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Die Macht ist mit mir. Die Kommissare Leitmayr (Udo Wachtveitl, links) und Batic (Miroslav Nemec, rechts) besuchen Pfarrer Fruhmann (Ernst Stötzner). Der hält sich für „allmächtig“ – und nicht als einziger. Foto: BR

© hager moss film GmbH/Bernd Schul

TV-Krimi: Dem Fernsehen den Teufel austreiben

Der „Tatort“ aus München scheitert an einem Themenwirrwarr aus Gott und Größenwahn.

Allmächtiger! Was ist da nur schiefgelaufen im 66. „Tatort“ aus München? Die Schnapszahlen-Ausgabe, mit dem Titel „Allmächtig“ überschrieben, schmeißt ein buntes Themenpotpourri in den Kochtopf, rührt mehrfach um und vermeintlich fertig ist das Sonntagsgericht. Drei Drehbuch-Köche arbeiteten an dem Brei – das Ergebnis ist schlichtweg medioker. Der Bruch zwischen dem letzten, von Dominik Graf inszenierten Fall und diesem hier könnte kaum größer sein.

Der 65. Münchner „Tatort“ mit dem vieldeutigen Titel „Aus der Tiefe der Zeit“ (Drehbuch: Bernd Schwamm) behandelte den rasanten Ausverkauf des Westend-Viertels, das mehr und mehr zum neuen Szeneviertel hochgestylt wird und früher eines der ärmsten Arbeiterviertel war. Es war ein Münchner „Tatort“ – kontrovers diskutiert, vielfach unverstanden und zugleich vielgelobt. Derer Lobeshymnen kann der Plot von „Allmächtig“ nicht gerecht werden.

Es ist ein sehr umstrittenes Reality-Format, das die neue junge Münchner Firma „AAA“ in einer Lagerhalle mit Loft-Look für das Internet-Fernsehen produziert: Entertainer Albert A. Anast (Alexander Schubert) – daher der ach so alliterierende Firmenname – stürmt, mit Mikrofon und ungeheurer Präpotenz bewaffnet, vor laufender Kamera in die Wohnungen und Häuser wildfremder Menschen, die nicht die geringste Ahnung haben, wie ihnen da geschieht. Das Fernsehen ist da! Und wie! Und Albert A. Anast benutzt diese Menschen für seine Idee von Reality-TV. Er diffamiert, er kompromittiert diese Menschen auf die despektierlichste Art und Weise. Nun ist das Gesicht von „AAA“ verschwunden, seit drei Tagen schon. Keiner weiß, wo sich der selbsternannte Entertainer aufhält, auch seine beiden Firmenkompagnons Ines Lohmiller (Claudia Hübschmann) und Nik Erdmann (Dominik Boeer) nicht.

Etwa zeitgleich wird die Leiche von Maria Kohlbeck in ihrem Haus aufgefunden. Die ehemalige Finanzbeamtin und ihr Mann Peter gehören zu Albert Anasts Opfern. Peter hatte wirtschaftliche Schwierigkeiten mit seinem Restaurant, Maria versank als Messie in ihrem Gesammelten. Um solche Opfer kümmert sich niemand. Nur Pfarrer Fruhmann (Ernst Stötzner) und sein junger Priesteranwärter Rufus (Albrecht Abraham Schuch) scheinen Anteil zu nehmen und Halt zu geben. Sie wollen auch Albert Anast den Teufel austreiben – von dem er besessen sei. Dass Anast Tag für Tag Morddrohungen erhält, tagtäglich ob seines perfiden Tuns einem Shitstorm ausgesetzt ist, das bewegt die beiden Hauptkommissare Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Ivo Batic (Miro Nemec) dazu, zunächst nur unter den Betroffenen zu suchen.

Jochen Alexander Freydank, Jahrgang 1967, hat die Regie übernommen. 2009 für seinen 14-minütigen Kurzfilm „Spielzeugland“ (2007) mit dem Oscar ausgezeichnet, ist dies Freydanks zweiter „Tatort“ nach dem saarländischen „Heimatfront“ (2011). Er hat hier nun das Drehbuch von Gerlinde Wolf, Harald Göckeritz und Edward Berger umgesetzt.

Die Autoren vermuten den Allmächtigen in der Kirche wie im Fernsehen. Daher die Parallelität der Handlungsstränge und Themen. Der Allmächtige, das sind hier sowohl der Reality-TV-Entertainer als auch der Pfarrer mit seinem ergebenen Adlatus. Beiden ist ein hohes Maß an Obsessivität eigen, an manischer Selbstherrlichkeit auch. Der Verlust von Humanität vor der Reality-TV-Kamera sowie der Verlust der Bedeutung von Religion und Glaube in der modernen kalten und schnelllebigen Global-Gesellschaft – das sind die Themen dahinter. Eigentlich. Doch der jüngste „Tatort“ aus München vermag es nicht, diese überzeugend und glaubhaft anzulegen und zu vermitteln.

Das Klischee des durchgeknallten, oberflächlichen, opportunistischen Typen am Reality-TV-Mikrofon, der mit der Kamera ungefragt in die Häuser nichtsahnender Menschen drängt, bleibt Klischee und Schablone. Gleiches gilt für den Pfarrer und seinen Priesteranwärter. Sie bleiben schemenhaft. Genau hierin liegt das große Manko dieses Fernsehfilms: Das Dahinter fehlt.

Inszenierung und Fotografie (Kamera: Peter Joachim Krause) sind bei „Allmächtig“ linear und ruhig, durchaus sehr konventionell gehalten. Was, zunächst einmal, nichts Schlechtes sein muss. Doch im Vergleich hierzu war Dominik Grafs vorausgehender BR-„Tatort“ dramaturgisch komplex und vielschichtig gewebt, visuell modern angelegt und manchmal wie in einem sich entladenden Rausch fotografiert. Dass das manchen überfordert haben mag, ist eine andere Sache.

„Allmächtig“ jedoch fehlt es schlichtweg an guter charakterisierender Figurenzeichnung in einer stimmigen Narration. Und an Tiefgang. Und an Emotionalität. Mehr kann nicht schiefgehen.

„Tatort: Allmächtig“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15

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