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Verdienst der App-Entwickler: Zum Leben zu wenig

Für Google und Apple sind Apps ein Milliardengeschäft. Die Mehrheit der Entwickler kann davon nicht leben – und hinterlässt „faule“ Apps.

In den vergangenen Jahren gab es sie immer wieder: Die Software-Entwickler, die mit nur einer App im Alleingang zum Millionär wurden. Jared Sinclair hatte wirklich alles getan, damit seine iOS-App ein Hit wird. Sieben Monate lang arbeitete er ununterbrochen an seinem Projekt und an seiner Lese-App für RSS-Feeds. 70, 80 Stunden Arbeit pro Woche waren die Regel. Im Februar 2014 schließlich war sie fertig: Version 1.0 von „Unread“. Sinclair investierte in Marketing, was er konnte, eine Reihe beachteter Blogs empfahlen seine App, der Verkaufsstart lief vielversprechend. Bereits nach einem Tag hatte er rund 10 000 Dollar eingenommen. Doch die Nachfrage hielt nur kurz. Sechs Monate, ein iPhone-Update und eine iPad-App später zieht Sinclair nüchtern Bilanz: Abzüglich Steuern und Krankenkasse blieben ihm für ein Jahr Arbeit gerade einmal 21 000 Dollar. Ein Bruchteil der Summe, die er als angestellter Programmierer hätte verdienen können. „Eine erschütternde Zahl“, wie Sinclair in seinem Blog anmerkt.

Einer Studie der Marktforscher von Vision Mobile zufolge zählt Sinclair damit allerdings schon zum erfolgreichsten Drittel der geschätzt 2,9 Millionen App-Macher weltweit. Knapp die Hälfte aller gewinnorientierten Entwickler verdient demnach an einer App nichts oder maximal bis zu 100 Dollar pro Monat.

Qualität und Hingabe allein reicht nicht

Woran liegt es, dass einige wenige App-Entwickler große Erfolge feiern und viele andere dagegen darben? In Sinclairs Fall lag es zumindest nicht an der Güte der App: „Unread“ erhielt von seinen Nutzern fast durchgehend die Höchstnote. Qualität und Hingabe allein reichen zum Erfolg im App Store offenbar nicht aus. Dabei sind es gerade Qualität und Hingabe zum Produkt, die Apple dorthingebracht haben, wo es heute ist, und dem Unternehmen eine geradezu fanatische Anhängerschaft bescherte. Der jüngste Beweis dafür ist wenige Wochen alt: Zehn Millionen iPhone 6 und iPhone 6 Plus setzte Apple gleich am ersten Verkaufswochenende um. Gute Nachrichten also für Apple und deren Anteilseigner, gute Nachrichten aber auch für die zahllosen App-Entwickler. Denn die meisten der neuen iPhone-6-Besitzer werden als Erstes den App Store besuchen, um die noch jungfräulich aufgeräumte Display-Fläche ihres Smartphones eilends mit bunten App-Icons zuzupflastern.

Wenn dabei wenigstens ein oder zwei neue Apps ihren Weg auf die teuren Smartphones finden, ist das schon ein Grund zur Freude, denn das passiert immer seltener: Laut Marktforscher comScore laden zwei von drei Smartphonenutzern in Deutschland keine einzige neue App im Monat aus den Stores und auch in den USA besuchen über zwei Drittel der Smartphonenutzer den App Store höchstens aus Versehen. Im Klartext heißt das: Auf Millionen von Smartphones und Tablets tut sich in Sachen Apps seit Monaten, ja vielleicht seit Jahren nichts. Wer glaubt, dass sich schlicht die besten und nachhaltigsten Apps durchgesetzt hätten, die man nicht mehr durch neue ersetzen müsse, muss nur einmal das eigene Gerät durchstöbern.

Der prominente App-Entwickler Marco Arment brachte es vor kurzem in einem Blogeintrag auf den Punkt und attestierte Apple eine „App-Fäule“. Weder finde er im App Store einen pulsierenden Markt mit spannenden neuen Apps vor, noch werde die Mehrheit der auf seinem iPad installierten Programme längerfristig mit Updates und Verbesserungen versorgt. Wie viele der über eine Million Apps in Apples und Googles App Stores tatsächlich schon veraltet und nicht oder nur noch eingeschränkt nutzbar sind, geben die Unternehmen nicht bekannt. Man darf allerdings vermuten, dass die Zahl der Karteileichen erheblich ist. Arment sieht darin ein systemisches Problem: „Qualität, Nachhaltigkeit und Updates sind beinahe irrelevant für Erfolg im App Store“, sagt er und benennt auch die Ursache: „Das ist hauptsächlich die Schuld Apples, die faul auf Top-Listen setzen, anstatt auf mehr redaktionelle Auswahl und eine bessere Suche.“ Jens Dreßler ist Chefentwickler beim Berliner Start-up Vamos, hat selbst die zugehörige iOS-App programmiert und kennt das Problem. „Im App Store gibt es mittlerweile rund 1,3 Millionen Apps, da ist es extrem schwierig überhaupt aufzufallen.“ Ein sicherer Weg in die Gewinnzone seien deshalb die Top-Listen, sagt Dreßler. „Wer es in den Top Charts unter die ersten 100 schafft, bekommt automatisch viel organischen Traffic.“ Das heißt, wer erst mal in der Liste ist, kann sicher sein, dass seine App auch heruntergeladen wird. Je weiter oben sie steht, desto besser.

