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Ohne Raute geht es nicht. Kanzlerin Katharina Wendt (Iris Berben) hält eine Rede zu den deutsch-jüdischen Beziehungen. Sinniges Thema: „Gegen das Vergessen“.

© NDR

TV-Kanzlerin Wendt fordert:: „Die Mauer muss weg“

Der Arte-Film "Die Eisläuferin" stellt dem Publikum eine Bundeskanzlerin vor, die glaubt, sie lebe im Jahr 1989

Die Was-wäre-wenn-Frage ist zulässig als Basis einer Fiktion, natürlich. Nicht die Verhältnisse nehmen, wie sie sind, sondern die Verhältnisse verändern, wie es beliebt – und dann schauen, wie das neue Sein das alte Bewusstsein bestimmt. „Die Eisläuferin“ bedient sich dieses Rezepts. Der Bundeskanzlerin Katharina Wendt (Iris Berben) hat einen Unfall. Am Bahnhof Mecklow fällt ihr ein Schild auf den Kopf – Amnesie. Die Politikerin fällt zurück ins Jahr 1989, jeden Morgen hat sie nur einen Wunsch: „Die Mauer muss weg.“

Kanzleramtsminister Dieter Kahnitz (Thomas Thieme) übernimmt das Regiment. „Scheitert die Kanzlerin, scheitert der Euro und dann scheitert Europa“, wird ihm zur Handlungsmaxime. In vier Wochen kommt der russische Ministerpräsident, bis dahin muss aus Katharina Wendt wieder die alte Kanzlerin werden. Ein ehrgeiziges Ziel, schnell bildet sich die Meinung heraus, nur der eigens aus Russland eingeflogene Wundertherapeut Dr. Ivantschuk (Sascha Alexander Gerdak) könne helfen. Der sagt, es gelte das emotionale Zentrum der harten Machtpolitikerin zu aktivieren, „die Mauer in ihrer Seele muss weg“. Das bringt Helmuth Wendt (Ulrich Noethen) ins Spiel. Der wollte tatsächlich mit seiner Frau, der Kanzlerin, eingangs des Films während der Sommerpause aus dem Politikalltag ausbrechen. Die Ehe ist schal, die Beziehung kalt geworden, da herrschte längst Amnesie. Also machen sich die drei Männer – Kanzleramtsminister, Therapeut und der Ehemann – an die Wiederauferstehung der Katharina Wendt.

Ausgedacht hat sich die Story Katharina Münk, filmisch umgesetzt vom Drehbuchautor Martin Rauhaus. Er setzt auf zwei Spannungsbögen: auf die Kanzlerin, die sich im Jahr 1989 wähnt und dringend nach 2015 gebracht werden muss. Sie weiß von keiner geschichtlichen Entwicklung, nichts weiß sie vom politischen Geschäft. Kann jemand nach Anleitung des Kanzleramtsministers und des Kanzlerinnengatten Kanzlerin spielen? Das Milieu ahnt ja nichts von der Amnesie, alle Anzugträger funktionieren im Takt, die Regierungsmaschinerie muss so schnurren, wie sie die Regierungschefin gebaut hat. Aussitzen, Angstschweiß im Chor der Jasager. Da sind satirische Wölbungen drin, wenn jene, auf die alles und alle ausgerichtet sind, plötzlich anders agiert und reagiert, Motorrad fährt, in den Supermarkt geht, dort von erbosten Hartz-IV-Empfängern angepöbelt wird.

Nur: Was genau will der Autor dem Publikum damit sagen? Arbeitet die reale Kanzlerin Angela Merkel in eigener Amnesie, weil sie vergessen haben könnte, was die Menschen da draußen umtreibt, was der Kompass einer verantwortungsbewussten Politik sein könnte, dass zu jedem Gasgeschäft mit Russland auch die Frage der Menschenrechte gehört? „Die Eisläuferin“ appelliert ein bisschen, milde Kritik wird geübt, aber die große Reibung zwischen Sein und Sein-Könnte unterbleibt. Mehr Scherzkeks als Satirewucht, Märchen statt Memento.

Hängt direkt damit zusammen, dass neben dem politischen Strang der private gezogen wird. „Irgendwann haben wir nur noch funktioniert. Für uns war da nicht viel Platz“, sagt Ehemann Helmuth. Er will seine Frau wiederhaben, weniger die Kanzlerin. Es pilchert heftig, in diesen Szenen erfüllt sich auch der Titel. Katharina Wendt geht aufs Eis wie damals als Jugendliche und zaubert Pirouetten.

„Die Eisläuferin“ will die prononcierten Defizite in der Politik wie im Privaten im Plot kapitalisieren. So unentschlossen, so ungenügend in den Hälften, dass es kein Ganzes und nur ein wenig gut wird. Der Film ist im besten Falle eine harmlose Menschenkomödie und im schlechtesten eine Verwurstung von real-politischer Rituale zum Zwecke – ja zu welchem Zwecke?

Die Inszenierung hat Markus Imboden übernommen. War da über die Regiekunst nichts mehr zu retten? Der Film kommt bräsig daher, sollte „Die Eisläuferin“ auch mit Spannung die Frage behandeln wollen, ob Wendt schneller ihre Amnesie überwindet als das System sie entdeckt – dann ist diese Spannung nicht hinein- , sondern herausinszeniert worden. Je länger der lange Film dauert, desto mehr stellt sich das Gefühl ein, die Protagonisten hätten die Produktion mit Anstrengung über die Runden bringen wollen. Kein Esprit, nirgendwo. Dieses Urteil fällt nicht leichtfertig, denn ein Cast aus Iris Berben, Ulrich Noethen und Thomas Thieme kann auch Katzengold zum Glänzen bringen. Hier nicht.

Die Satire darf alles. Auch einen schlechten Film. Das Publikum muss sich nur noch daran gewöhnen, dass jeder dritte Politfilm gelingt. Seien wir so frei und stellen fest: Nach dem Sat-1-Werk „Die Staatsaffäre“ und der Arte-Produktion „Die Eisläuferin“ sind wir ganz nahe dran am Zuschauerglück.

„Die Eisläuferin“, Arte, am Freitag um 20 Uhr 15

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