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Dokument oder Zurschaustellung? In Frankreich wird diskutiert, ob Bilder von Dominique Strauss-Kahn in Handschellen (zweiter von rechts) gezeigt werden dürfen.

© Reuters

Unter einer Decke: Die Kuschelmonster

Das Privatleben der Politiker ist für die Medien in Frankreich tabu. Durch die Affäre Dominique Strauss-Kahn gibt es Kritik am Schweigegelübde.

Zu viel? Zu wenig? Frankreichs Medien sehen sich im Skandal um Dominique Strauss-Kahn Kritik von zwei Seiten ausgesetzt. Mit der ständigen Wiedergabe der Aufnahmen des in Handschellen dem New Yorker Gericht vorgeführten Direktors des Internationalen Währungsfonds (IWF) hätten sie gegen das in Frankreich geltende Prinzip der Unschuldsvermutung verstoßen. Andererseits hätten sie durch ihr langes Verschweigen der über Strauss-Kahn umlaufenden Gerüchte sich einer Art Omertà schuldig gemacht.

Den ersteren Vorwurf erhob die Medienaufsichtsbehörde Conseil Supérieur de l’Audiovisuel (CSA) insbesondere gegen die Fernsehsender. Nach dem französischen Presserecht steht die Verbreitung von Bildern gefesselter Personen, die noch nicht rechtskräftig verurteilt sind, unter Strafe. Ein anderes Gesetz verbietet Bild- und Tonaufnahmen aus Gerichtssälen. Mehr Zurückhaltung fordert der CSA daher von den Medien.

Geschockt von der ebenso in den Printmedien übermittelten brutalen Realität des amerikanischen Justizwesens reagierte auch die politische Öffentlichkeit. „Absolut widerlich“ nennt Philosoph Bernard-Henri Levy die Bilder. Der frühere Kulturminister Jack Lang vergleicht die demütigende Zurschaustellung des Beschuldigten mit einem „mittelalterlichen Schandpfahl“. Robert Badinter, der ehemalige Präsident des Verfassungsrats, spricht von einer „bewussten medialen Hinrichtung“. In der linken Wochenzeitschrift „Le nouvel observateur“ meint der Publizist Jean Daniel: „Das amerikanische Volk und wir gehören nicht mehr derselben Zivilisation an.“

Wie tief der Graben ist, der sich in diesem Skandal zwischen den gleichermaßen als Wiege der Menschenrechte geltenden Nationen auftut, zeigen die Vorwürfe, die jetzt in den USA gegen Frankreichs Medien laut werden. Diese hätten die Gewohnheit, vor den Sex-Affären von Politikern „die Augen zu verschließen“, schreibt das „Wall Street Journal“. Nach der „New York Times“ hielten sie sich an einen „Code des Schweigens“.

Die Boulevard-Zeitung „France Soir“ griff den Vorwurf eines „schuldhaften Verschweigens“ mutmaßlicher, bisher ignorierter Obsessionen Strauss-Kahns auf, das ständige Anmachen von Frauen und die angeblichen Besuche in Swinger-Clubs. „Alle wussten es“, titelt das Blatt. Doch mehr als Klatsch war das nie. Als der Journalist Jean Quatremer von der Zeitung „Libération“ 2008 anlässlich der Berufung von Strauss-Kahn an die IWF-Spitze seine Redaktion vor dem notorischen Schürzenjäger warnte, verzichtete diese auf eine Verwertung solcher Informationen. Sein Wissen verbreitete er damals über seinen privaten Blog. Einer „seltsamen Omertà“ beschuldigt der Autor Christophe Deloire jetzt die Medien. Sie hätten dem Kapitel über Strauss-Kahns Neigungen in seinem Buch „Sexus Politicus“ seinerzeit keinerlei Beachtung geschenkt.

Anders als in den angelsächsischen Ländern ist das Privatleben von Politikern für französische Medien tabu. Das fordert schon der Code Civil, der eine der in dieser Hinsicht in Europa strengsten Regelungen enthält. Andererseits gibt es aber auch, wie das Wochenmagazin „Le Point“ anmerkt, eine Art Einvernehmen zwischen Journalisten und Politikern. „In diesem Milieu von Medien und politischer Macht kennt man sich, man duzt sich und behält vieles, was man erfährt, für sich.“ Manchmal genügen auch Einschüchterungen, um Dinge unter Verschluss zu halten. Über Mitterrands uneheliche Tochter, deren Existenz für Insider kein Geheimnis war, berichteten die Medien erst, nachdem „Paris Match“ mit Genehmigung des Präsidenten Fotos von ihr veröffentlichte. Über Chiracs Seitensprünge gab es Anspielungen („Fünf Minuten, Dusche inklusive“), berichtet wurde darüber nie.

Das müsse sich ändern, wenn die französischen Medien beim Publikum glaubwürdig bleiben wollen, fordert der Soziologe Jean-Louis Missika in „Le Monde“. Dem widerspricht die satirische Wochenzeitung „Le canard enchainé“. „Für uns endet die Information an der Tür zum Schlafzimmer“, schreibt das Enthüllungs-Blatt. Nicolas Domenach, Chefredakteur von „Libération“, assistiert, die Nichtachtung des Privatlebens erzeuge Schmutzkampagnen statt Qualitätsjournalismus. Redaktionen seien auch keine Sittenpolizei. Wohin es führen würde, wollte man Seitensprünge, uneheliche Kinder und freizügiges Sexualleben als Hindernisse für hohe staatliche Funktionen aufbauen, malt Bruno Roger-Petit in „Le nouvel observateur“ aus: „Praktisch wäre da kaum ein Premierminister oder Präsident von der III. bis zur V. Republik ins Amt gekommen.“

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