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Als die Nazis kamen. Einmarsch der Wehrmacht in Prag im März 1939.

© AFP

TV-Show "Urlaub im Protektorat": Wie weit ist es bis "Big Brother Auschwitz"?

Eine Reality-Show im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Tschechiens versetzt eine Familie in die Zeit der Besatzung durch die Nazis

Das ist unverändert eine heikle Frage. Lassen sich die Grauen der Nazizeit, lassen sich Massenmord und Holocaust nachstellen? Nachstellen in heutiger Zeit, mit den fiktionalen Mitteln der Gegenwart? "Holocaust", die vierteilige US-Serie, wurde im Januar 1979 in den dritten Programmen ausgestrahlt. Das Schicksal der fiktiven Familie Weiss, Stellvertreter für Judenverfolgung und Judenvernichtung, war ein sehr großer Zuschauererfolg. Und weit mehr als das: Historiker sprechen von einer "medien- und erinnerungsgeschichtlichen Zäsur". Die Fernsehproduktion markierte einen Meilenstein in der Mentalitätsgeschichte der Bundesrepublik insofern, als eine breite Diskussion in der Bevölkerung über den Holocaust ausgelöst wurde.

Dabei arbeitete "Holocaust" durchaus - ästhetisch wie emotional - mit den Mitteln der Seifenoper, fraglich, ob die eigentlich undarstellbaren Gräuel hier mehr als eine fernsehgemäße, effektvolle Zurichtung erfuhren. Trotz allem galt und gilt: "Holocaust" hatte eine stupende Breitenwirkung, ja die Binse - Der Erfolg heiligt die Mittel - ist berechtigt.

Ist ein weiterer Schritt denkbar? Dass ein deutscher Fernsehsender unternimmt, was das öffentlich-rechtliche Fernsehen Tschechiens gerade gestartet hat: die Reality-Sendung "Urlaub im Protektorat", eine TV-Show über das Leben unter der Nazi-Herrschaft in Tschechien. Das Format erinnert an Produktionen wie das "Schwarzwaldhaus 1902" der ARD, ausgestrahlt 2002. Darin ging es um das Leben einer Bauernfamilie im Jahre 1902, allerdings sollte die Vergangenheit nicht nacherzählt, sondern authentisch gelebt werden. Reenactment, Nachstellung, Neuninszenierung konkreter geschichtlicher und sozialer Umstände.

Laiendarsteller spielen die Familie, Schauspieler die Nazis

"Urlaub im Protektorat" des Sender CT versetzt eine Familie in die Zeit der Besatzung durch die Nazis. Am Samstag wurde die erste von acht Episoden gezeigt. Die Produktion wurde im vergangenen Sommer in einem abgelegenen Bergdorf aufgezeichnet. Ständig von Kameras begleitet erleben darin sieben Mitglieder einer Familie, vom Enkel bis zu den Großeltern, wie die Einwohner des Protektorats Böhmen und Mähren nach der deutschen Invasion 1939 unter der Drangsalierung der Besatzer und der alltäglichen Armut zu leiden hatten. Die einzelnen Folgen tragen martialische Titel wie "Überlebensregeln", "Razzia" oder "Die Gestapo im Nacken". Das Essen der Familienmitglieder ist streng rationiert, hinter jeder Ecke lauert ein Offizier der Gestapo und deutsche Soldaten patrouillieren über die Straßen. Die Eltern Ivana und Milda, ihre Söhne Marek und Kuba sowie Großeltern und ein Neffe müssen mit Lebensmittelkarten und willkürlichen Verfügungen klarkommen. Eigens für die Aufnahmen wurde ein Gut in einer abgelegenen Bergregion zeitgemäß hergerichtet. Bei der Familie handelt es sich um eine tatsächliche Familie aus Nordböhmen, also um Laiendarsteller, die Nazis und die übrigen Bewohner des Dorfes werden von Schauspielern verkörpert. "Ich habe lange nach einem Konzept gesucht, dass es mir erlaubt, das Leben in einer anderen Epoche zu zeigen, und dabei das größtmögliche Maß an Authentizität zu erreichen", sagte Regisseurin Zora Cejnkova.

Doch das Konzept der Sendung rief nicht nur in Tschechien irritierte Reaktionen und Kritik hervor. "Die Familie hat das Glück, dass sie nicht wie die 82 309 Juden behandelt werden, die in dem Protektorat lebten, und von den Nazis in Konzentrationslager deportiert wurden oder von tschechischen Kollaborateuren ermordet wurden", schrieb der Kolumnist der Zeitung "Times of Israel". Es stelle sich die Frage, ob bald auch die Sendung "Big Brother Auschwitz" gedreht werde.

Nazi-Deutschland hatte die Grenzgebiete der damaligen Tschechoslowakei, in denen mehrheitlich Sudetendeutsche lebten, 1938 annektiert. Im März 1939 wurde der Rest des Landes besetzt, in das Protektorat Böhmen und Mähren sowie in einen von den Nazis slowakischen Staat geteilt. Etwa 360 000 Tschechen und Slowaken wurden während des Zweiten Weltkriegs getötet. (mit AFP)

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