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Medien: Unter Druck

Sinkende Auflagen, wachsendes Internet: Die Krise der US-Presse spitzt sich zu

Die „Los Angeles Times“, eine der größten und angesehensten Tageszeitungen der USA, hat zum zweiten Mal innerhalb eines guten Jahres ihren Chefredakteur und den Herausgeber verloren. Am Wahltag vor einer Woche, als die Aufmerksamkeit der Nation dem Machtwechsel im Kongress galt, feuerten die Eigentümer Chefredakteur Dean Baquet, weil der sich weigerte, weitere Budget- und Personalkürzungen mitzutragen. Einen Monat zuvor war Herausgeber Jeff Johnson gegangen. 2005 hatten sich Chefredakteur John Carrol und Herausgeber John Puerner verabschiedet, auch sie nach einem Budgetstreit.

Das Mutterhaus, die „Chicago Tribune“, hat nun zwei ihrer Leute nach Kalifornien entsandt: James O’Shea als Chefredakteur und David Hiller als Herausgeber. Manche Mitarbeiter in Los Angeles beruhigt das. Sie sehen darin einen Beleg für das anhaltende Interesse des Konzerns an der „LA Times“, zumal der scheidende Chef der neuen Führung sein Vertrauen aussprach. Doch gleichzeitig kursieren Gerüchte, das Blatt werde schon bald an Investoren verkauft: Der Supermarkt-Milliardär Ron Burkle hat Interesse bekundet, ebenso der Musik- und Filmproduzent David Geffen, auch er Multimilliardär.

Die „LA Times“ ist das krasseste Beispiel für eine anhaltende Krise der Qualitätszeitungen in den USA, ihre Auflage ist in sechs Monaten um acht Prozent gefallen, auf 775 766 Exemplare, 2000 waren es noch über eine Million. Auch „New York Times“ und „Washington Post“ verlieren an Auflage und Werbeeinnahmen und machen mit Entlassungen Schlagzeilen. Freilich arbeiten für die großen Blätter viel mehr Redakteure als bei deutschen Zeitungen: Die „LA Times“ beschäftigt 940, die „NY Times“ 1200, die „Washington Post“ 760. Viele Rahmenbedingungen ähneln denen in Europa: Für junge Konsumenten, die zweite bis dritte Generation des Fernsehzeitalters, gehört die Tageszeitung nicht mehr so selbstverständlich zum Alltag wie für Ältere. Das Internet macht den Blättern doppelte Konkurrenz: beim Inhalt und beim Werbeaufkommen.

Doch zwei amerikanische Besonderheiten kommen hinzu. Politisch ist die Nation nach sechs Jahren unter George W. Bush scharf gespalten. Das macht es für Chefredaktionen extrem schwer, einen Kurs zu steuern, der Leser in der Breite mehr anspricht als verärgert. Und der Renditedruck auf US-Blätter ist größer als in Europa. Sie werden am Erfolg börsennotierter Konzerne gemessen und sollen hohe einstellige oder gar zweistellige Verzinsungen abwerfen. Im März war Knight Ridder, ein Imperium aus 35 Regionalzeitungen und 65 weiteren Blättern, an den kleineren Konkurrenten McClatchy verkauft worden, obwohl es keine größeren Probleme mit Auflage oder Gewinn gab. Den Großaktionären war die zweistellige Bruttogewinnmarge zu niedrig. Bei der „NY Times“ kämpfen die Minderheitsaktionäre darum, den Einfluss der Verlegerfamilie Sulzberger zu brechen, die die Mehrheit hält, und mehr Renditedenken durchzusetzen.

1984 wurden in den USA täglich 63,3 Millionen Zeitungen verkauft, heute sind es 43,7 Millionen, ein Drittel weniger. Die Abwanderung der Leser hat sich beschleunigt und 2006 den höchsten Wert seit 15 Jahren erreicht. Im Schnitt haben die 770 Tageszeitungen der USA gegenüber 2005 2,8 Prozent Auflage eingebüßt. Von den zehn größten geben nur zwei Boulevardblätter in New York, die „Post“ und die „Daily News“, an, sie hätten mehr Exemplare als vor einem Jahr verkauft. Nach Auflage führt „USA Today“ mit 2,27 Millionen vor dem „Wall Street Journal“ (2,04 Millionen) und der „NY Times“ (1,09 Millionen).

Die Branche streitet, was die richtige Antwort ist. „Stick with ink and sink“ – wer auf Drucktinte setze, gehe unter –, sagen die einen. Der Rückgang lasse sich nur bremsen, nicht verhindern. Andere wollen dem Fernsehen und dem Internet mit deren Mitteln Konkurrenz machen: Mehr Unterhaltung, auch Polit-Entertainment müsse in die Zeitung. Und Leser sollten ebenso mitschreiben dürfen wie in Internet-Bloggs. Nein, sagen die Kritiker. Diese Zwänge hätten zu Skandalen geführt und die Krise nur verstärkt. Bei der „NY Times“ erfand Jason Blair Reportagen. Judy Miller war mit ihren Berichten über Saddams angebliche Massenvernichtungswaffen einige Monate ein Star; dann stürzte mit ihr auch der Ruf der „NY Times“ ab. Die „Washington Post“ musste Leserkolumnen in ihrer Internetausgabe schließen, nachdem es dort zu wüsten Beleidigungen gekommen war.

Alle experimentieren mit einer Verknüpfung von Druckausgabe und Internet. Bisher machen die Einnahmen aus dem Netz die Rückgänge bei der Zeitung nicht wett. Der Internetriese Google, der mit Werbung im Netz prächtig verdient, will sein Geschäft nun umgekehrt auf die Drucksparte ausdehnen – und Zeitungsanzeigen im Internet vermarkten.

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