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Vielleicht der bekannteste Sportler bei den Paralympics: Der südafrikanische Leichtathlet Oscar Pistorius

© dpa

TV-Sport: Pistorius, der Posterboy

Modestrecken statt Mitleid: Die Paralympics in London werden zum Medienspektakel, Prothesenläufer Oscar Pistorius posiert in Magazinen mit nacktem Oberkörper. Auch ARD und ZDF berichten so viel wie nie zuvor.

Daniella Jade-Lowe ist Anfang 20 und als Reporterin von den Bermudas nach London gereist. Für die Zeitung „The Bermuda Royal Gazette“ soll sie von den Paralympischen Spielen vom 29. August bis 9. September berichten. Jade-Lowe hat selbst Spina Bifida und sitzt im Rollstuhl.

Die Journalistin ist eine von rund 6000 Reportern bei den Paralympics. Die Spiele werden von den Medien in einem bisher einmaligen Maß gecovert: Nie zuvor sind die Rechte an der Berichterstattung für Millionen Pfund so teuer verkauft worden, nie zuvor sind so viele Reporter angereist – und nie zuvor sind die Protagonisten derart zu Helden stilisiert worden.

Bildergalerie: Paralympics-Workshop

So ist Prothesenläufer Oscar Pistorius aus Südafrika auf dem Cover der Londoner „Times“ zu sehen und fordert in der Headline: „Bitte kein Mitleid!“. Im Magazin posiert der Sprinter mit nacktem Oberkörper als „The Paralympic Poster Boy“. Der „Guardian“ legte schon Tage vor der Eröffnung des Sportereignisses am heutigen Mittwochabend die Sonderedition „Free Paralympic Guide“ bei und promoviert sie groß auf dem Titel.

Auf dem September-Cover der „Vanity Fair“ ist Kate Middleton, die verkauft sich immer gut. Drinnen blättert man sich dann durch zu einem Mann, der einen auf einem Schwarz-Weiß-Foto eindringlich und provokativ mustert. Nick Springer heißt er und hat keine Hände und Füße mehr, er litt an Meningitis. Die Duchess of Cambridge zusammen mit dem Goldmedaillengewinner aus den USA im Rollstuhlrugby in einem Modeheft – die Paralympischen Spiele 2012 machen’s möglich.

Schon vor vier Jahren bei den Sommerparalympics in Peking haben die chinesischen Staatssender den ganzen Tag über live auf vielen Kanälen von tatsächlich als Nischensportarten zu bezeichnenden Disziplinen wie Rollstuhlboccia von Schwerbehinderten berichtet, wo Kugeln teils mit dem Mund bewegt werden. Noch vor den Spielen hatte China Menschen mit Behinderungen zumeist versteckt.

Auch jetzt aus London berichten viele Sender aus den 166 teilnehmenden Länder stundenlang live. In Deutschland überträgt die ARD die Eröffnungsfeier am heutigen Mittwochabend im Olympic Park (22 Uhr), das ZDF die Schlussfeier am Sonntag, 9. September. Da wird kein Unterschied zu Olympia mehr gemacht.

ARD und ZDF senden 66 Stunden von den Paralympics

Die britische Presse berichtet vorab ausführlich über die Paralympics. Prothesenläufer Oscar Pistorius posierte mit nacktem Oberkörper für das „Times“-Magazin.
Die britische Presse berichtet vorab ausführlich über die Paralympics. Prothesenläufer Oscar Pistorius posierte mit nacktem Oberkörper für das „Times“-Magazin.

© Thilo Rückeis

„Die Paralympics haben sich zu einem eigenständigen Großereignis entwickelt und eine führende Position im Weltsport erobert“, sagt Peter Kaadtmann, gemeinsamer Teamchef von ARD und ZDF für die Paralympics.

Von Wettkämpfen berichten die öffentlich-rechtlichen Sender in nie gekanntem Ausmaße mehrmals täglich live. Laut Kaadtmann können in London dieselben Kameras und das identische technische Equipment in den Studios von den Olympischen Spielen weiter benutzt werden. So sendet die ARD 37 Stunden und das ZDF knapp 29 Stunden live von den Spielen – insgesamt rund 66 Stunden Behindertenleistungssport aus London. Bei den Sommerparalympics in Peking 2008 waren nur 30 Stunden, plus 60 in den – wenig frequentierten – digitalen TV-Formaten. Das sei „ein deutlicher Anstieg“ im Vergleich zu Athen 2004 ( rund elf Stunden) und Sydney 2000 (rund 16 Stunden), sagt ARD-Chef Walter Johannsen.

Veranstalter, Medien und Sponsorenfirmen umwerben die Zuschauer und Gebührenzahler in vormals ungewohnter Weise für ihre Berichterstattung über Behindertenleistungssport: Demnach sind die Athleten kämpferisch, sexy und stylish, sie sind die neuen Superstars.

„Kurt gehört zu einer Minderheit. Er ist Weltmeister“, lautet etwa der Titel einer Kampagne für den Dokumentarfilm „Gold“, den die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung derzeit produzieren lässt und im kommenden Jahr in die Kinos bringt. Gemeint ist Rennrollstuhlchampion Kurt Fearnley aus Australien. Um die Protagonisten der Paralympics der Zielgruppe näher zu bringen, haben ARD und ZDF erstmals und schon vor den Olympischen Spielen mithilfe einer Plakatkampagne mit je einem behinderten und einem nichtbehinderten Leistungssportler im Sportdress geworben. Das Motto: „Zwei Sportler, ein Ziel“.

Der detaillierte Paralympics-Sendeplan erscheint am Donnerstag in der Tagesspiegel-Beilage „Paralympics Zeitung“.

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