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Seit über 20 Jahren streitet sich der Linken-Politiker Gregor Gysi mit den Medien. Auch die neuesten Vorwürfe lässt er presserechtlich prüfen.

© dpa

Verdachtsberichterstattung: Ein Quantensprung

Bislang fiel es Gysi leicht, sich der Medien zu erwehren – das könnte sich bald ändern

Von Matthias Meisner

Der DDR-Bürgerrechtler Lutz Rathenow bescheinigt Gregor Gysi ein „Maximum an Verwirrtechnik“. Er zielt auf die seit mehr als 20 Jahren dauernde Prozessserie des prominentesten Linken-Politikers gegen die Medien. Immer wieder Stasi-Vorwürfe, immer wieder Gegendarstellungen, Unterlassungsbegehren. Gysis Angaben hätten sich „regelmäßig als wahr herausgestellt“, sagt sein Sprecher Hendrik Thalheim. Zu den gerade neu erhobenen Vorwürfen erklärt er: „Gegenwärtig findet eine presserechtliche Prüfung statt.“ Aktuell ermittelt die Hamburger Staatsanwaltschaft gegen Gysi, falsch gewesen sein könnte eine eidesstattliche Versicherung von ihm. Die Anzeige gestellt hat ein pensionierter Richter. Der zweifelt, ob Gysi tatsächlich „zu keinem Zeitpunkt über Mandanten oder sonst jemanden wissentlich und willentlich an die Staatssicherheit berichtet“ hat. Publik gemacht haben diesen Fall Redakteure der „Welt“. Gysis Erfolgsserie bei zahllosen Prozessen hat Lücken. Die spektakulärste Niederlage kassierte er im Mai 2006 vorm Berliner Verwaltungsgericht. Der Rechtsanwalt hatte gegen die Birthler-Behörde geklagt, um die Herausgabe von Akten über seinen früheren Mandaten Robert Havemann an den „Spiegel“ zu verhindern. Gysi argumentierte, Havemann habe auf die Einhaltung der Schweigepflicht vertraut. Zudem beruhten die Stasi-Quellen auf einer Menschenrechtsverletzung. Das Gericht entgegnete: Die Weitergabe der Dokumente entspreche dem mutmaßlichen Willen Havemanns. Würde jede Information, die auf einem IM-Einsatz beruhe, generell als menschenrechtswidrig eingestuft, verliere das Stasiunterlagengesetz an Sinn. Gysi ging in Berufung, zog diese aber im Mai 2008 zurück. Das Urteil wurde rechtskräftig. Behördenchefin Marianne Birthler wunderte sich zwar über den „Rückzug in letzter Minute“, aber: Entscheidend sei, dass sie die Dokumente herausgeben dürfe. 1996 machte der Ausgang eines Streits zwischen der „Berliner Zeitung“ und Gysi keine Schlagzeilen. Das Blatt wollte für sich „die Möglichkeit der freien Berichterstattung“ über Gysis Anwaltstätigkeit herstellen. Erst unterlag die Zeitung vorm Landgericht. Beim Kammergericht wurde ein Kompromiss geschlossen: Die „Berliner Zeitung“ erklärte, der in einem Gauck-Gutachten formulierte Verdacht gegen Gysi sei „wohl doch noch nicht zur Gewissheit erhärtet“. Gysi musste einräumen, dass die Zeitung im Rahmen der Verdachtsberichterstattung aus dem Gutachten zitieren durfte. Zuvor hatte Gysi den damaligen Chefredakteur der „Berliner Zeitung“, Hans Eggert, wegen der Klage attackiert. Der habe seine Funktion bekanntlich „in verschiedenen gesellschaftlichen Systemen“ ausgeübt. Gysi spielte darauf an, dass Eggert vor der Wende FDJ-Funktionär und Journalist im Dienst der SED gewesen war. Tage nach dem Mauerfall hatte Eggert kommentiert, „vor allem Westberliner Neonazis“ hätten am Brandenburger Tor Randale gemacht. „Das Geschrei und die gewalttätigen Angriffe auf die Grenzanlagen machten bange. Eine gesicherte Grenze braucht es derzeit wohl weiter.“ Die Ex–SED-Zeitung war nach der Wende verkauft worden, die PDS hatte fast nichts davon.

Ein anderer Fall ging zugunsten Gysis aus. 1994 war schon einmal eine Anzeige gegen eine eidesstattliche Versicherung von ihm erstattet worden – von Mathias Döpfner, Chefredakteur der inzwischen eingestellten „Wochenpost“. Er wollte Gysis Versicherung nicht hinnehmen, wonach es eine Zusammenarbeit zwischen ihm und dem MfS „nicht gegeben hat“. In der Redaktion wusste fast keiner von dem Vorgang. Döpfner selbst will sich heute nicht mehr dazu äußern. Rainer Lingenthal, 1994 Politikchef der „Wochenpost“ und später Sprecher von Innenminister Otto Schily, sagt, er finde eine solche Klage gegen einen Politiker „unmöglich“. Mangels hinreichenden Tatverdachts stellte die Staatsanwaltschaft Hamburg die Ermittlungen 1996 ein. Die Unterlagen sowohl der Staatsanwaltschaft als auch der Zeitung sind vernichtet worden, bei der Linken gelten sie als „verschollen“. Döpfner ist heute Vorstandschef der Springer AG. Zum Konzern gehört auch die „Welt“, der die Linkspartei gerade Kampagnenjournalismus vorwirft. Der Rechtsanwalt Johannes Weberling, Mitte der 90er Jahre Justiziar des Berliner Verlages, lobt ein Urteil des Bundesgerichtshofes vom Dezember 2012 als „super“, wonach Journalisten Auskünften der Stasiunterlagenbehörde ein „gesteigertes Vertrauen“ entgegenbringen dürften. „Ein Quantensprung“, sagt der Jurist: „Heute wird man Verdachtsmomente gegen Gysi selbstverständlich bewerten und auch darüber schreiben dürfen. Das ist anders als Anfang der 90er Jahre.“

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