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Peter Frey

© dpa

Update

Ukraine-Konflikt im Fernsehen: ZDF-Chef: TV in Russland macht Propaganda für Putin

Berichtet das ZDF einseitig über den Ukraine-Konflikt? Chefredakteur Peter Frey erklärt, sein Sender arbeite "so objektiv wie möglich" - während das russische Fernsehen den Stimmungsumschwung für Putin organisiere.

Von Matthias Meisner

Der Chefredakteur des Zweiten Deutschen Fernsehens, Peter Frey, hat Kritik an einer angeblichen Einseitigkeit bei der Berichterstattung über den Ukraine-Konflikt zurückgewiesen. Zwar würden sich je nach Blickwinkel etwa aus Sicht der Polen, der Franzosen, der Engländer, der Amerikaner oder der Russen andere Perspektiven ergeben, sagte Frey dem Tagesspiegel. "Trotzdem glaube ich, dass wir als deutsches Fernsehen die Grundfragen dieses Konfliktes so objektiv wie möglich beantworten." Zugleich bezichtigte der ZDF-Chefredakteur das Fernsehen in Russland der Stimmungsmache für Präsident Wladimir Putin.

"Die russischen Medien werden in einer Weise propagandistisch genutzt, die wirklich problematisch ist", sagte Frey. "Man sieht deutlich, dass die russischen Fernsehkanäle den Blick auf die Welt liefern, so wie Putin sie sehen will." Da Fernsehen das Leitmedium im großen Russland sei, liege hier auch die Ursache für den Stimmungsumschwung zu seinen Gunsten. "Beginnend mit der subversiven Übernahme der Krim von innen bis zur Ostukraine hat Putin seine Medien zur Herausbildung eines neuen russischen Selbstwertgefühls, das hart an Nationalismus grenzt, genutzt und die entsprechenden Bilder produziert." Als Beispiel nannte der Chefredakteur die Flottenparade auf der Krim.

"Im Grunde ist es ein altes und oft bewährtes Schema: Herrscher greifen zu patriotischen Posen, wenn sie spüren, dass es eng wird für sie", erklärte Frey weiter: "Außenpolitische Muskelspiele haben in der Geschichte ja oft über innenpolitische Schwierigkeiten hinweg geholfen."

"Auch westliche Medien können durch Desinformation missbraucht werden"

Der ZDF-Chefredakteur warb um Verständnis für die schwierige Rolle der Journalisten, die aus dem Konfliktgebiet berichten. Wenn ein Reporter nicht so genau wisse, was passiere, wer aus welcher Richtung schieße und welche politischen Strömungen dahinter stecken, müsse er das auch bekennen. "Denn es besteht schon die Gefahr, dass sich auch die westlichen Medien im Russland/Ukraine-Konflikt ,gebrauchen' lassen oder wir durch Desinformation missbraucht werden." Er mahnte, auch bei der Auswahl von Material, das über die sozialen Medien oder über Youtube kommt, gründlich zu prüfen und "äußerst vorsichtig" zu sein. Auch unter Entscheidungsdruck gelte: "Geschwindigkeit ist nicht alles."

Unter Hinweis auf den Ukraine-Konflikt, aber auch auf die Krisen im Nahen Osten und im Irak sagte Frey, er könne sich an keine vergleichbare Lage erinnern, in der er sich als Chefredakteur so viel Gedanken um das Leben seiner Berichterstatter und Teams machen musste wie gegenwärtig. "Wir telefonieren zum Beispiel täglich mit unserer Reporterin Katrin Eigendorf, die für uns in der Ostukraine unterwegs ist." Die Reporter seien mit kleinen Sendern, sogenannten Trackern ausgestattet, um jederzeit wissen zu können, wo sie sich befinden. "Ich habe schon nachts um halb vier Uhr mit dem deutschen Generalkonsul in Donezk gesprochen, weil ZDF-Reporter in einen Hinterhalt geraten waren und wir sie herausbekommen mussten", so der Chefredakteur. Die Zentrale müsse immer wieder überlegen, ob Kollegen zu große Risiken auf sich nehmen, weil sie eine laufende Geschichte verständlicherweise weiter verfolgen wollen. "Wir müssen entscheiden, ob die Reporter zurückgezogen werden oder wir das Risiko weiter eingehen."

SS-Runen und Hakenkreuze in "heute"-Nachrichten

Auf den Streit um die "heute"-Nachrichtensendung vom 8. September ging Frey nicht direkt ein. In ihr waren Soldaten des Asow-Bataillons in der Ostukraine gezeigt worden, die an ihren Stahlhelmen SS-Runen und Hakenkreuze hatten. Dazu gab es im ZDF nur den verallgemeinernden Kommentar: "Freiwilligenbataillone aus nahezu jedem politischen Spektrum verstärken etwa die Regierungsseite - und in der Ukraine ist Wahlkampf: Eine Friedenslösung ist dadurch nicht einfacher geworden." Das ZDF hatte Vorwürfe, er verstoße mit der Präsentation von Nazi-Symbolen gegen die eigenen Programmrichtlinien, zurückgewiesen. "Paragraf 86 des Strafgesetzbuches, der die Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen unter Strafe stellt, findet keine Anwendung, wenn das Propagandamittel zum Beispiel der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens dient", sagte ein Sprecher.

Eklat im ZDF-Fernsehrat

Im Zusammenhang mit dieser "heute"-Sendung kam es am vorletzten Freitag zu einer Auseinandersetzung im Fernsehrat des ZDF. Die Linken-Politikerin Gesine Lötzsch, die das Thema dort als Mitglied des Gremiums ansprach, wurde von Frey abgebügelt. Der ZDF-Chefredakteur war demnach, wie es aus dem Umfeld der Linken-Bundestagsabgeordneten hieß, vom "Unterton" der Frage von Lötzsch befremdet. "Mit diesem allgemeinen Vorwurf kann ich nichts anfangen", beschwerte sich die ehemalige Linken-Parteichefin anschließend in einem Brief an Frey. "Besonders ärgerlich ist es, wenn Sie Fragen eines Fernsehratsmitgliedes kritisieren, um sie nicht beantworten zu müssen."

