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TV_FESTIVAL: Lauter angeschlagene Helden

Cologne Conference ohne Polanski, doch mit „Top Ten“ des internationalen TV

Roman Polanski sollte am Samstag den Kölner Filmpreis erhalten, doch daraus wird nun nichts. Der internationale Stargast der 19. Cologne Conference sitzt in der Schweiz wegen eines 1977 in den USA begangenen Missbrauchs einer Minderjährigen in Auslieferungshaft. Man könne dem „hinterhältigen“ Verhalten der Schweizer Behörden „nur fassungslos und mit großem Bedauern“ zusehen, sagt Lutz Hachmeister, Mitglied des Präsidiums der Cologne Conference, die am Mittwochabend eröffnet wurde und bis Sonntag dauert. Der 76-jährige Polanski soll den Preis erhalten, „wenn er hoffentlich sehr bald wieder in Freiheit ist“. Die Berner Justizbehörde teilte allerdings mit, dass dies „leider ausgeschlossen“ sei. Selbst bei einer Haftentlassung dürfe Polanski die Schweiz vorerst nicht verlassen. Das geplante Werkstattgespräch mit dem Regisseur über seinen neuen Film „The Ghost“ wird durch den Dokumentarfilm „Roman Polanski: Wanted and Desired“ über den Umgang der US-Justiz mit dem Oscar-Preisträger ersetzt.

In der Affäre Polanski geht es um Sex and Crime, um Schuld, Reue, Vergebung und späten Verrat. Mit anderen Worten: um großes Kino. Was nichts daran ändert, dass sich die Cologne Conference, die vor drei Jahren durch die Koppelung mit dem neu etablierten Kölner Filmpreis aufgewertet werden sollte, als Fernsehfestival einen Namen gemacht hat. Hier werden alljährlich internationale TV-Perlen als Premieren präsentiert, hier wurden Serien wie „Emergency Room“, „24“ und „Lost“ erstmals in Deutschland gezeigt. Die Abwesenheit Polanskis trifft nicht das Kölner Kerngeschäft.

Auch diesmal sind in der „Top Ten“-Reihe drei US-Serien vertreten, deren Gemeinsamkeit ist, dass sie mit schrägem Humor von Außenseitern und Angeschlagenen erzählen. Mit „Nurse Jackie“ blickt CBS aus der Perspektive einer Krankenschwester auf das Treiben in einer Notaufnahme. Jackie (Edie Falco) schluckt haufenweise Pillen gegen Stress und Rückenschmerzen, hat Sex mit dem Apotheker im Medikamentenlager und geigt Ärzten die Meinung. Eine schillernde Frauenfigur bietet auch „United States of Tara“, eine von Steven Spielberg produzierte turbulente Comedy-Serie um eine Frau mit mehreren Identitäten. Tara (Toni Collette/„Little Miss Sunshine“) ist nicht nur eine liebenswerte Gattin und Mutter, sondern hält sich auch für einen 15-jährigen Teenager, einen Vietnam-Veteran und eine religiöse Hausfrau.

In der High-School-Serie „Glee“, in der ein junger Lehrer eine heruntergekommene Gesangs-AG aus lauter Schulaußenseitern übernimmt, verbinden sich dagegen Humor und Musik. Die erste Staffel von „Glee“ wird zurzeit bei Fox ausgestrahlt und könnte ebenso wie „Nurse Jackie“ bei einem Sender der RTL-Gruppe landen, falls die Lizenzrechte genutzt werden. Die vielfältige Tara dagegen hat ebenso wie die anderen internationalen Programme der Cologne Conference noch keine Abnehmer in Deutschland gefunden.

Rund 1000 Filme und Serien aus 43 Ländern waren zur Auswahl der drei Festival-Reihen Top Ten, Look und Independent gesichtet worden. Die Finanzkrise hat ihre Spuren hinterlassen, sagt Direktorin Martina Richter. Zwar werde weltweit so viel produziert wie noch nie, „aber in der Masse deutlich schlechter und billiger“. Der Doku-Boom der vergangenen Jahre sei vorbei, und durch die fiktionalen Programme geistern viele Untote und Fantasy-Figuren. Horror und Mystery, gerne auch in Verbindung mit Krimistoffen, haben die Spürnasen der Cologne Conference als Trends ausgemacht. „Das ist auch eine Form von Eskapismus“, sagt Martina Richter.

Das zumeist ernsthafte, um nicht zu sagen humorlose deutsche Qualitäts-Fernsehen beteiligt sich an solcherlei Alltagsfluchten natürlich nicht. Unter die Top Ten hat es das WDR-Familiendrama „Der verlorene Vater“ geschafft, in dem Autor Daniel Nocke („Duell in der Nacht“) und Regisseurin Hermine Huntgeburth („Teufelsbraten“) das Scheitern einer Ehe aus dem Blickwinkel der neuen Partnerin des Mannes erzählen. Ein beklemmender Film mit Edgar Selge und einer grandiosen Ulrike Krumbiegel.

WDR und Arte sind außerdem an dem niederländischen Dokumentarfilm „Rembrandts Nachtwache“ beteiligt. Peter Greenaway („Der Kontrakt des Zeichners“) erkennt in dem Meisterwerk des niederländischen Malers eine Mordanklage. „Die meisten von uns sind visuelle Analphabeten“, sagt Greenaway und nimmt uns Ahnungslose mit auf eine spannende, kunsthistorisch gelehrte und ästhetisch faszinierende Entdeckungsreise ins 17. Jahrhundert, ausgehend von einem einzigen Gemälde. Auch das: großes Kino.

www.cologne-conference.de

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