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Im Digitalen Visier. Die Ägypter demonstrierten auf dem Tahir-Platz gegen das Regime. Das ließ sich eine Software zum Abhören von Skype liefern, von einer deutsch-britischen Firma.

© dpa

Überwachungstechnik: Die Schnüffel-Industrie unterstützt autoritäre Staaten

Westliche Unternehmen liefern Spionagesoftware nach Ägypten, Libyen und Bahrein. Auch deutsche Unternehmen helfen bei der Überwachung. Die Politik schaut zu – noch.

Als Libyens Rebellen Ende August in Tripolis einrückten, begeisterte ihre Freude über die Befreiung vom Terror-Regime des Muammar al Gaddafi Menschen in aller Welt. Doch für die Manager einiger High-Tech-Firmen aus Europa und Südafrika war die Nachricht vom Fall der libyschen Diktatur höchst unangenehm. Denn die Revolutionäre öffneten die Türen zu jenem unauffälligen sechsstöckigen Gebäude im Zentrum der Stadt, wo der Inlandsgeheimdienst des Regimes seine Abhörzentrale unterhielt. Dort stießen die Befreier nicht nur auf zahllose Akten, welche die Bespitzelung tausender Libyer dokumentierten, die für viele mit Folter und Tod endete. Zugleich entdeckten sie, dass ihre Unterdrücker mit modernster Überwachungstechnologie ausgerüstet waren, die westliche Firmen bedenkenlos geliefert hatten. Damit hatten die Agenten Zugriff auf jede elektronisch übermittelte Kommunikation im Land.

Führend im Libyen-Geschäft mit der Schnüffeltechnik war die französische Software-Schmiede Amesys, ein Tochterunternehmen des IT-Konzerns Bull. Amesys, so berichtete das Wall Street Journal unter Berufung auf die gefundenen Akten, hatte 2008 ein System namens „Eagle“ geliefert. Dessen Einsatz habe lediglich „einen Bruchteil aller Internetverbindungen erfasst“, beschwichtigte die PR-Abteilung des Unternehmens. Doch die Werbung für das Produkt verspricht das Gegenteil. „Eagle“ ermögliche die „strategische flächendeckende Überwachung“ der Internetnutzung, heißt es dort. „Ermittler können die gesamte Datenbasis“ des Internetverkehrs „in Echtzeit“ auf den Gebrauch von Stichworten oder Mail-Adressen prüfen.

Aber Amesys war nicht allein. Die Software zur Auswertung aller internationalen Telefongespräche hatte das südafrikanische Unternehmen VAStech geliefert. Und auch deutsche Verkäufer von Abhörtechnik waren in Libyen aktiv, wie das MDR-Magazin Fakt jetzt berichtete. Demnach unterbreitete die im saarländischen Bexbach beheimatete Firma Syborg dem Sohn des Diktators und Geheimdienstchef Muttasim Gaddafi ein Angebot zur Lieferung eines umfassenden Abhörsystems. Syborg, nach eigenen Angaben „der führende Anbieter am Markt für fortschrittlichste Überwachungstechnik“, ist ein Tochterunternehmen des israelisch-amerikanischen Konzerns Verint, der seinerseits im Ruf steht, eng mit den Geheimdiensten in Israel und den USA verbunden zu sein. Auf Anfrage versicherte nun der leitende Manager Robert Landner, Syborg habe keinerlei Geschäfte in Libyen getätigt. Warum dort ein umfangreiches Angebot seiner Firma vorlag, dazu mochte Landner allerdings lieber nichts sagen. „Aufgrund Verschwiegenheitsverpflichtungen geben wir keine Auskunft über Kunden“, erklärte er. Im Übrigen befolge man „bei allen Geschäften strikt das anwendbare Recht“.

Das ist allerdings bisher höchst flexibel. Denn der Handel mit Überwachungssoftware unterliegt keiner staatlichen Kontrolle, obwohl deren Anwendung für Menschen in Unrechtsstaaten oft zur Gefangennahme und Folter führt. Ungehindert von gesetzlichen Auflagen hat sich daher eine ganze Industrie zur weltweiten Vermarktung von Soft- und Hardware zur Ausspähung entwickelt, die nach Schätzung der Marktforschungsfirma TeleStrategies jährlich mehr als drei Milliarden Dollar umsetzt. Wie skrupellos und in welchem Ausmaß diese Branche ihre Geschäfte betreibt, dokumentiert ein Wiki, das der Datensicherheitsexperte Andy Müller-Maguhn zusammengestellt hat (buggedplanet.info). Seine Datenbank erhebe „keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit“, sagt Müller-Maguhn, der auch Vorstandsmitglied des Chaos Computer Clubs (CCC) ist. Dennoch sind darin jetzt schon 98 Unternehmen aufgelistet, die Überwachungstechnologie anbieten, davon allein aus Deutschland 23. Neben den Firmendaten finden sich auch Eintragungen über alle bekannten Installationen rund um den Planeten und zudem zahlreiche Berichte über deren Einsatz und die Folgen für die Opfer.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, warum der Export von Überwachungstechnik nicht stärker kontrolliert wird.

