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Umzugs-Geschichten: Berlin-Korrespondenten über den Tagesspiegel

Frühstückslektüre, Orientierungshilfe und Kontaktbörse: Ausländische Berlin-Korrespondenten schreiben hier über „ihren“ Tagesspiegel - aus Anlass unseres Umzugs an den Askanischen Platz.

JOOST VAN DE VAART, NRC Handelsblad, Niederlande

Natürlich lese ich den Tagesspiegel. Schon seit 37 Jahren. Den ersten Tagesspiegel bekam ich im Sommer 1972 zu fassen, als ich als 18-jähriger Jüngling zum ersten Mal in Berlin war, um meine Tante zu besuchen. Sie war und ist Tagesspiegel-Leserin. Die Sympathie für diese Zeitung ist immer geblieben. Auch jetzt noch, wo ich in Berlin lebe und arbeite und das Ungewohnte normal zu werden beginnt. Ich freue mich montags über die Fragen an Josef Joffe. Ich mag Appenzellers Kommentare. Ich finde die Aufmachung der Zeitung prächtig – weil zeitlos. Und so gibt es noch mehr Dinge, die diese Zeitung einzigartig machen und ihr einen eigenen Platz in Berlin und der Bundesrepublik verschafft haben. Interessant finde ich außerdem, dass der Tagesspiegel als semilokale Zeitung an verschiedenen Orten in den Niederlanden zu kaufen ist.

Aber Kritik habe ich auch. Ich finde die Seite 3 eine ausgesprochen träge Seite. Kollegen! Sie füllen die fast bedeutendste Seite der Zeitung mit einem Artikel. Es wird eine bewusste Wahl sein, aber ich denke, dass man so das Tempo aus der Zeitung nimmt. Das Berlin-Buch darf für mich kräftiger werden: mehr eigene Nachrichten, mehr Geschichten „von der Straße“, mehr Reportagen. Es ist mir jetzt zu betagt. Wir leben doch in einer „coolen“ Weltstadt, einer Metropole, die populärer als New York ist? Im Berlin-Buch riecht es mir zu sehr nach dem dörflichen West-Berlin.

Das bringt mich zum letzten Punkt: dem Fußballclub der deutschen Hauptstadt. Mit Hertha BSC wird es niemals etwas werden, so lange die Berliner Presse diese Mannschaft mit einem gewissen Mitleid behandelt. Erst als vor ein paar Monaten Hertha Deutscher Meister zu werden drohte, wurden die Reporter in Berlin wach. Ach ja, Hertha, das ist unser Club. Meiner Ansicht nach ist hier Missionsarbeit zu verrichten, auch von der Sportredaktion des Tagesspiegels.

Und sonst? Sonst nichts als Lob. Der Tagesspiegel scheint meine Zeitung zu sein.

PASCAL THIBAUT, Radio France Internationale

Meine Beziehung zum Tagesspiegel war lange eine Bauchentscheidung. Da mein Arbeitgeber Radio France Internationale sich für unser erstes Hauptstadtbüro die bedingt glamouröse Potsdamer Straße ausgesucht hatte, wurde die Tagesspiegel-Kantine in dieser gastronomischen Wüste ein Zufluchtsort für die obligatorische „pause déjeuner“ des Exil-Franzosen. So ließen sich lange die Einhaltung französischer Gewohnheiten und die Entdeckung der germanischen „Esskultur“ verbinden. In dieser Hinsicht verdanke ich dem Tagesspiegel als Ausländer einen Großteil meiner Integration.

Sehr früh pflegte ich mit Mitarbeitern des Tagesspiegels Kontakte. Ich trug dazu bei, dass ein „éminent commentateur“ des Blattes (das Zitat entnehme ich einer Lobeshymne des Fernsehsenders France 2) dem Charme einer Kollegin und Landsfrau verfiel. Durch die daraus entstandene Ehe wurde ein zusätzlicher Beitrag zur deutsch-französischen Freundschaft zementiert, kurz nach dem Abzug der Alliierten.

Ich hätte beinahe mithilfe des Tagesspiegels einen ähnlichen Beitrag leisten können. Eine Kollegin des Blattes besuchte mich in meinem Büro, um mein Porträt für die Medienredaktion zu schreiben. Es folgte ein zweites Treffen, weil die neugierige Dame zusätzliche Details brauchte. Ihr schmeichelhafter Beitrag erschien kurz danach. Viel später schickte sie mir die Kopie eines Romanprojektes. Darin zeichnete die Redakteurin Sylvia das Porträt des jungen Korrespondenten Régis Arnaud, in den sie sich halb verliebt hatte und den sie vergeblich versuchte, aus der Reserve zu locken.

„Rerum cognoscere causas – Die Ursachen der Dinge erkennen“, heißt es Tag für Tag auf der ersten Seite des Tagesspiegels. Für die Sylvias dieser Welt half mir dieses Zitat nicht weiter.

