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© ARD

TV-Film: Zurück ins Leben

Eine grandiose Senta Berger sucht im Krimidrama „Schlaflos“ eine neue Existenz. Nur der Autor wusste offenbar manchmal nicht, wo das alles hinführen soll.

Nähern wir uns dem Fernsehprogramm zur Abwechslung mal wie die Statistiker. Addieren wir, wie viel Recycling-Ware uns meist geboten wird, kommen wir zu dem Ergebnis, dass auch heute die Wahrscheinlichkeit, einmal unverbrauchte Bilder zu sehen, gegen null tendiert.

Diese pessimistische Einschätzung zerstört sogleich eine der ersten Einstellungen des ARD-Krimis „Schlaflos“: Die Schauspielerin Carla Sagmeister (Senta Berger) steht an der Gefängnistür, hinter ihr liegen zwölf Jahre Haft, vor ihr die Freiheit. Das glaubt sie zumindest, doch als sie die Tür öffnet, stürzt sich eine Horde Journalisten und Fotografen auf sie, Sagmeister weicht zurück und wirft die Tür wieder zu. Die Flucht zurück in den Knast ist ein starkes Bild, das man kaum erwartet im Fernseh-Einerlei. Auch sonst geht es in „Schlaflos“ unter der Regie von Isabel Kleefeld um die Fehlbarkeit menschlicher Annahmen. Sagmeister soll ihren Lebensgefährten getötet haben, so stand es im forensischen Gutachten von Michael Borchert (August Zirner). Im Laufe des Films zeigt sich, dass ein Ausdruck wie „Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" nur ein Euphemismus für „Ich habe keinen blassen Schimmer“ ist.

Doch wenn Carla Sagmeister es nicht war, muss es jemand anders gewesen sein, zumindest diesen Schluss kann man mit absoluter Gewissheit ziehen. Dann gerät der Plot ins Schlingern. Carla Sagmeister sucht den Täter und hat ihre Tochter Yvonne (Caroline Peters) im Verdacht. Mit jeder Konfrontation zwischen den beiden Frauen wird der Zuschauer etwas ratloser: Was genau glaubt die Mutter, was will die Tochter – und wusste Drehbuchautor Norbert Ehry, wo das alles hinführen soll?

Zumindest die Darsteller lassen sich nicht beirren. Zirner spielt den Gutachter Borchert mit wunderbarer Weltferne, immerzu blinzelnd, so als blende ihn selbst die Aussicht auf ein bisschen Leben. Peters stattet die Figur der Tochter mit einer vorauseilenden Aggression aus, die selbst beim Zuschauen ganz bange stimmt. Und Senta Berger war nie so weit entfernt von ihrer schnellen Gerti, der Taxifahrerin ; meisterhaft verkörpert sie die seelische Zerrüttung ihrer Figur. „Ich möchte wieder arbeiten“, sagt sie, als sie die Schwester des Toten besucht. „Ja, geht das denn?“ erwidert diese zweifelnd. Ihre Kränkung spielt Berger mit sparsamsten, aber hoch effektiven Mitteln: Hebt den Kopf ein wenig höher, strafft den Körper und sagt, die Stimme einen Halbton höher: „Soll ich dich wieder reinbringen?“ Damit ist die Unterhaltung beendet, doch um Bergers Mund herum arbeitet es noch, so als wolle sie die Beleidigung herauswürgen. An anderer Stelle sitzt sie in ihrem Zimmer, an dessen Wand der Vormieter „Fuck you alle“ geschrieben hat, und schaukelt ihren Körper vor und zurück, als wolle sie sich selbst zur Ruhe wiegen, und flüstert immer wieder Satz- und Sinnfetzen vor sich hin.

In der ersten Begegnung mit Gutachter Borchert, den sie für die zwölf Jahre Haft verantwortlich macht, lässt der Drehbuchautor Senta Berger dagegen einen lauten und deutlichen Satz sagen: „Wenn Sie jetzt noch sagen, ich hätte ja noch einige gute Jahre vor mir, dann erschieße ich Sie auf der Stelle“, ruft sie und dabei schwenkt sie den Revolver in ihrer Hand wie einen Regenschirm. Und diese Aussage ist so groß und gelungen, dass sie – wagen wir noch eine Prognose – mit großer Wahrscheinlichkeit in Erinnerung bleiben wird.

„Schlaflos“, ARD, 20 Uhr 15

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