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Medien: „Unsere 50er Jahre“

Wie wir wurden, was wir heute sind: Eine ARD-Reihe mit sehr persönlichen Biographien

50er Jahre? Wirtschaftswunder. Das ist die spontane Antwort, wenn man fragt, was die Leute mit diesem Jahrzehnt verbinden: Petticoat und Motorroller, Elvis Presley, Sieg bei der Fußballweltmeisterschaft. Natürlich ist das oberflächlich, passierte damals viel mehr. Die Dokumentar-Serie „Unsere 50er Jahre“ der ARD zeigt, wie hart viele Menschen um ihr bisschen Glück kämpfen mussten, in diesen Jahren der Nachkriegszeit. Die Freiheit, die Ausgelassenheit, das kam erst etwas später. Die 50er Jahre, das klingt wie eine einheitliche Epoche, aber eigentlich waren sie eine Zeit des Umbruchs, der Verwerfungen.

Noch zu Anfang des Jahrzehnts lagen in den Städten viele Häuser in Trümmern. Sie waren zu nichts nutze, außer zum Spielen für die Kinder, eines davon war Dirk Kuhl: „Ich hatte eine freie, wilde Kindheit, die habe ich ausgenutzt. Es war paradiesisch.“ Sein Vater war in britischer Gefangenschaft gestorben, glaubte er, und er kam offenbar einigermaßen klar damit. Andere, die damals Kinder waren, lebten in Angst um ihre Väter: Die waren noch in Gefangenschaft, oder schon wieder, so wie Rose Brocks Vaters, der in der DDR von der Stasi „abgeholt“ worden war und jahrelang spurlos verschwand.

Keine der landläufigen Dokumentationen hat die ARD hier vorgelegt, mit den üblichen Wochenschau-Aufnahmen und Bildern großer Ereignisse. „Unsere 50er Jahre“ lässt „ganz normale“ Frauen und Männer über sich erzählen und schreibt so eine Familien- und Alltagsgeschichte jener Zeit. Nur einige Kommentare verweisen gelegentlich auf die Entwicklungen der internationalen Politik, die die Schicksale der „kleinen Leute“ so massiv beeinflussten.

Die Autoren Jan Schütte und Thomas Kufus haben eine gute Auswahl von Menschen mit zeittypischen Erfahrungen getroffen. Dorothea Eisenberg etwa, die mit ihrer Familie aus Orlau (heute in Tschechien) in den Westen vertrieben wurde. Sie wird Lehrerin und heiratet, doch bis es so weit ist, muss sie einen Weg finden, mit der damals äußerst rigiden Sexualmoral umzugehen. Die 50er Jahre waren spießig. Aber kleine Fluchten gab es auch damals.

Sehr anschaulich sind die persönlichen Erfahrungen, sie bergen zugleich die Gefahr, auf dieser konkreten Ebene stecken zu bleiben. Wenn Kufus und Schütte mehrmals von Männern und Vätern erzählen, die erst spät in den 50er Jahren aus der Gefangenschaft heimkehrten, dann vergessen wir diejenigen, die schon kurz nach Kriegsende wieder zuhause waren. Das waren wohl doch deutlich mehr. Zugegeben, die Geschichten von den Männern, die erst nach Jahren zurück kamen und ihre Frauen mit anderen Männern antrafen, sind die spannenderen.

Schaufenster mit Kunden, Straßencafés, die Familie zu Hause: Auf Fotos und in Filmaufnahmen sehen wir den Alltag jener Jahre. Dabei nehmen sich die Filmemacher große Freiheiten. Sie schneiden historische Filmbilder beispielsweise eines Jungen oder eines Mädchens so passend zu den Aussagen der Zeitzeugen, dass man glauben mag, die Bilder zeigten die gerade Redenden. Die Erzählungen der Zeitzeugen und die illustrierenden Bilder, sie sind auf Identifikation angelegt. Geschickt verteilt über die sechs Folgen der Serie, bewirken die Geschichten der Protagonisten, dass man dran bleibt – wir wollen wissen, wie es weiterging. Schlimm ausgehen kann das ja nicht, das wissen wir. Die Protagonisten leben allesamt in gutbürgerlichen, geschmackvoll ausgestatteten Wohnungen.

Die 50er Jahre, das war anfangs wirklich eine harte Zeit. Aber dann kam der wirtschaftliche Aufschwung, und damit auch die Chance, sich von überlebten Traditionen zu befreien. „Unsere 50er Jahre“, das ist eine Serie über unsere Grundlagen in diesem Land. Nicht auszudenken, was aus uns hätte werden können.

Wer nach den sechs Folgen der Fernsehreihe mehr wissen will, dem sei das gerade im Eichborn Verlag erschienene Begleitbuch von Rudolf Großkopf empfohlen.

„Unsere 50er Jahre“, ARD, 21 Uhr 45

Eckart Lottmann

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