewohner noch kurz vor Kriegsende. Viel Platz nehmen Impressionen aus dem heutigen Kaliningrader Gebiet ein. In Jantarny, will Julia Bourgett nachweisen, sind die Toten von 1945 nicht mehr vergessen. Störend im Film ist nur die breit untermalende Musik, spricht doch jedes Bild überzeugend für sich. Hans-Jörg Rother

„Bernsteinland – Ein Todesmarsch in Ostpreußen", ARD, 22 Uhr 45

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