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Talkgastgeberin Anne Will

© dpa

TV-Talk "Anne Will" zu Donald Trump: Wie Dieter Bohlen als Bundespräsident

Wie ist der Erfolg von Donald Trump zu erklären? Bei "Anne Will" rätselte darüber unter anderem Thomas Gottschalk. Das Ergebnis: Viel Kopfschütteln.

Von Caroline Fetscher

Emotionen sind die neuen Fakten, hört man dieser Tage. Postfaktisch sei die Politik geworden, dominiert von gefühlten Wahrheiten. Wenn es nach der Aussagelogik von Donald Trump ginge, dann wäre es so: Ich fühle, also weiß ich. Einer der raunenden Lieblingssätze des US-Kandidaten für die nächste Präsidentschaft lautet: „There´s something going on…!“ Übersetzt in etwa: Irgendwas geht vor sich, da ist was im Busch, ich ahne, ich rieche, dass etwas lauert, eine Gefahr, eine Verschwörung, etwas Übles – von Immigranten.

In der Nacht zu Dienstag muss sich Trump dem ersten Fernsehduell mit der Gegenkandidatin Hillary Clinton stellen, die es, anders als er, mit den Fakten genau nimmt. „Warum ist Trump so erfolgreich?“  fragte Anne Will im Vorfeld des amerikanischen Showdowns ihre Gästegruppe und kündigte für das Duell der gleichauf liegenden Kontrahenten „hundert Millionen Zuschauer“ weltweit an. „Wie bekloppt sind die Amerikaner eigentlich“ fragte die entsetzte Anne Will gleich eingangs.

Zusammengerufen hatte sie so disparate Diskutanten wie den Sozialdemokraten Martin Schulz, als Präsident des Europäischen Parlaments einer der einflussreichsten Köpfe in der EU, oder den Fernsehentertainer Thomas Gottschalk, der seit gut zwei Jahrzehnten seinen Hauptwohnsitz in Amerika hat. Als intellektuelle Transatlantikerin nahm Constanze Stelzenmüller teil, deutsche USA-Expertin und derzeit Senior Fellow am Washingtoner Think-Tank Brookings Institution, der den US-Demokraten nahesteht. Eine USA-kritische Perspektive sollte der Linken-Politker Oskar Lafontaine beisteuern.

Gecastet als Überraschungsgast war der Trump-Fan und gebürtige Kalifornier Roger Johnson. Gut zehn Jahre war er als Offizier der US-Armee in Deutschland stationiert, war dann für deutsche und osteuropäische Logistikfirmen tätig, und zu Beginn der 1990er als Logistikexperte der US-Armee im Irak, in Kuwait und in Saudi-Arabien. Er war der Exot der Runde, ein echter Vertreter des echten „Trumpism“, hielt sich aber auffällig zurück.

"Derwisch" Trump

Thomas Gottschalk als Amerika-Erklärer gab den 5,06 Millionen Zuschauern kund: „Die sind dort keineswegs verzweifelt“, obwohl sie aus ihrer Sicht „zwischen Pest und Cholera entscheiden“ müssten. Erklären kann sich Gottschalk das Aufholen von Trump auch nicht – allenfalls liegt es an der Naivität, mit der Amerikaner den Wandel gar nicht so fürchten, es würde sich eh nicht viel ändern mit diesem oder jener. Es handle sich um eine Art „Kindvolk“, das auf seine Weise frisch und unverdrossen mit der Washingtoner Machtfrage umgehe.  Amerikas Mediengeschäft sei polarisierter, vereinfachter, schlichter, das müsse man begreifen. 

Martin Schulz warnte davor, Amerikaner als „Kindvolk“ zu bezeichnen – es gehe vielmehr um das „tiefsitzende Unbehagen“ einer Bevölkerung, die sich von der politischen Elite abgekoppelt empfinde. Sein Resümee, es müsse darum gehen, dass in Amerika nicht der Bauch, sondern die Vernunft gewinnt, erntete Applaus.  

Tatsächlich fühlten sich Teile der verarmten Bevölkerung, so Constanze Stelzenmüller, von den Eliten abgehängt und erlebten einen „Kontrollverlust des Staates“, dagegen gebe es Kritiker „im Kaschmirjackett“, die man nicht ernstnehmen müsse. Wie sie den „Derwisch“ Trump einhegen können, darum machte sich gerade die republikanische Intelligenz große Sorgen. „Das Gefühl der Unzufriedenheit“, bestätigte Oskar Lafontaine, habe reale Ursachen, Dumpinglöhne.

In Roger Johnson erhoffte man sich den Interpreten des Trumpischen „something“. Den dieser muss ja gar nicht genau benennen, welches „something“ seine Spürnase wittert. Eindrucksvolle Einspieler erinnerten an Trumps Lügen-Arien, wie an seine Behauptung, Präsident Obama habe den „Islamischen Staat“ gegründet. Hunderte solcher Lügen sind Trump nachzuweisen – für das Fernsehduell fordert er, den Faktencheck zu überspringen. 

