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Medien: TV-Unterhaltung: Familien-Show-Down

Die Stimmung an diesen Tagen war immer ein wenig aufgeregter als an anderen Wochentagen, die abends nie etwas Spektakuläres versprachen. Oft war man an diesen besonderen Abenden schon im Nachthemd und gerade frisch gebadet und wenn dann diese gläserne Hymne erklang, EUROVISION, dann lief einem ein wohliger Schauer über den Kinderrücken, der da glücklich zwischen Mama und Papa auf dem Sofa lag.

Die Stimmung an diesen Tagen war immer ein wenig aufgeregter als an anderen Wochentagen, die abends nie etwas Spektakuläres versprachen. Oft war man an diesen besonderen Abenden schon im Nachthemd und gerade frisch gebadet und wenn dann diese gläserne Hymne erklang, EUROVISION, dann lief einem ein wohliger Schauer über den Kinderrücken, der da glücklich zwischen Mama und Papa auf dem Sofa lag.

Der Samstagabend hatte begonnen.

Was waren das für Sendungen, die damals die ganze Familie vor den Fernseher zogen? Bei denen sich keiner stritt? Die Shows hießen "Am laufenden Band", "Einer wird gewinnen" oder "Wetten, dass ... ?" und sie schafften es, die Sehnsucht nach der heilen Welt in 100 Minuten auf den Punkt zu bringen. Wir Kinder und unsere Eltern dankten es mit Einschaltquoten zwischen 40 und 50 Prozent.

Damit die Unterhaltung einen Sinn hatte, also gleichzeitig erzieherisch wirkte, wurde für einen guten Zweck gespielt. Die "Wetten dass ... ?"-Verlierer sangen in Waisenhäusern oder sammelten Spielzeug für Kindergärten. Das war Show total, mit Spiel, Spaß und Spannung - und mit gutem Gewissen. Vor nichts hatten unsere Eltern in den 70er Jahren mehr Angst als vor amerikanischen Verhältnissen. Sie wollten sich zwar amüsieren, aber nicht zu Tode.

ZDF und ARD waren in dieser sinnstiftenden Unterhaltung konkurrenzlos. Sie hatten konventionelle Herren wie Peter Frankenfeld, Hans Joachim Kulenkampff oder Frank Elstner als Repräsentanten, und außer dass Kuli einer Kandidatin einmal zu tief in die blauen Augen schaute, war da nichts, was unsere Eltern fürchten mussten. Kein Schweiß, keine Peinlichkeiten, keine Schadenfreude. Und dass Kulenkampff ohne Probleme eine halbe Stunde überziehen durfte, dass wurde von uns Kindern gefeiert wie Weihnachten, denn jede überzogene Minute hieß länger aufbleiben zu dürfen.

Dann kam das Privatfernsehen und ARD und ZDF bemühten sich ebenfalls um ein bisschen privatere Atmosphäre. In den Shows standen nicht mehr Fragen über Gott und die Welt im Vordergrund, sondern solche, die über Lieblingsfarbe und Lieblingsland des Allerliebsten aufklären. "Flitterabend" etwa spiegelte die Sattheit und Innerlichkeit der 80er Jahre wieder. "Astroshow" hieß die Antwort der ARD auf diesen erweiterten Gemütszustand. In einem so zufriedenen Land musste Raum sein für ein wenig Schadenfreude. Sie verstehen doch Spaß, oder? Wir Kinder fanden Flitterabend blöd, unser Vater guckte die Astroshow nur wegen Elisabeth Tessier und über den Spaß von Kurt Felix und Paola konnten wir alle nicht so richtig lachen. Ein Samstagabendgefühl wollte sich nicht einstellen.

Die Privaten versuchten es zu Beginn auch mit den großen Unterhaltungsshows. Sendungen wie später die "100 000 Mark Show", die 1993 bei RTL auf Sendung ging, waren allerdings nicht mehr aufs Familienglück, sondern auf das große Geld aus. Die betulichen und wohligen 80er waren vorbei, Konkurrenz verschärfte und belebte das Geschäft. Die Öffentlich-Rechtlichen versuchten dieses neue, unsentimentalere Lebensgefühl mit Shows wie "Vier gegen Willi" aufzugreifen, in der Mike Krüger einen Hamster in einer Plexiglasrennbahn gegen seine Kandidaten antreten ließ. Darüber konnten wir Kinder wieder herzlich lachen, unsere Eltern fanden es nur blöde. Aber damals waren wir schon ein bisschen zu groß, als dass die Eltern uns das Fernsehen verbieten konnten.

Die Privaten sahen in dem Konsensprinzip einer Familienshow auf Dauer keine lukrative Zukunft. Sie verabschiedeten sich von der Familie und begannen Programm für die Zielgruppen zu machen. Es wurde Zeit, dass wir Kinder einen eigenen Fernseher bekamen.

Die einzige Show, die es auch heute noch schafft, die Kleinen und die Großen gemeinsam zu unterhalten, ist "Wetten, dass ...?". Thomas Gottschalk kennen die jungen Eltern noch aus ihrer Jugend und die Kinder mögen ihn, weil sie seine Späße verstehen und ihnen die Eltern nicht immer die Ohren zuhalten müssen. Gottschalk sendet von All-german-places wie Mallorca, sieht manchmal fast ein bisschen aus wie Moshammer, schlägt den Bogen zu Raab und zur Volksmusik, und bildet so die deutsche Durchschnittlichkeit ab. Aber er präsentiert seine Sendung auch mit dem nötigen Glamour und der nötigen Schlagfertigkeit, die heute zur heilen Familienwelt dazugehören. Er reagiert auf jede Strömung und schafft es so, den schwierigen familiären Konsensbetrieb am Laufen zu halten. Viel Aufwand. Aber regelmäßig über zehn Millionen Zuschauer.

Die Sehnsucht nach der heilen Welt ist ungebrochen. Denn nichts wünschen sich die groß gewordenen Kinder mehr, als ihre eigenen Kinder friedlich und glücklich neben sich auf dem Sofa liegen zu sehen. Wie lange es die teuren Samstagabendshows allerdings noch geben wird, ist ungewiss. Zwar kündigt die ARD für Herbst eine neue familientaugliche Show an, aber Jürgen von der Lippe hat den Sender gerade mit "Geld oder Liebe" verlassen. Die Show war teuer, die Einschaltquoten sanken, die Erneuerung der Show stockte. Seit Anfang des Jahres wird nun auch an einer Überarbeitung von "Wetten, dass ... ?" gearbeitet. Die Sendung soll ein bisschen mehr Schmiß bekommen, zum Beispiel dadurch, dass die Wetten der Promis wieder interessanter werden. Trotzdem mäkelte Gottschalk am Erneuerungswillen des ZDF herum.

Familienunterhaltung muss beweglicher werden und den häufigen Tempo- und Themenwechsel, die im wahren Leben herrschen, folgen, sonst verliert sie die Jüngeren. Die gut inszenierte Zufälligkeit muss zunehmen. Denn das ist es ja, was wir uns für unser heiles Leben wünschen: dass wir den Zufall in den Griff bekommen, damit uns das Leben nicht überfordert. Viele Zuschauer gucken ohnehin schon die Quizshows der Privatsender am Samstagabend, die zusätzlich noch erheblich billiger zu produzieren sind. Sie sind allerdings auch viel kühler.

Kerstin Kohlenberg

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