AHMET KÜLAHCI, Hürriyet, Türkei

Ich habe erst im Jahre 1983 mit dem Tagesspiegel Bekanntschaft gemacht, als ich die Leitung der Berliner Hürriyet-Redaktion übernahm. Auch der Tagesspiegel gehörte – wie einige andere lokale und überregionale Tageszeitungen – zu meiner täglichen Lektüre. Aber da ich 1995 nach Frankfurt am Main zurückgekehrt bin, konnte aus dieser Bekanntschaft keine Freundschaft entstehen. Später, als Hürriyet-Korrespondent in Bonn, kam ich ab und zu auch mal nach Berlin. Selbstverständlich erfuhr ich aus dem Tagesspiegel viel über die Türken in der Stadt. Nachdem die Mauer gefallen und die Regierung umgezogen war, kam ich zum zweiten Mal nach Berlin – und übernahm am 1. Januar 2000 nochmals die Leitung der Hürriyet. Wie früher gehörte selbstverständlich auch der Tagesspiegel wieder zu meiner täglichen Lektüre. Und ich habe festgestellt, dass der Tagesspiegel im Laufe der Zeit auch die Zeitung vieler Berliner Türken geworden ist. Er liegt jetzt nicht nur bei türkischstämmigen Anwälten und Ärzten aus, er wird auch von den Verkäufern und Verkäuferinnen auf dem „Türkenmarkt“ am Maybachufer gelesen. Das finde ich gut und richtig. Doch natürlich erwarten die Berliner Türken – oder „türkischen Berliner“ – auch etwas: dass der Tagesspiegel in Zukunft ihren Problemen in dieser Stadt, ihrer neuen Heimat, noch mehr Platz einräumt.

AKTHAM SULIMAN, Al Dschasira, Katar

Die Dozenten des Fachbereichs Kommunikationswissenschaften an der Freien Universität – damals, Anfang der 90er Jahre noch in der Malteser Straße in Lankwitz – gaben die Stichwörter vor. Zumindest für jemanden wie mich, der aus Damaskus kam und Deutsch erst zwei Jahre zuvor zum ersten Mal gehört hatte, war dies eine willkommene Orientierung, was die deutschen Tageszeitungen anging. So wurde ein Blatt immer als „alternativ“ bezeichnet, ein anderes als „links orientiert“ und ein weiteres als „konservativ“ oder gar „Springer-Blatt“.

Für den Tagesspiegel hatte man das Schlagwort „West-Berlin“ ausgesucht. Er stand als Oberbegriff für West-Berliner Blätter – mit gleicher Betonung auf „West“ und „Berlin“. Wenige Jahre nach dem Mauerfall war ständig die Rede von Ost-Berlin und West-Berlin. Zumindest was den Zeitungsmarkt angeht, hat sich das über die Jahre nicht sehr geändert. Verändert hat sich allerdings meine Beziehung zur deutschen Presse. „Nicht konsumieren, verkaufen!“, hieß bei mir die Devise ab Mitte der 90er Jahre.

Und tatsächlich konnte ich als freier Journalist Ende der 90er Jahre auch dem Tagesspiegel endlich einen Artikel unterjubeln. Es war ein Stück für die „Wissen/Forschen“-Seiten über die Schaffung einer elektronischen Datenbank im Fachbereich Islamwissenschaft an der FU. Es ging um die Abbassiden-Zeit, so erschien der Artikel unter dem Titel „Das Who is who des Kalifen von Bagdad“. Und ich war stolz – aber auch froh –, meinen Namen auf dieser und nicht auf der „Nachrufe“-Seite zu lesen. Zumal sich der Tagesspiegel als Zeitung für Berliner im Diesseits und Jenseits versteht.

SHOGO AKAGAWA, Nikkei, Japan

Diesen Juli fiel die S-Bahn in Berlin aus. Welche Linie fährt, und wie sieht es mit dem Ersatzverkehr aus? Obwohl klar ist, dass eine Zeitung, die eine bundesweite Auflage hat, nicht in der Lage ist, hierauf in allen Einzelheiten einzugehen, bleibt die Berichterstattung darüber trotzdem notwendig. Der Tagesspiegel ist eine Zeitung, die Berlin und Umgebung anhand von einfachen, aber umfassenden Grafiken und Tabellen mit vielen Informationen versorgt. Für die Kulturhauptstadt Berlin ist natürlich auch ein Feuilleton wichtig. In welchem Theater werden interessante Aufführungen gezeigt? Das ist etwas, was ich unbedingt verfolgen möchte. Doch für einen in Berlin ansässigen Journalisten gibt es noch andere angenehme Begleiterscheinungen. Berlin ist ein Spiegel für Politik, Wirtschaft und soziale Probleme auf Bundesebene. Wird die Linke stärker? Was ist mit der Integrationspolitik? Die Unterschiede zwischen West und Ost?