Roger Johnson, gut gelaunt, versuchte die andere Spezies political animal taxonomisch einzuordnen, die die Amerikaner sind, ohne dass sie naiv seien. Auf Fragen zur Lügenserie von Donald Trump wollte er konkret nicht eingehen, sah allerdings in Obamas zurückhaltender Militärpolitik durchaus eine der Ursachen für das Entstehen des IS. Doch: „Er hat übertrieben“.  Nein, nein, widersprach Oskar Lafontaine, wenn denn einer der indirekte Gründer des IS gewesen sei, dann doch George W. Bush! Auch hier Applaus.

"Wie Dieter Bohlen als Bundespräsident"

Trumps Anhängern reicht es offenbar aus, dass ihre Lichtgestalt Ahnungen als Wahrheiten präsentiert. Sein Trick dabei ist der Rekurs auf stimmige Wahrnehmungen, Ahnungen, Eindrücke, Gefühle im Alltag: Jim liebt Sally, heute Abend gibt´s Gewitter, die Kuh wird bald kalben – so etwas kennt jeder von irgendwo. Wie potent muss einer sein, der solche Ahnungen in Bezug auf die globale Wirtschaft, Chinas Importzölle oder den Klimawandel entwickelt! Gottschalk blickte auf das Phänomen mit dem Auge des Entertainers: Seine Kandidatur sei etwa so, als würde „Dieter Bohlen als Nachfolger des Bundespräsidenten“ vorgeschlagen. Hillary Clinton dagegen „wirkt wie eine Chemielehrerin“.

Stelzenmüller warnte davor, Trump als Entertainer zu verharmlosen, insbesondere angesichts seiner „menschenunwürdigen Entgleisungen“ und seiner eklatanten Verachtung der US-Verfassung, was „gravierende Konsequenzen“ für die Sicherheit Europas und der USA habe, etwa indem sich Moskau zu neuem Machtgehabe ermutigt fühlt. „Der Typ ist gefährlich“ fasste auch Martin Schulz zusammen, gefährlich wäre sein Zugang zur Macht, zum Rüstungsarsenal der USA. Rüstung! Das Stichwort für Lafontaine, der seinem Favoriten Bernie Sanders nachtrauerte, Trump im „Spielcasino“ verortet, und Hillary Clinton als Teil der „Kriegspartei der Vereinigten Staaten“ bezeichnete, die von der Wall Street, der Waffenlobby, der Ölindustrie unterstützt werde.

Entrüstet widersprach Stelzenmüller der Rüstungsrede, analysierte die Klischees über Clinton als „uralte Geschichten“, die ihr nicht gerecht würden. Dennoch, beharrte Anne Will, werde denn Clinton nicht zu recht als Vertreterin des Establishments wahrgenommen? In diesem Begriff, so Martin Schulz, subsummierten amerikanische Wähler alle Vertreter der Eliten – doch gerade Donald Trump sei ja ein solcher Elitenrepräsentant par excellence. Auch Sanders habe sich schließlich, im Bewusstsein politischer Verantwortung, hinter Clinton gestellt. Gebraucht werde eine „emotionale Gegenwelle“ gegen Trump, wenn man ihm mit Fakten nicht bekomme.

Kopfschütteln über das Phänomen Trump

Ja, „I´m really rich!“ trompetet Trump im Wahlkampf gerne. Trump werde gleichwohl in den USA eher als „Einzelgänger“ wahrgenommen, korrigierte Roger Johnson, und Emotionen seien nun mal für Amerikaner enorm wichtig, und erinnerte an die hohen Steuern für kleine Unternehmen, die Frustration der Bevölkerung angesichts des Status quo. Clinton käme vielen vor, wie eine weitere Amtszeit von Obama. Man, also auch Clinton, könne Trump „sehr leicht ärgern“, hoffte Stelzenmüller für die Debatte in der Montagnacht. Ansonsten könne es düster aussehen. 

Sicherlich gebe es solche, die abgehängt seien oder sich so fühlten, räumte Stelzenmüller ein, vor allem aber die Entstaatlichung, die Deregulierung, hätte für diesen Eindruck gesorgt. Gottschalk pflichtete bei, Teile der USA ähnelten der Dritten Welt, doch ihnen müsse klar werden, dass Trump keineswegs die Lösung wäre.

Wiederholt rätselte die Runde, woher, wie, warum ausgerechnet ein Milliardär sich den Ärmeren und Abgehängten als Retter darstellen kann? Anne Will, auch Gottschalk schüttelten den Kopf über das Phänomen. Lafontaine, immer ökonomisch argumentierend, erinnerte an das Trump-Argument, dass sein finanzielle Unabhängigkeit ihn auch politisch souverän mache, dass er den Eindruck erwecken kann, sich nicht bereichern zu wollen und zu müssen. Gottschalks von Beifall belohntes Fazit war das für Deutschland vermutlich relevanteste Argumente: „Lasst uns verhindern“, sagte er, dass ein solcher Typus in Deutschland eine Chance bekäme. 

Zur sozialpsychologisch so interessanten Frage, warum ein offensichtlich Lügen verbreitender Politiker Massen mobilisieren kann, drang das Gespräch nur an den Rändern vor. Dafür bräuchte es einer Runde mit einschlägigen Forschern und Empirikern. Anne Will, keine Frage, könnte auch das so meistern, dass eine solche, vertiefende Debatte verstanden würde.  

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