Mit den Aufständen gegen die arabischen Potentaten wird diese Liste nun immer länger. So veröffentlichte der ägyptische Aktivist Mostafa Hussein Dokumente über die Zusammenarbeit der ägyptischen Staatssicherheit mit dem britisch-deutschen Unternehmen „Gamma“. Daraus geht hervor, dass die Firma im Jahr 2010 Mubaraks Schergen das Programm „FinFisher“ fünf Monate zum Test überließ und für rund 400 000 Euro zum Kauf anbot. Erschreckend für die Revolutionäre war, dass „FinFisher“ auch das Abhören der verschlüsselten Skype-Verbindungen mittels moderner Hackerwerkzeuge ermöglichte. Diese brachten „volle Kontrolle über die Geräte der gehackten Zielelemente“ und die „persönlichen Konten des Skype-Netzes, das unter Elementen, die schädliche Aktivitäten im Internet unternehmen“, als sicher gelte, schrieben die Beamten der „Generaldirektion für Information“ begeistert und empfahlen den Einkauf. Der scheiterte kurz darauf nur am Sturz des Regimes.

In Bahrein steht der noch aus. Darum bringt dort das vor Jahren von Siemens gelieferte „Monitoring Center“ immer wieder Dissidenten in Not, berichteten Folteropfer dem Magazin Bloomberg Markets. Denn dies ermöglicht die Auswertung von Handy-Telefonaten und SMS-Versand. Weil das schon im Fall Iran zu Protesten führte, verkaufte der Konzern das schmutzige Geschäft 2009 an den Finanzinvestor Perusa. Der bietet den Überwachungsdienst seitdem unter dem Namen „Trovicor“ weiterhin weltweit an.

Vor diesem Hintergrund sei es „unverantwortlich, dass in der EU zwar der Export von Verschlüsselungstechnik zum Schutz vor Ausspähung genehmigungspflichtig ist, aber der Verkauf der Überwachungstechnik nicht“, kritisiert CCC-Fachmann Müller-Maguhn. Das sehen auch viele Abgeordnete des Europäischen Parlaments so. Im Rahmen der Ende September verabschiedeten Reform des EU-Gesetzes zum Export von Gütern, die für militärische Zwecke genutzt werden können, beantragte der österreichische Sozialdemokrat Jörg Leichtfried darum einen zusätzlichen Artikel. Danach hätten die Exporteure von Überwachungstechnik vor einer Lieferung die Ausfuhrbehörden unterrichten müssen, um eine Prüfung zu ermöglichen. Weil neben Grünen und Linken auch die Fraktion der Liberalen das unterstützte, schien zunächst eine Mehrheit im Parlament sicher. Doch dann stimmten ausgerechnet die Abgeordneten der deutschen FDP dagegen, so dass 15 Stimmen für die Verschärfung fehlten. Man könne „nicht alle Eventualitäten des Lebens durch detaillierte Gesetze einfangen“, rechtfertigte der FDP-Parlamentarier Holger Krahmer diese Position.

Den Widerstand der deutschen Liberalen führten Leichtfried und seine Mitstreiter auf eine Intervention des FDP-geführten Wirtschaftsministeriums in Berlin zurück. Dort hatte der frühere Minister Rainer Brüderle den Bereich „Zivile Sicherheit“ bereits 2010 zum „Zukunftsmarkt“ für die deutsche Industrie ausrufen lassen und vor „Zusatzbelastungen durch gesetzliche Rahmenbedingungen“ gewarnt. Auch Brüderles Nachfolger Rösler will trotz der vielen Enthüllungen über den Missbrauch der Abhörtechnik an dieser Haltung festhalten, teilte dessen Sprecherin mit. Aber das Thema wird der Minister damit wohl nicht los. Die unterlegenen Euro-Parlamentarier beantragten nun eine Untersuchung durch die EU-Kommission. Kommt es dazu, wird auch Röslers Ministerium unangenehme Fragen beantworten müssen.

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