Ich wünsche mir, dass alle diese Themen stärker aufgegriffen werden. In der aktuellen Finanzkrise haben alle Industrieländer massiv Schulden angehäuft, jetzt ist der Schuldenabbau für eine Konsolidierung unabdingbar. Das könnte einen Abbau der sozialen Leistungen oder zusätzliche Belastungen für die Bürger bedeuten. Bei der anstehenden Aufgabe für Japan und Deutschland, den Sozialstaat trotz Schuldenabbau zu erhalten, wäre eine fokussiertere Berichterstattung wünschenswert.

BIRGIT SCHWARZ, ORF (Österreichischer Rundfunk und Fernsehen)

Ein guter Tag fängt mit Stuttmann an. Der Tagesspiegel – das ist für mich ein Lächeln zum Frühstückskaffee. Dieser wunderbare Karikaturist hat mit seiner Mischung aus politischem Gift und köstlichem Spaß so manche meiner Korrespondentengeschichten inspiriert. Der Tagesspiegel zieht jetzt um, und ich hoffe, der Stuttmann zieht mit.

Ich bin seit zehn Jahren in Berlin, und seither ist der Tagesspiegel ein täglicher Wegbegleiter, manchmal richtig spannend, manchmal auch ziemlich aus der Puste. Man spürt, dass die wirtschaftlichen Zwänge – wie in so vielen Medien – die Spielräume kleiner werden lassen. Für meinen Job darf und muss ich ihn lesen, und das wirklich Erstaunliche ist: In zehn Jahren hat sich an der Teilung der Stadt nichts geändert, der Teilung zwischen der Berliner Zeitung für den Osten und dem Tagesspiegel für den Westen. Das Rennen um den Titel „Hauptstadtzeitung“ ist immer noch offen. Als Korrespondentin brauche ich beide Zeitungen, will ich alles wissen, was wichtig ist in der deutschen Hauptstadt.

Eigentlich müsste ich jeden Tag alles lesen. Aber das schafft nur, wer sonst nichts zu tun hat. Deshalb spielen Autoren eine so große Rolle. Tissy Bruns zum Beispiel, Robert Birnbaum vor allem, aber auch Harald Schumann, der einen so besonderen Blick auf Menschen hat – unten und oben. Alle diese Namen sind Markenzeichen, die den Tagesspiegel ausmachen.

Nur etwas ärgert mich beim Tagesspiegel genauso wie bei der Konkurrenz: das Kinoprogramm. Es mag ja sein, dass Berliner nicht nur ihren Kiezen, sondern auch nur einem Kino treu sind. Dann genügt ein Blick auf das kleingedruckte unübersichtliche Programm. Im Namen der vielen Filmfans in dieser zauberhaften Stadt wünsche ich mir: Druckt ein Kinoprogramm, alphabetisch sortiert nach den Titeln der Filme!

PIOTR BURAS, Gazeta Wyborcza, Polen

Eine klare politische Kante ist nicht des Tagesspiegels Sache. So kann das Blatt sehr wohl als ein Spiegel gelten: der einer um Konsens bemühten und irgendwie mittig-liberalen Republik. Auch wer sich manchmal etwas mehr Pfeffer wünschte, weiß das als Leser zu schätzen. Das umso mehr, wenn einer die Berliner Republik nicht nur aus Münchner, Frankfurter oder Hamburger Perspektive erkunden will. „Ohne eine Hauptstadtzeitung geht es gar nicht“ – gab mir ein guter Freund aus Steglitz zu bedenken, als ich mir nach der Ankunft in Berlin ratlos über einen geeigneten Mix von Abo-Zeitungen den Kopf zerbrach. Recht hatte er, und es lohnte sich, auch seinem Tipp zu folgen: Ohne den Sonntagsessay, die „Zwischenrufe“ und den täglichen Leitartikel kann inzwischen keine Woche vergehen. Und ein Blick hinter die Kulissen der Berliner Schloss- oder Denkmaldebatten erscheint einem Neuankömmling, der die diffuse Berliner Identität erfassen will, geradezu unerlässlich.

Bei aller Ausgewogenheit muss sich die Redaktion gleichwohl einen Beinamen gefallen lassen: den der Polenversteher. Wer in Polen immer noch über die deutsche Ignoranz dem östlichen Nachbarn gegenüber lästert, wird hier nicht nur im Jubiläumsjahr 2009 seinen Trost gefunden haben. Ob Herausgeber, Redaktionsdirektor oder leitender Politikredakteur: Der Tagesspiegel ist immer dort in führenden Rollen vertreten, wo es im Berliner Veranstaltungszirkus um Polen geht. Mit ihm ist die deutsche Hauptstadt noch ein Stück näher an Warschau gerückt. Es bleibt nur, – sich und Euch – ein „Weiter so“ zu wünschen. Und: Wszystkiego dobrego!

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