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Talkmasterin Anee Will

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TV-Kritik zu "Anne Will": Wo Sesselstrategen auf Osama bin Laden treffen

Meinungsriesen – Tatzwerge – Gefühlsweltmeister, in diesem Dreieck bewegen wir uns. "Anne Will" hat das grandios aufgezeigt, und in dieser Selbstvergewisserung war es die - vielleicht - beste Ausgabe des Jahres.

Anne Will. ARD. Das muss Talkrekord gewesen sein. Anne Will hatte das Thema ihrer Sendung „Bin Ladens Liquidierung – darf man sich darüber freuen?“ nach fünf Minuten erledigt. Die fünfköpfige Runde wollte sich freuen, ein bisschen freuen, nicht freuen - fertig.

Die Moderatorin hätte unbeschadet zu den „Tagesthemen“ schalten können. Ging aber nicht, da waren noch 55 Minuten Sendezeit offen. Also wurde weiter geredet und nolens volens ein herausragendes Lehrbeispiel geschaffen: Eine Talkshow mit einem Thema, das zu 95 Prozent jenseits des deutschen Tellerrands spielt, funktioniert nicht, geht nicht, endet dort, wo sie auch angefangen hat – in der Phrasendrescherei.

Wenn der Journalist Ulrich Kienzle dröhnt, „unsere Freiheit wird im Sauerland verteidigt“ und nicht am Hindukusch, hat er Recht. Wenn der Philosoph Richard David Precht einwirft, gezieltes Töten sei Terrorismus, hat er Recht. Wenn die SPD-Politikerin Hertha Däubler-Gmelin fordert, Osama bin Laden hätte vor Gericht gestellt werden müssen, hat sie Recht. Sie alle haben so verdammt Recht, weil sie alle „unrealistische Sesselstrategen“ sind. Ein superber Begriff des Historikers Michael Wolffsohn - der aber genau so ein Sesselstratege ist.

Eine Talkshow kann nicht größer sein, ihre Teilnehmer können nicht größer denken als der Radius von Talk- und Gedankenwelt groß ist. Deutschland, die Deutschen können nur deshalb am besten Moral, weil sie von der Welt zu wenig wissen wollen, lieber Fakten in Ansichten verwandeln. Wenn der frühere US-Botschafter John Kornblum sagt, mit dem Tod Osamas sei das Kapitel des Al-Qaida-Chefs geschlossen, die USA und Europa müssten jetzt zu einer gemeinsamen Strategie zur Terrorismusbekämpfung finden, dann rattern deutsche Hirne im Leerlauf. So weit können sie nicht denken, das ist nach mehr als 60 Jahren deutscher Nabelschau nicht drin. Deswegen das Irrlichtern in der Libyen-Frage, deswegen gewaltige Appelle an die USA, sich bitte an die deutsche Interpretation des Völkerrechts zu halten, deswegen die Mehrheitsüberzeugung, dass Kanzlerin Merkel sich über die Tötung bin Ladens nicht hätte freuen dürfen.

Meinungsriesen – Tatzwerge – Gefühlsweltmeister, in diesem Dreieck bewegen wir uns. „Anne Will“ hat das grandios aufgezeigt, und in dieser Selbstvergewisserung war es die - vielleicht - beste Ausgabe des Jahres. In der Talkshow sehen wir uns gerne selber zu, so wie Osama bin Laden ständig sich selbst in den TV-Programmen gesucht hat. Im Fernsehzuschauer treffen sich der Terrorfürst in Pakistan und die Gutmenschen in Deutschland.

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