Ohne Platzierung in den Top-Charts kein Erfolg

App-Entwickler versuchen deshalb mit allen Mitteln in diese Charts zu gelangen. Entwickler von Spiele-Apps machen das etwa, indem sie die Installationen einfach bei einem entsprechenden Dienstleister kaufen. Anbieter wie das Berliner Unternehmen AppLift verfügen über spezialisierte Werbe- und Marketingkanäle, über die sie Nutzer direkt für die entsprechende App werben können. Günstig sei das allerdings nicht, sagt Dreßler. „Pro Installation zahlt man da einen Euro oder auch mehr. Um in Deutschland unter die ersten zehn auf der Top-Charts-Liste zu kommen, muss man schon einen mittleren fünfstelligen Eurobetrag ausgeben. In den USA noch deutlich mehr.“

Kleine Entwickler können das kaum aufbringen, ein großes Spielestudio investiert Millionen, um seine Spiele zu pushen, sagt Dreßler. Mittlerweile wird außerdem viel Energie und Geld in die ASO, die „App Store Optimierung“ gesteckt. Auch hier gibt es mittlerweile Dienstleister, die App-Namen und Schlagworte analysieren und optimieren. Ein riesiger finanzieller Aufwand also, der weder der Qualität noch der Nachhaltigkeit einer App zugutekommt.

Was also ist die Lösung oder vielmehr: An wem liegt es, das Problem zu lösen? Marco Arment vermutet, dass viele freie Entwickler sich schlicht andere Jobs suchen werden; für den Rest gelte „do-more-with-less“: „In der aktuell angespannten Wirtschaftslage wird es für Entwickler deutlich schwieriger sein, den Apps weiterhin großzügige Behandlung wie Vollzeitangestellte, Büros, liebevolle Designs für jeden Screen oder kostenlose Updates zukommen zu lassen.“ Stattdessen müsse man mehr selbst machen und beim App-Bau mehr auf Standardbausteine setzen, die Apple zunehmend anbiete.

Entwickler hoffen auf In-App-Verkäufe

Andere, darunter auch Jared Sinclair, wollen nicht mehr auf Einmal-Bezahl-Apps setzen und glauben stattdessen an In-App-Käufe oder Abomodelle. Damit das erfolgreich umgesetzt werden könne, müssten sich Entwickler nach Sinclairs Ansicht aber zusammentun. Es ist also eine durchwachsene Zukunft, der sich App-Entwickler heute stellen müssen. „Die Aussichten sind düster“, schreibt Stijn Schuermans von Vision Mobile. Abhalten werde es die Entwickler nicht: „App-Entwicklung ist wie Lotto spielen. Solange es eine Chance auf große Gewinne gibt, werden die Leute auch spielen“ – und verlieren.

Apple, Google und Co werden die Rahmenbedingungen ihrer App Stores hinsichtlich Qualität und Nachhaltigkeit in nächster Zeit nicht grundsätzlich ändern. Warum sollten sie auch? Sie verdienen viel Geld mit den Stores, so wie sie sind. Deshalb werden sie auch in Zukunft wohl mit zahllosen Apps gefüllt sein, die still vor sich hin rotten, weil ihre Entwickler längst pleite sind.

GOOGLE BEI APPS VOR APPLE

Zum Erfolg des iPhones und auch aller anderen Smartphones haben insbesondere die vielen kleinen Apps beigetragen. In der Zahl der im App Store angebotenen Programme hat Google dabei Apple inzwischen überholt. Nach Angaben von statista.com befanden sich im September im Google Play Store 1,36 Millionen Apps. Der Apple App Store kam zum Stichtag 2. Juni auf 1,2 Millionen Apps. Amazon unterhält einen eigenen Store für seine Kindle-Plattform, obwohl diese Modelle ebenfalls mit Android laufen. Im September konnten die Kunden dort unter 262 000 Apps auswählen. Im Windows Store für die Plattformen Windows und Windows Phone befanden sich Anfang August 300 000 Apps. Der kleinste App Store war die Blackberry World. Im Juni standen dort 130 00 Apps zum Download bereit. sag

Jan Mölleken

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