Konkret wissen will Lötzsch, wie Frey einen Kommentar der "Jüdischen Allgemeinen" bewertet, die den Vorfall mit den Hakenkreuzen und SS-Runen in der "heute"-Sendung ebenfalls aufgegriffen hatte. In ihm hieß es, die Deutschen hätten die Pflicht, sich dagegen "zu wehren, dass wir uns einer ukrainischen Regierung verpflichtet fühlen sollen, die bereit ist, ihre politischen Ziele mit allen Mitteln zu erreichen – wenn es sein muss, auch mit nazistischen Gruppierungen". Aufgabe der Medien sei es, als unabhängige Instanz auf Missstände hinzuweisen. "Der Spruch ,Mit dem Zweiten sieht man besser' ist offenbar nur eine leere Worthülse." Lötzsch hat inzwischen die schriftliche Beantwortung ihrer Frage gefordert - eine Antwort bisher aber nicht erhalten.

Hakenkreuz am Stahlhelm. Kämpfer des Asow-Bataillons in der Ostukraine in der "heute"-Sendung vom 8. September
Hakenkreuz am Stahlhelm. Kämpfer des Asow-Bataillons in der Ostukraine in der "heute"-Sendung vom 8. September

© Tagesspiegel

Die medienpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Tabea Rößner, unterstützte Lötzsch in dieser Auseinandersetzung mit dem ZDF-Chefredakteur. "Dass kritische Fragen unbeantwortet bleiben, weil der Unterton nicht passt – zumal auch andere Medien, wie die „Jüdische Allgemeine“ das Thema behandelt haben – ist sicherlich nicht förderlich für die Arbeit dieses Gremiums", sagte sie dem "Handelsblatt" (Online-Ausgabe). "Wenn die Arbeit wegen Befindlichkeiten zum Stocken kommt, ist es an dem Vorsitzenden des Fernsehrates einzugreifen, so dass Themen vollständig diskutiert und Fragen beantwortet werden." Vorsitzender des Fernsehrats ist der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Ruprecht Polenz.

Rößner wies darauf hin, dass das ZDF Zuschauern einen "objektiven Überblick" über das Weltgeschehen geben und insbesondere ein "umfassendes Bild" der deutschen Wirklichkeit vermitteln und die individuelle und öffentliche Meinungsbildung fördern solle. "Der Fernsehrat ist dementsprechend dazu da die Sendungen des ZDF auf Anspruch und Wirklichkeit hin zu überprüfen", sagte die Grünen-Politikerin und fügte hinzu: "Dazu gehört es, dass Fernsehratsmitglieder auch kritische Fragen stellen dürfen."

Frey: Ein Grenzfall, aber noch vertretbar

Das ZDF erklärte am Samstag zu dieser Kritik, Chefredakteur Frey habe in der ZDF-Fernsehratssitzung sehr wohl Stellung genommen zu der "heute"-Sendung vom 8. September und auch die Fragen von Lötzsch beantwortet. Es habe sich um eine "sehr kurze Bildfrequenz" gehandelt, in der ein Reporter über eine paramilitärische Einheit berichtet habe, die "in der Tat SS-Symbole" getragen habe. Dies sei im Bericht "nicht besonders herausgehoben, aber angedeutet worden". Frey habe den Vorgang "in der Sitzung als Grenzfall, aber noch vertretbar eingestuft".

Der Sender sprach von Versuchen, seine Krisenberichterstattung über die Ukraine zu diskreditieren. Er wies diese zurück. Das ZDF habe sich "immer wieder mit den Kräften des Rechten Sektors in der Ukraine befasst "und dieses Phänomen eingeordnet", die Russland-Politik der Nato kritisch analysiert und etwa den russischen Botschafter in Deutschland, Wladimir Grinin, mehrfach in die Talksendung "Maybrit Illner" eingeladen. Polenz zitierte das ZDF mit den Worten, wie zuvor der zuständige Programmausschuss Chefredaktion habe auch der Fernsehrat in seiner vergangenen Sitzung die Krisenberichterstattung zur Russland-Ukraine-Krise "ausdrücklich anerkannt und gelobt".

Internetaktivisten werfen ARD und ZDF antirussische Propaganda vor

Auch in der ARD hatte es Auseinandersetzungen um die Ukraine-Berichterstattung gegeben. Internetaktivisten werfen sowohl ARD als auch ZDF antirussische Propaganda vor. Fast zwei Dutzend Programmbeschwerden hat allein Maren Müller aus Sachsen eingereicht, die im Januar nach der von ihr gestarteten Aufsehen erregenden Petition "Raus mit Markus Lanz aus meiner Rundfunkgebühr" eine "Ständige Publikumskonferenz" gegründet hat. Auf der Webseite des Vereins wird unter anderem eine Falschmeldung vom Mai dokumentiert. Sowohl ARD als auch ZDF hatten demnach damals gemeldet, bei einem Referendum der Separatisten in der ostukrainischen Stadt Krasnoarmeisk hätten Rebellen auf Zivilisten geschossen. Laut "Spiegel" war es in Wahrheit umgekehrt - die ukrainische Nationalgarde stürmte das Wahllokal und schoss auf Anhänger der Separatisten. Das Magazin zitierte Maren Müller mit dem Vorwurf, beide Sender hätten wider besseren Wissens gelogen. "Wenn das nicht antirussisch ist", sagte sie.

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